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() Schäuble im Gespräch mit seiner französischen Amtskollegin
Europa braucht keine Wirtschaftsregierung

Die europäische Währungsunion befindet sich in der Krise. Insbesondere Griechenland und Irland strapazieren die Euro-Zone. Die im Mai beschlossenen Rettungsschirme verhindern zwar einstweilen den Untergang. Aber spätestens seit dem Frühjahr diskutiert die EU intensiv die Konsequenzen des Debakels. Einige Politiker und Ökonomen, insbesondere aus Frankreich, fordern eine europäische Wirtschaftsregierung. Kaum klar ist jedoch, was das konkret bedeutet. Dabei reicht eine striktere Regulierung in der Eurozone aus.

Die ersten Blaupausen für die Europäische Währungsunion (EWU) waren da noch eindeutig. Der Werner-Report von 1970 kam zu dem Ergebnis, dass es parallel zur Europäischen Zentralbank (EZB) ein „Entscheidungszentrum“ der Wirtschaftspolitik geben müsse. Dieses sollte jedes Jahr den Umfang der nationalen Haushalte vorgeben. Von der Budgethoheit der Parlamente blieb in diesem föderalen Konzept wenig übrig. Der MacDougall-Report von 1977 empfahl, dass der EU-Haushalt in einer Währungsunion auf 25 Prozent des EU-Sozialprodukts auszuweiten sei. Der Hintergrund dieser Empfehlungen ist unverändert aktuell: Weil sich die einheitliche Geldpolitik am Durchschnitt orientiert und keine Rücksicht auf nationale Konjunkturentwicklungen nehmen kann, kommt der Fiskalpolitik eine stabilisierende Rolle zu. Sie muss gemeinsam mit der Lohnpolitik dafür sorgen, dass einzelne Volkswirtschaften nicht auf Dauer aus dem europäischen Konvoi ausscheren. Werner und MacDougall waren überzeugt, dass eine effiziente Stabilisierung nur auf EU-Ebene erfolgen könne. Der französische EWU-Vertragsentwurf knüpfte 1991 daran an und forderte deswegen ein gouvernement économique. Der Vertrag von Maastricht folgte 1992 jedoch deutschen Vorstellungen: Die Geldpolitik wurde zentralisiert, die Fiskalpolitik blieb in nationaler Verantwortung. Frankreich hat seitdem immer wieder eine europäische Wirtschaftsregierung gefordert, zuletzt Staatspräsident Sarkozy, aber die konkreten Inhalte wurden zunehmend vage. Vier Ziele spielten stets eine Rolle: erstens, das EZB-Primat der Preisstabilität durch einen „Politik-Mix für Wachstum und Beschäftigung“ zu relativieren; zweitens, den Dirigismus der französischen Industriepolitik auf europäischer Ebene zu etablieren; drittens, eine Institution der Eurostaaten zur engeren Koordination ihrer Wirtschaftspolitik zu bilden; sowie viertens – zumindest in französischen Wahlkämpfen – die Unabhängigkeit der EZB aufzuheben. Lediglich das dritte Ziel wurde verwirklicht. Der Vertrag von Lissabon hat die seit 1997 informell bestehende Eurogruppe als EU-Institution etabliert. Unter Vorsitz von Luxemburgs Ministerpräsidenten Jean-Claude Juncker klären die Finanzminister der Eurozone die Fragen zur EWU jeweils am Vortag des monatlichen Treffens der Minister aller Mitgliedstaaten. Doch die Eurogruppe ist lediglich ein horizontales Koordinationsgremium und kein hierarchisches Entscheidungszentrum im Sinne des Werner-Reports, mithin keine Wirtschaftsregierung. Europa ist gut beraten, es dabei zu belassen. Denn Vorschläge wie gemeinsame Staatsanleihen zur Ausweitung des EU-Budgets, automatische Finanztransfers durch eine europäische Arbeitslosenversicherung oder die Überwachung und Sanktionierung von Leistungsbilanz-Ungleichgewichten bergen größere Risiken als Chancen. Erkenntnis- und Steuerungsvermögen einer zentralen Wirtschaftspolitik werden darin systematisch über-, ihre Risiken und Nebenwirkungen systematisch unterschätzt. Neben der Gefährdung der EZB-Unabhängigkeit und Missachtung des Subsidiaritätsprinzips drohen Nivellierung statt Stärkung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit sowie der Wandel von der Stabilitäts- zur Transferunion. Das Gegenteil ist notwendig: Statt zu versuchen, den Euro­konvoi von einer zentralen Kommandobrücke in Brüssel zu steuern, muss jeder nationale Kapitän sein eigenes Boot besser auf Kurs halten. Dabei kommt es auf rechtzeitige Signale für notwendige Korrekturen an. Es ist daher richtig, dass die Bundesregierung einen permanenten Krisenmechanismus durchsetzen will, der auch Regeln für eine Staatsinsolvenz unter Beteiligung privater Gläubiger etabliert. Ohne eine Insolvenzordnung war das Verbot der gegenseitigen Schuldenübernahme im Maastricht-Vertrag nicht glaubwürdig. Als Konsequenz spiegelte sich die unterschiedliche Solidität der Euromitglieder zehn Jahre lang nicht ausreichend in den Preisunterschieden ihrer Staatsanleihen wider. Der angestrebte Krisenmechanismus muss einerseits dem Prinzip der europäischen Solidarität durch mögliche Überbrückungskredite gerecht werden, andererseits durch ein Insolvenzverfahren die nationale Verantwortung für die Finanzpolitik und die Signalfunktion der Finanzmärkte stärken. Nur wenn die EU den politischen Willen für diese Reform aufbringt, dann wird die Eurozone auf Dauer erfolgreich sein können.

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