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Russland - Eurasische Wirtschaftsunion nicht geopolitisch missbrauchen

Während um ein Ende des Blutvergießens in der Ukraine gefeilscht wird, bringt Putin ein weiteres Instrument gegen die EU in Stellung: die Eurasische Wirtschaftsunion. Wie sollte die EU damit umgehen? Auf keinen Fall politischen Druck ausüben, warnt Russlandexperte Stefan Meister

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Stefan Meister ist seit August 2014 Programmleiter für Osteuropa, Russland und Zentralasien bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin

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Vor dem Hintergrund der Ukrainekrise debattiert die Bundesregierung, wie sie die Differenzen mit Moskau über die gemeinsame Nachbarschaft abbauen könnte. Ein zentraler Vorschlag ist, dass die EU über die Eurasische Wirtschaftsunion (EAWU) – dem gemeinsamen Binnenmarkt von Russland, Kasachstan, Belarus, Armenien und Kirgisistan – einen Kommunikationskanal zu Russland öffnet. Darin könnten beide Seiten über das Freihandelsabkommen zwischen der EU und der Ukraine verhandeln. Ökonomische Institutionen sollen also Kontakte zu Russland verbessern und politische Konflikte entschärfen.

Putin hatte die Eurasische Wirtschaftsunion als Gegenmodell zur EU und ihrer ökonomischen Instrumente der Nachbarschaftspolitik konzipiert. Seine Idee war es, einen von Russland dominierten Wirtschaftsraum zu schaffen, der auf Augenhöhe mit der EU einen gemeinsamen Wirtschaftsraum von Wladiwostok bis Lissabon aushandeln sollte. Die Ukraine galt dabei wegen ihrer Größe als Schlüsselland für diesen eurasischen Integrationsprozess.

Geopolitik versus Integration: EAWU hat erste Belastungsprobe überstanden

Ohne Zweifel ist die EAWU das bisher erfolgreichste von Russland initiierte Integrationsprojekt in der post-sowjetischen Region. Die Schaffung einer multilateralen Institution samt Gerichtshof sowie die Angleichung von Zöllen und technischen Standards fördern die ökonomische Integration aller Mitgliedstaaten. Das hat direkte Auswirkungen auf Deutschland und die EU. Dort steigt das Interesse, mit dieser Institution zu kooperieren. Trotz aller Konflikte ist Russland bereits WTO-Mitglied, Kasachstan steht kurz davor. Das wird den Druck auf die anderen Teilnehmerländer erhöhen, auch diesen Beitritt anzustreben – und damit die Integration in die Weltwirtschaft zu befördern.

Im Kontext der Annexion der Krim und des von Moskau maßgeblich initiierten Krieges in der Ostukraine wurde jedoch deutlich: Trotz der russischen Dominanz haben die Institutionen der EAWU eine gewisse Eigendynamik entwickelt. Nicht alle Interessen kann die russische Führung im Rahmen der Integration durchsetzen. Dass die Staaten der EAWU, allen voran Belarus und Kasachstan, Moskau nicht bei Sanktionen gegen den Westen und die Ukraine unterstützten, zeigt, wie wenig diese Institution als geopolitisches Instrument taugt.

Russlands Unilateralismus schwächt die Zollunion

Putins unilaterale Politik schwächt die Zollunion als wichtigsten Erfolg der eurasischen Integration. Wenig hilfreich ist auch sein Versuch, die EAWU im Zuge des Ukrainekonflikts mehr und mehr zu einem geopolitischen Projekt gegen den Einfluss der EU in der Region zu etablieren. Gleichzeitig erscheint es naiv zu glauben, dass die russische Führung mit der EAWU eine multilaterale Institution geschaffen habe, um mit der EU einen Interessenausgleich über die gemeinsame Nachbarschaft zu suchen. Die Aufwertung der EAWU als gleichwertiger Partner für die EU würde letztlich russische Praktiken, auf andere Staaten Druck auszuüben, legitimieren und Russlands Hegemonie in der Region anerkennen.

Hinzukommt, dass trotz aller Erfolge für die Integration das ökonomische Potenzial der EAWU begrenzt bleibt. Die Wirtschaftskraft und der Absatzmarkt sind relativ gering. Das niedrige Innovationspotenzial und die Abhängigkeit vom russischen Markt, der in einer tiefen Rezension steckt, wirken sich negativ auf die Entwicklung aus.

Pragmatischer Austausch statt politisches Feilschen mit Moskau

Deutschland und die EU sollten ihren Fokus daher auf einen pragmatischen, niedrigschwelligeren Austausch legen. In der Aushandlung von technischen Standards und der Normen liegt die Stärke der EU – nicht im politischen Feilschen mit Moskau. Die EU könnte langfristig das Kompatibilitätsproblem mit der EAWU lösen, ohne dabei diese Institution politisch aufzuwerten. Voraussetzung ist, dass sich die Standards zwischen der Ukraine und der EU im Rahmen des vertieften Freihandelsabkommens angleichen.

Mitgliedstaaten wie Kasachstan und Belarus haben ein großes Interesse daran, ihre Beziehungen zur EU sowohl auf der multilateralen als auch auf der bilateralen Ebene weiterzuentwickeln. Die Dominanz des Ukrainekonflikts in den Beziehungen zwischen Russland und der EU läuft diesen Zielen zuwider. Sie stärkt in Russland jene Kräfte, die die Beziehungen zur EU begrenzen möchten.

Das Ergebnis wäre paradox: Deutschland und die EU würden durch Aufwertung einen weiteren Kommunikationskanal in einem Bereich gemeinsamer Interessen politisieren und damit schwächen. Viel sinnvoller erscheint es, der Sprachlosigkeit in den Beziehungen durch konkrete Arbeit in den Wirtschaftsinstitutionen entgegenzuwirken. Dies sollte man in diesem Fall aber den Experten und nicht der großen Politik überlassen.

Stefan Meister ist seit August 2014 Programmleiter für Osteuropa, Russland und Zentralasien bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin

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