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Markus Dohle - Der mächtigste Mann im Buchgeschäft

Ein Maschinenbauer wird zum mächtigsten Mann im globalen Buchgeschäft. Markus Dohle ist Chef von Penguin Random House, einem Megaverlag, der schon bald ein Viertel des weltweiten Buchmarkts kontrollieren wird

Autoreninfo

Thomas Schuler, geboren 1965, Absolvent der Columbia Journalism School in New York, lebt und arbeitet als freier Journalist in München. Er schreibt unter anderem für den SPIEGEL, die Süddeutsche Zeitung, die Berliner Zeitung und die Neue Zürcher Zeitung. Er ist Autor der Familienbiografien »Die Mohns« (2004) sowie »Strauß« (2006) und des Sachbuchs "Bertelsmannrepublik Deutschland" (2010) über die Bertelsmann Stiftung.

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Die ersten sechs Monate waren für ihn „ein Kampf aufs Messer“. Dass er einmal den weltgrößten Buchverlag führen sollte, ahnte er nicht, als Bertelsmann ihn von Gütersloh nach New York schickte. Dass ihm der Vorstandsvorsitzende einmal ins Gesicht gesagt hatte, er könne nicht führen? Schwamm drüber. 1992 kam Peter Olson an die Spitze von Bantam Doubleday – dem US-Verlag von Bertelsmann. 80 Prozent der Mitarbeiter seien gegen ihn gewesen, erzählte er später. Viele von ihnen hat er entlassen. Als Bertelsmann 1998 den Konkurrenten Random House kaufte und der weltgrößte Buchkonzern entstand, galt Olson über Nacht als mächtigster Mann im globalen Buchgeschäft.

Geschichte scheint sich doch zu wiederholen: Wieder gibt es eine Fusion. Die Medienkonzerne Bertelsmann und Pearson haben durch den Zusammenschluss ihres Buchgeschäfts den Giganten Penguin Random House geschaffen mit einem geschätzten Jahresumsatz von drei Milliarden Euro. Der Protagonist dieser Fusion heißt diesmal Markus Dohle. Ähnlich wie der ehemalige Banker Olson, der 15 Prozent Rendite von den Verlagen verlangte, wurde Dohle in der Buchbranche zunächst als Outsider wahrgenommen. Als Bertelsmann ihn 2008 nach New York schickte, galt Dohle als branchenfremd. Zuvor hatte er die Druckerei Mohn Media geleitet.

Der damalige Bertelsmann-Chef Hartmut Ostrowski begründete seine Entscheidung mit den Worten, Dohle habe ein Verkäufer-Gen und könne neue Wege finden, Bücher im Zeitalter des Internets zu verkaufen. Die New York Times fand es eher ungewöhnlich, „den bisherigen Chefmechaniker zum Chef einer Airline“ zu machen.

Wieder ein Outsider, ausgerechnet bei Random House, einem der traditionsreichsten Verlage der USA: Bennett Cerf und sein Freund Donald Klopfer starteten Random House 1927, um Bücher aus Lust und Laune zu verlegen, „at random“ – aufs Geratewohl. Cerf reizte es, Autoren zu entdecken. Ein größerer Gegensatz zum heutigen Geschäft der kühl kalkulierenden Megaverlage ist kaum vorstellbar.

Dohle hat nie ein Buch lektoriert, ein Manuskript oder einen Autor entdeckt, geschweige denn einen Bestseller lanciert. In New York kannte ihn niemand, und alle waren alarmiert und besorgt. „Er sieht aus wie ein 27-Jähriger“, sagten sie über den 40-Jährigen. Dohle sagte bei seinem Amtsantritt, er habe sein „ganzes Berufsleben in der Wertschöpfungskette des Buchverlagswesens gearbeitet“. Er meinte damit, dass er sich bei Druck und Vertrieb auskennt. Er spürte, dass er die Mitarbeiter in New York damit nicht überzeugte und gestand einem Kollegen später: „Die haben nicht auf mich gewartet.“

Sein Vorgänger Olson hatte vergeblich versucht, die Sympathie der Mitarbeiter zu gewinnen, indem er erzählte, dass er 80 bis 100 Bücher jährlich lese. Dass er deren Herzen nie eroberte und viele Mitarbeiter Random House verließen oder gefeuert wurden, schien ihn nicht zu kümmern. Als ihn 2003 eine Journalistin auf der Buchmesse in Los Angeles begleitete und er ehemalige Kollegen traf, sagte er außer Hörweite immer wieder: „Ich habe ihn gefeuert.“ Das wiederholte sich so oft, dass Olson schließlich erklärte: „Es sind so viele hier, die ich gefeuert habe, dass wir eine Wiedersehensparty feiern könnten.“ Olson war amüsiert. 2008 musste auch er gehen, weil seine Zahlen immer schlechter wurden.

Sein Nachfolger Dohle hat sein Managementhandwerk im Druckgeschäft gelernt, der Keimzelle des Medienkonzerns Bertelsmann. In der Eingangshalle der Druck- und Dienstleistungssparte Arvato in der Carl-Bertelsmann-Straße in Gütersloh erinnern eine alte Steindruckpresse und Reinhard Mohns Schreibtisch an diese Tradition. Auf dem Weg in sein Büro in den sechsten Stock ging Dohle jahrelang daran vorbei. Über Jahrzehnte kamen fast alle Vorstandschefs aus dem Druck-Bereich, ob Mark Wössner, Thomas Middelhoff, Gunter Thielen oder Hartmut Ostrowski. Finanz- und Steuerexperten wie Manfred Köhnlechner oder der jetzige Vorstandschef Thomas Rabe sind eher die Ausnahme von der Regel. Markus Dohle ist das einzige Mitglied im Vorstand, das aus der Zeit von Rabes Vorgänger überlebt hat.

Fünf Jahre nach seinem Antritt konnte er im März einen Rekordgewinn von 325 Millionen Euro vermelden. Der Umsatz der Buchsparte ist unter seiner Führung um ein Viertel gestiegen. Bücher, vor allem Literatur, waren nie seine Leidenschaft. Bei Bertelsmann hält sich hartnäckig das Gerücht, Dohle habe sich seine Bücherwand zu Hause vom konzerneigenen Buchclub einrichten lassen. Der Wirtschaftsingenieur sei „durch und durch Maschinenbauer“, sagt ein ehemaliger Arvato-Kollege.

Dohle wird 1998 Leiter der Vereinigten Verlagsauslieferung VVA, und 2002 Chef der Drucksparte Mohn Media. Die VVA verdoppelt unter seiner Leitung in vier Jahren den Umsatz. Dohle sei dort häufig in der Produktion herumgelaufen und habe jeden mit Handschlag und Namen begrüßt, erzählen seine ehemaligen Mitarbeiter. Als er in den Vorstand von Mohn Media aufrückt, habe er seine erste Woche im Blaumann an der Druckmaschine gestanden – auch in der Nachtschicht. Seine offene Art und sein breites Lachen wirken ansteckend. Er erwirbt sich den Ruf, die Umsätze in gesättigten Märkten steigern zu können. „Der Markt ist nie das Problem, sondern die Lösung“, lautet sein Credo.

Nach seiner Ernennung zum Chef von Random House 2008 traf Dohle sich sechs Monate lang mit Mitarbeitern, Autoren und Kunden, um den Buchmarkt zu verstehen. In seinen beiden ersten Jahren baute er das Unternehmen um. Größe sei nicht immer ein Vorteil, sagte er, um „schlankere Strukturen“ zu rechtfertigen. Er habe dem Verlag „neue Energie zugefügt“, registrierte das Fachblatt Publishers Weekly anerkennend. Anders als Olson, der gerne Vieraugengespräche führte, versammelt Dohle gerne 30 Mitarbeiter am Besprechungstisch. Wer an einer Entscheidung beteiligt sei, der vertrete sie, sagt er. Er bringt Verleger und Lektoren, die über erfolgsversprechende Manuskripte entscheiden, enger mit den Vertriebsleuten zusammen, die das fertige Buch an den Buchhandel verkaufen. War sein Vorgänger Olson wegen seiner Unberechenbarkeit gefürchtet, bewundern die Mitarbeiter Dohle für seinen Optimismus, den sie von einem Deutschen als Letztes erwartet hätten.

 

Dohle fördert den Teamgeist. An Weihnachten wurde jeder der 2000 Mitarbeiter in den USA am Rekordergebnis mit einer Prämie von 5000 Dollar beteiligt. Die Meldung lief überall. Nachdem die Fusion von Random House und Penguin am 1. Juli endgültig abgesegnet war, reiste Dohle drei Wochen lang von London bis Sydney und Neu-Delhi um die Welt, um sein Reich zu erkunden. Überall versicherte er den Mitarbeitern, dass Gewinn kein Selbstzweck sei, und sie Werte schaffen sollten. Um Synergien wird er sich später kümmern. Dohle sagt, für die Mitarbeiter werde sich kaum etwas ändern, man wolle aber den Autoren noch mehr dienen. Ihnen will Dohle klarmachen, dass kein anderer Verlagskonzern ihnen ein besseres Paket für den weltweiten Absatz ihrer Bücher bieten kann.

Der Schritt ist überfällig: Der neue Verlagsriese Penguin Random House entsteht aus Notwehr, weil der klassischen Verlagsbranche im Internet mächtige Konkurrenz erwachsen ist. Vor allem Amazon, aber auch Apple und Google wildern in deren Terrain. Am weitesten ist dabei Amazon fortgeschritten: Nachdem der Internet-Versandhändler im ersten Schritt die Leser überzeugt hat, dass sie keine Buchhandlungen mehr brauchen, versucht Amazon seit 2011, Autoren direkt unter Vertrag zu nehmen, um auch das Geschäft der klassischen Verlagsbranche zu übernehmen. Den Eroberungsfeldzug nennt Amazon „Crossing“ und setzt dabei vor allem auf hohe Preisnachlässe. Die neu gegründeten Verlage in den USA tragen andere Namen, um nicht sofort als Teil des Amazon-Imperiums erkennbar zu sein.

Vor zwei Jahren stellte Amazon Laurence Kirshbaum an, damit der frühere Agent und Mitarbeiter der Verlage Random House, Warner und Little & Brown Autoren anwirbt. Er und seine 25 Mitarbeiter verlegen bislang in fünf Verlagen in Seattle und zwei in New York monatlich drei, vier Bücher. Sie verpflichten vor allem Autoren, deren Bücher bei Amazon-Kunden beliebt sind. Datenbankauswertung statt „At random“-Verlegertum. Kirshbaum verlegt keine etablierten Star-Autoren, denen er hohe Vorschüsse zahlen müsste. Statt beim Wettbieten um die Stars mitzumachen, nimmt er lieber weniger bekannte Autoren unter Vertrag und steckt das Geld ins Marketing von deren Büchern. Auf dieselbe Art will Amazon jetzt in Europa angreifen. Amazon setzt dabei vor allem auf E-Books: An Aktionstagen drückt Kirshbaum seine Bücher für 99 Cent in den Markt, um seine Autoren bekannt zu machen.

Dohle will von Notwehr nichts hören: Die Fusion sei ein „proaktiver Schritt und keinesfalls defensiv“. Feindbild Amazon? Er schätzt den Internethändler als Partner, weil der in China Versandlogistik aufbaue und damit den Verlagen ermögliche, ihre Bücher zu verkaufen. „Alles, was den Vertrieb unserer Bücher ermöglicht und stärkt, ist gut für Penguin Random House“, sagt ein Mitarbeiter, der nicht namentlich genannt werden will. Ist Amazon ein Konkurrent? „Ja, aber nur in Teilbereichen. Wichtiger ist Amazon als Partner, der unser Interesse an einem starken Vertrieb teilt.“ Beim Verkauf von E-Books, einem der Wachstumstreiber für Dohle, bleibt Amazon als Vertriebspartner ohnehin unverzichtbar.

Außerdem will Dohle die Marktanteile in China, Indien und Brasilien vergrößern. Bislang hat Random House 70 Prozent des Umsatzes in Nordamerika und Großbritannien gemacht. Den größten Teil davon noch immer mit gedruckten Büchern – bis zu 80 Prozent. Der Megaverlag Penguin Random House wird in Zukunft ein Viertel des globalen Buchmarkts kontrollieren. Bertelsmann hält 53 Prozent; Pearson 47. Mehr als 10 000 Mitarbeiter in 250 Verlagen in 23 Ländern verlegen jährlich 15 000 Titel und verkaufen 750 Millionen Bücher.

Zu den Autoren zählen mehr als 70 Literaturnobelpreisträger, darunter Toni Morrison, Orhan Pamuk und Mo Yan, aber auch E. L. James mit ihrem Erotik-Bestseller „Shades of Grey“ genauso wie Arthur Miller, Barack Obama, Dan Brown, Danielle Steel und John Grisham. Qualität und Masse – alles im Angebot. Von Penguin kamen Tom Clancy, Zadie Smith, Salman Rushdie und Starkoch Jamie Oliver zur Autorenliste dazu.

Als die Fusion an einem Oktobertag im vergangen Jahr angekündigt wurde, wütete in New York ein Hurrikan. PR-Chef Stuart Applebaum übernachtete im Büro, um pünktlich zum Börsenbeginn in London die Nachricht des Zusammenschlusses rauszugeben. In letzter Minute hatte Rupert Murdoch Penguin ein Konkurrenzangebot unterbreitet – und damit die Verhandlungen ungewollt beschleunigt, weil der Großteil der Mitarbeiter in London auf keinen Fall für Murdoch arbeiten wollte. Seither verlaufe alles nach Plan, sagt Applebaum. Alle Kartellbehörden genehmigten die Fusion ohne Auflagen.

Branchenexperten vermuten, dass dies nicht das Ende, sondern der Beginn einer neuen Fusionswelle ist. Der Wirtschaftskommentator Adam Davidson schreibt in der New York Times, der Zusammenschluss zweier Giganten auf einem schrumpfenden Markt wirke immer wie ein kriselndes Ehepaar, das ein Baby bekommt, um die Beziehung zu retten. Größe als Antwort auf die Herausforderungen der Digitalisierung sei eine veraltete Strategie. Eine frühere Führungskraft von Bertelsmann, die 1998 an der Übernahme von Random House beteiligt war, sieht es ähnlich: „Von der Fusion halte ich nichts.“ Das Management sei nun vor allem mit der Integration befasst.

Dohle veranschlagt für das Zusammenwachsen der Verlage zwei Jahre. Dabei gehe wertvolle Zeit im Wettbewerb gegen Amazon, Google und Apple verloren. Zudem habe Pearson relativ gesehen einen zu großen Anteil erhalten. Deshalb sei es für die Engländer ein Einstieg in den renditeträchtigen Ausstieg, der nicht lange auf sich warten lassen werde. Am Ende könnte Bertelsmann alleine auf einem schwachen Geschäft sitzen bleiben.

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