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(picture alliance) Greenpeace demonstriert

Atomdebatte - Die Stunde der Atomlobbyisten

Seit Fukushima ziehen die großen Energiekonzerne nicht mehr an einem Strang: RWE klagt gegen die Abschaltung, Eon will an den Verhandlungstisch, EnBW gehört wohl bald einer grün-roten Regierung und Vattenfall hat keine Strategie. Die Folge: viel Arbeit für ihre Interessenvertreter.

Seinen rustikalen Humor hat sich Jürgen Großmann auch nach Fukushima bewahrt. Am 8.April nahm der Chef des Energiekonzerns RWE höchstpersönlich den „Dinosaurier des Jahres“ vom Naturschutzverband Nabu entgegen. „Die Dinosaurier haben die Welt 165 Millionen Jahre regiert, dagegen ist der Mensch eine Eintagsfliege“, sagte er beim Nabu. „Das Alte trägt nicht mehr und das Neue noch nicht.“ Damit hat er eine perfekte Analyse über sein Unternehmen abgeliefert und gleichzeitig begründet, warum er jetzt gegen die vorübergehende Stilllegung seiner Gelddruckmaschinen Biblis A und B klagt. Denn RWE hat zwar vor wenigen Jahren begonnen, in erneuerbare Energien zu investieren. Doch der Konzern lebt nach wie vor von Braunkohle und Atomstrom.

Ende März dieses Jahres hat Großmann an die 40 Unterzeichner der von ihm initiierten Anzeige aus dem Sommer 2010 geschrieben, die damals eine Laufzeitverlängerung für die deutschen Atomkraftwerke gefordert hatten. „Ich glaube nicht, dass man im Angesicht von Fukushima Grundsatzentscheidungen wie den Ausstieg aus der Kernenergie ohne sorgfältige und sachliche Prüfung fällen sollte“, heißt es in dem aktuellen Schreiben.

Neu daran ist, dass die großen Energiekonzerne nicht mehr an einem Strang ziehen. Nach dem spektakulären Lobbyerfolg der Energiekonzerne vom vergangenen Herbst hat Fukushima die Branche entzaubert. Denn während Großmann vor Gericht zieht, bettelt Eon-Chef Johannes Teyssen geradezu darum, wieder an den Verhandlungstisch gelassen zu werden. In einem Beitrag für die Frankfurter Rundschau schrieb er, dass Eon auf Klagen gegen die zeitweilige Stilllegung der Atomkraftwerke Isar 1 und Unterweser verzichte. Dafür will er aber mitreden über die Zukunft der Kernenergie: „Wir jedenfalls wollen uns an einem offenen und transparenten Dialog zur Transformation des deutschen Energiesystems beteiligen.“ Es muss für Teyssen auch ein äußerst ungewohntes Gefühl sein, dass zum ersten Mal seit vielen Jahren die großen vier Energiekonzerne, neben RWE und Eon sind das EnBW und Vattenfall, nicht automatisch mit am Tisch sitzen, wenn über Deutschlands Energiezukunft verhandelt wird. Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr Umweltminister Norbert Röttgen stellten lediglich klar, „zu gegebener Zeit“ werde „auch“ mit den Energiekonzernen geredet.

Vor einem guten halben Jahr sah die Welt für Großmann, Teyssen und ihre Kollegen Hans-Peter Villis (EnBW) und Tuomo Hatakka (Vattenfall) noch ganz anders aus. Am 26.September 2010 riefen Teyssen und Großmann mehrfach direkt auf dem Handy der Kanzlerin an, als das später von Angela Merkel als „epochal“ gerühmte Energie­konzept im Kanzleramt verhandelt wurde. Und nachdem die Regierung kurz nach Mitternacht die Laufzeitverlängerung für die deutschen Atomkraftwerke verkündete, schickten die großen Vier ihre Finanzvorstände ins Finanzministerium, um mit dem Staatssekretär Hans Bernhard Beus in der gleichen Nacht den sogenannten Förderfondsvertrag auszuhandeln. Der Vertrag regelte den Preis, den die Konzerne für die Laufzeitverlängerung bezahlen sollten, und hat sich wohl ebenfalls erledigt.

Im Herbst haben die vier Konzerne ihre schon damals ziemlich unterschiedlichen Interessen noch hintangestellt. Doch nach Fukushima ist es mit der Einigkeit endgültig vorbei. Großmann versucht es mit dem Säbel, Teyssen mit dem Florett. Doch für Vattenfall sieht die Lage schon seit 2007 ganz anders aus. Damals gingen die beiden Skandalreaktoren Brunsbüttel und Krümmel vom Netz. Seither hat das AKW Krümmel noch einmal kurzzeitig Strom produziert, steht aber nun auch seit drei Jahren still. Vattenfall hat im Sommer 2009, als RWE und EnBW verzweifelt Laufzeiten kaufen wollten, um ihre alten Mühlen in Biblis und Neckarwestheim über die Legislaturperiode zu bringen, die Chance verpasst, die letzte Ausfahrt ohne große Verluste zu nehmen. Denn es war schon vor der Katastrophe in Fukushima immer unwahrscheinlicher geworden, dass die beiden Pannenmeiler je wieder ans Netz gehen würden. Und auch EnBW dürfte wegen der veränderten politischen Gegebenheiten aus dem Club der großen Vier austreten. Seit der Wahlniederlage der CDU in Baden-Württemberg gehört EnBW einem voraussichtlich grün-rot regierten Ländle, nachdem der abgewählte CDU-Ministerpräsident Stefan Mappus im vergangenen Jahr den EnBW-Anteil des französischen Staatskonzerns EdF zurückgekauft hatte.

Großmann und Teyssen müssen nun wieder auf das feine Gespinst ihrer Berliner Lobbyisten in der zweiten Reihe zurückgreifen, um ihre unterschiedlichen Interessen durchzusetzen. Treu zur Seite steht ihnen dabei weiterhin der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Der Verband hatte im Frühjahr 2010 bei dem einschlägigen, überwiegend für Energiekonzerne und das Wirtschaftsministerium tätigen Beratungsunternehmen r2b eine Studie über die ökonomischen Vorteile einer Laufzeitverlängerung in Auftrag gegeben. Und selbst nach Fukushima warnt der BDI weiter vor einem „übereilten Ausstieg aus der Kernenergie“.

Nirgendwo ist das Netzwerk zwischen Wissenschaft, Industrie und Regulierungsbehörden so dicht wie in der Energiebranche. Unabhängige Atomforscher sind eine echte Rarität. Und die Konzerne bedienen sich seit jeher auch bei der Atomaufsicht. So geschehen mit Walter Hohlefelder, der 1985/86 Chef der Gesellschaft für Reaktor- und Anlagensicherheit (GRS) war. Von 1986 bis 1994 war er Abteilungsleiter Reaktorsicherheit im Bundesumweltministerium (BMU) und direkt im Anschluss Generalbevollmächtigter bei Veba, einem der Vorgängerkonzerne von Eon. Bei Eon saß er bis zur Pensionierung 2008 im Vorstand. Von 2004 bis 2010 leitete er das Deutsche Atomforum.

Über beste Kontakte verfügt auch der Mann, der beim Regierungswechsel 2009 zum wiederholten Male die Seiten gewechselt hat: Gerald Hennenhöfer. Hennenhöfer war schon unter der Umweltministerin Merkel Chef der Reaktorsicherheitsabteilung im BMU. Gemeinsam haben sie damals durchgesetzt, dass die Atomkonzerne schwach- und mittelradioaktive Abfälle im alten DDR-Endlager Morsleben einlagern durften. Merkels Nachfolger Jürgen Trittin (Grüne) setzte Hennenhöfer vor die Tür. Der ging zu Viag, einem weiteren Vorgängerunternehmen von Eon. Für Viag handelte Hennenhöfer mit der rot-grünen Regierung den Atomkonsens des Jahres 2000 aus. Als Anwalt beriet er anschließend das Helmholtz-Zentrum München, das damals noch das Skandalendlager Asse am Hals hatte. Sein Ratschlag war, die Öffentlichkeit von Informationen möglichst fernzuhalten. Außerdem formulierte er in einem Aufsatz schon mal die Anforderungen an den dann im vergangenen Herbst im Atomgesetz neu eingeführten Paragrafen 7d. Hennenhöfer kritisierte das Bundesverwaltungsgericht scharf, das in einer Klage gegen das Zwischenlager Brunsbüttel 2008 entschieden hatte, dass Terroranschläge nicht als Restrisiko gelten könnten. Nach der neuen Rechtslage können Anwohner nun nicht mehr auf Vorsorge gegen Terroranschläge klagen. Der Aufsatz erschien, als Hennenhöfer schon wieder oberster Atomaufseher war. Er schrieb, es gebe keinen Unterschied zwischen alten und neueren Atomkraftwerken: „Das Atomrecht kennt lediglich genehmigte und nicht genehmigte Anlagen.“ Hennenhöfers Rolle wird allerdings immer undurchsichtiger, musste er doch nach der Katastrophe in Japan die rechtliche Grundlage für die vorübergehende Abschaltung der älteren Reaktoren präsentieren.

Nach Lage der Dinge sind die Atomkonzerne nun wieder auf Männer mit Verbindungen wie Hennenhöfer angewiesen oder auf Frauen wie Hildegard Müller, die bis 2008 Staatsministerin im Kanzleramt war. Die Merkel-Vertraute ist seither Chefin des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft und warnt seit Tagen vor dem Import von Atomstrom aus Frankreich und Tschechien – dem vorläufig letzten Argument der Atomkraftbefürworter. Vielleicht wäre es Zeit für ein Lobbymoratorium.

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