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() Odysseus und die Sirenen
Ein schwedisches Rezept für Steinbrück & Co

Haushaltskonsolidierung ging der Union bisher vor Steuererleichterung. Nun scheinen die Christdemokraten an ihr eigenes Credo nicht mehr recht glauben zu wollen. In dieser Situation wird Peer Steinbrück zum Letzten, der sich an das Konsolidierungsziel gebunden sieht.

Peer Steinbrück dürfte Odysseus beneiden. Um auf der Rückreise vom Kampf um Troja nicht der Verführung durch die Sirenen zu erliegen, versiegelte der Grieche die Ohren seiner Mannschaft mit Wachs. Dann ließ er sich selbst an den Mast seines Schiffes binden und lauschte als einziger dem betörenden Gesang der süßen Mägdlein am Strand. Wie angeordnet, legten ihm seine Gefährten Eurylochos und Perimedes immer stärkere Stricke an, wenn Odysseus die tauben Ruderer durch Winken mit dem Kopf dazu bewegen wollte, ihn zu befreien. Erst als das Schiff den Ufern der Sirenen entkommen war, nahmen sich die Ruderer das Wachs aus den Ohren und banden Odysseus los. Seitdem gilt „Selbstbindung“ als Erfolgsrezept, wenn man sich Versuchungen aussetzen muss, ihnen aber nicht erliegen will. Der Finanzminister lässt in diesen Tage keinen Zweifel daran, dass er gern ein Odysseus wäre. Und er hat allen Grund dazu: Deutschland ist mit knapp 1500 Milliarden verschuldet. Hinter dem Zuschuss zur Rentenversicherung von 80 Milliarden Euro sind Zinszahlungen von 40 Milliarden Euro pro Jahr bereits der zweitgrößte Posten im Etat, gleichauf mit den Ausgaben für Arbeitsmarktpolitik. Es fehlt Peer Steinbrück aber an den institutionellen Voraussetzungen zum erfolgreichen Heldentum. Das antike Vorbild Odysseus war der unumstrittene Chef auf seinem Schiff. Steinbrück hingegen hat nicht die Richtlinienkompetenz an Bord der Großen Koalition. (Auch im Vergleich der haushaltspolitischen Machtfülle mit 18 europäischen Amtskollegen landet der deutsche Finanzminister nach einer Studie der Weltbank nur auf dem 13. Platz.) Schon gar nicht kann er die Ohren der Bundestagsabgeordneten versiegeln. So kommt es, dass der strikte Konsolidierungskurs wohl verlassen wird. Der Sirenengesang von Oskar Lafontaine und Erwin Huber hat gewirkt – im Bundestag und darüber hinaus, bis nach Brasilien. Am Rande ihrer Lateinamerika-Reise hat auch die Kanzlerin ihren Sinneswandel in Steuerfragen verkündet: „Wir werden alles, was wir den Menschen zurückgeben können, natürlich auch zurückgeben – so schnell das möglich ist.“ Gut zehn Tage hat der CSU-Parteichef also gebraucht, um mit seinem Vorschlag „Mehr Netto für alle“ den Wind zu drehen und den haushaltspolitischen Diskurs der Republik auf einen neuen Kurs zu lenken. Sehr zur Freude von Oskar Lafontaine, der die Urheberschaft für dieses Konzept beanspruchen darf. (Und dies auch genussvoll tut, wie sein sinnenfroher Auftritt an der Seite des leicht gequälten CSU-Vorsitzenden in „hart aber fair“ gezeigt hat). Das griechische Rezept, die klare Selbstbindung bis zur erfolgten Haushaltssanierung, ist gescheitert. Gibt es eine Alternative? Es gibt sie. Das Vorbild sind wieder einmal Skandinavier, die dem Rest Europas nicht nur die Vorteile flexibler Arbeitsmärkte leistungsfähiger Bildungssysteme demonstrieren, sondern in der jüngeren Vergangenheit auch mit solider Haushaltspolitik glänzen: Seit 2004 waren ihre Haushalte jedes Jahr im Plus, im Jahr 2007 betrugen die Überschüsse bezogen auf das jeweilige Bruttoinlandprodukt in Schweden 3,5 Prozent, in Dänemark 4,4 Prozent und in Finnland 5,3 Prozent. Dass Deutschland ein „Nulldefizit“ erreichte, wurde hierzulande zwar als Erfolg gefeiert. Dabei entspricht es streng genommen gerade einmal der Minimalanforderung des Maastricht-Vertrages. „Close to Balance or in Surplus“ heißt das EU-Prinzip für konjunkturell normale Zeiten. Die berühmte Drei-Prozent-Grenze des Stabilitätspaktes gilt nur für konjunkturelle Täler. Im Aufschwung sollen eigentlich Überschüsse erwirtschaftet werden. So, wie es die Skandinavier vormachen. Besonders interessant ist der Fall von Schweden. Das Land war 1994 in einer so desolaten Situation, dass der internationale Währungsfonds eine Explosion der öffentlichen Verschuldung auf einen Wert von 128 Prozent im Jahr 2000 voraussagte. Doch Schweden schaffte die finanzielle Kehrtwende. Jens Henriksson, ab Oktober 1994 als junger Berater im wirtschaftspolitischen Stab des neu ins Amt gekommenen Finanzministers Göran Persson, hat die Erfolgsgeschichte in dem Essay „Ten Lessons about Budget Consolidation“ prägnant zusammengefasst. Wer Henrikssons kleine Konsolidierungsfibel liest, findet darin aber keinen Absatz zum Thema „Steuermehreinnahmen und ihre geschickte Verteilung“. (Vielleicht, weil das Konzept von „Steuermehreinnahmen“ bei einem verschuldeten Staatswesen eigentlich keinen Sinn macht…) Die zehn schwedischen Lektionen beantworten vielmehr die Frage: Wie kann man Staatsausgaben sinnvoll kürzen und diese Kürzungen politisch durchsetzen und durchhalten? Trotz der positiven Vorhersagen der deutschen Steuerschätzer wird auch die Bundesregierung diese Frage beantworten müssen. Denn wer gleichzeitig den Haushalt konsolidieren und Steuern senken will, der muss Ausgaben einsparen. Das ist keine höhere Weisheit, sondern Mathematik. Es liegt daher eine gewisse Tragik im Glück der konjunkturbedingten „Steuermehreinnahmen“: Sie haben den gefühlten Leidensdruck reduziert und zu Unrecht den Subventionsabbau aus dem Zentrum des wirtschaftspolitischen Diskurs verdrängt. Doch wer es den Schweden nachmachen will, wird ohne Kürzungen nicht auskommen. Der Subventionsbericht der Bundesregierung zeigt, wo der Rotstift angesetzt werden muss. Dieser Beitrag gibt die persönliche Meinung des Verfassers wieder. Er ist keine offizielle Stellungnahme des RWI Essen. Foto: Picture Alliance

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