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() Sucht macht krank
Der suchtkranke Staat

Der Staat macht immer mehr Bürger zu Abhängigen seiner Wohltaten. Das geht nicht gut

Lesen Sie auch: Hans-Olaf Henkel: Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, liebe Frau Merkel! Die Deutschen sind süchtig nach staatlichen Leistungen. Das heißt, sie sind süchtig gemacht worden. Denn im selben Maß, wie der Staat die individuelle Freiheit und Selbstverantwortung abgebaut hat, bot er sich den Menschen als Freiheitsersatz an. Mit der Abhängigkeit des Einzelnen von staatlichen Leistungen wuchs die Sucht nach mehr, da sich hinter jeder Sucht eine Flucht verbirgt, eine Flucht vor der Wirklichkeit. Denn „den Staat“ als großzügigen Spender von Wohltaten gibt es nicht – es sind immer die anderen, die dafür arbeiten und auf genau das verzichten müssen, was an die Süchtigen verschenkt wird. Die aber finden, dass es ruhig etwas mehr sein könnte. Während der normale Kranke die Hilfe annimmt, weil er schleunigst gesunden will, nimmt der Süchtige seinen „Stoff“ mit der festen Absicht, ihn wieder zu bekommen, beim nächsten Mal möglichst noch mehr. Er will süchtig sein, und der Staat sagt ihm, dass er ein Recht dazu hat. Deutschland hängt an der Nadel. Es ist der Sozialstaat, der Suchtverhalten erzeugt. Da die Politik sich dafür mit Wählerstimmen belohnen lässt, sieht sie keinen Grund, dies zu ändern und die Sucht zu heilen. Aber sie muss nach immer neuen Wegen suchen, die Abhängigen mit ihrer Droge zu versorgen. Dass selbstbestimmte Staatsbürger auf diesem Weg wieder zu abhängigen Untertanen werden – die einen, weil sie für den Staat arbeiten müssen, die anderen, weil sie von seinen Wohltaten abhängig sind –, fällt niemandem auf, am wenigsten den verantwortlichen Politikern. Wenn ich auch nicht geradezu von „Beschaffungskriminalität“ sprechen möchte, überschreitet der Staat doch jede vernünftige Grenze, um an die benötigten Mittel zu gelangen. Zur Not ändert er Gesetze, erfindet immer neue Steuermöglichkeiten und plündert systematisch all jene aus, die nicht in die Suchtgruppe gehören und sich den Luxus von Fleiß und Selbstverantwortung leisten. Wer an der Nadel hängt, kommt schwer davon los. Der Bedarf an Sozialleistungen steigt jährlich. Entsprechend steigt auch die Notwendigkeit, die Sucht zu bedienen. Aber da sich selbst unter Politikern herumgesprochen hat, dass man die Bürger nicht zu Tode besteuern kann, entdeckte man einen unauffälligen Weg, das benötigte „süße Gift“ zu beschaffen: Man macht Schulden. Der Staat, der sich ein Heer von Suchtkranken herangezogen hat, beleiht die eigene Zukunft, um deren Bedürfnisse zu befriedigen. Der Staat, der die von ihm erzeugte Sucht befriedigen muss, hängt selbst an der Nadel. Er ist süchtig danach, Schulden zu machen. Und wie der Süchtige gar keine Abhilfe möchte, sondern immer mehr von seiner Dosis an künstlichem Glück, so weigert sich der Staat, zum einzigen Mittel zu greifen, das ihm Heilung bringt: die Stärkung der individuellen Freiheit, des Wettbewerbs und der Marktwirtschaft. Nur so entstehen Arbeitsplätze, nur durch Arbeit wird staatliche Suchthilfe überflüssig und ebenso deren Beschaffung durch Verschuldung. Aber, so fragt sich der Politiker, wo bleibt dann meine Rolle als Wohltäter? Die Antwort kann nur lauten: Freie Menschen brauchen keine staatlichen Wohltaten, schon gar nicht auf Pump – es genügt ihnen, wenn sie vernünftig regiert werden. Was geschieht aber, wenn die Leistungserbringer irgendwann in der Minderheit sind? Oder wenn ihr Ansehen derart beschädigt wird, dass sich die „politisch korrekte“ Wählermehrheit zugunsten der Leistungsempfänger entscheidet? Wenn sich die Spirale aus Sucht und Schulden immer schneller dreht? Dann stehen irgendwann die drei Elemente Demokratie, Marktwirtschaft und Menschenrechte selbst auf dem Spiel – und die Demagogen werden nicht zögern, das demokratische Dreieck für den allgemeinen Niedergang verantwortlich zu machen. Nicht die Süchtigen und die Schuldenmacher werden zu Schuldigen erklärt, sondern jene, die für den schmerzhaften Entzug plädieren und nicht genügend Stoff bereitstellen. Für die chronische Erkrankung unseres Staatswesens gibt es nur ein Heilmittel: Aufklärung. Eine klare Einsicht in die Wirklichkeit wäre der erste Schritt. Der zweite müsste in einer Entzugstherapie bestehen. Wie ein Drogenkranker von seinem Gift entwöhnt werden muss, um wieder er selbst zu sein, so kann unsere Gesellschaft nur dann zum Erfolg zurückkehren, wenn sie auf die lieb gewordenen Staatsgeschenke weitgehend verzichten lernt. Man wird sich erst „ausnüchtern“ und dann mit den gefürchteten „Entzugserscheinungen“ leben müssen. Wenn wir dazu nicht die Kraft aufbringen, werden wir auf Dauer den globalen Wettbewerb nicht bestehen können. Im Gegensatz zu den Ideologen, die die Globalisierung in schwärzesten Farben malen, sehe ich sie als Ausdruck der Kreativität der heutigen Menschheit. Wer an diesem Spiel teilzunehmen versteht, dem gehört die Zukunft. Zwar verlangen die Regeln dieses Spiels höchste Anstrengung – weshalb die Politiker lieber andere Regeln erfinden würden –, dafür bieten sie im Gegenzug aber auch Teilhabe am gesammelten Wissen und Wohlstand der Welt. Und das, so scheint mir, ist jede Anstrengung wert. Hans-Olaf Henkel war langjähriger Deutschlandchef von IBM, Präsident des BDI und ist heute Honorarprofessor an der Universität Mannheim. Zuletzt erschien sein Buch „Der Kampf um die Mitte“ (Droemer) (Foto: Picture Alliance)

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