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Ölbohrung unterm Acker - Brandenburg träumt vom schwarzen Gold

Energiewende? Weg vom Öl? Von wegen. Auf einem Brandenburger Feld wird nach Erdöl gebohrt. Zwei Männer treiben die Suche nach dem Rohstoff voran

Autoreninfo

Stefan Tillmann ist Chefredakteur und zweiter Geschäftsführer der Berliner Stadtmagazine tip Berlin und ZITTY. Gerade ist er in Elternzeit.

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Bürgermeister Wolfgang Gliese fährt zum Bohrturm, parkt seinen Jeep, postiert sich hinter der rot-weißen Schranke und besichtigt seinen Traum. Zweimal die Woche ist er hier, während die Probebohrungen laufen. Natürlich weiß er, dass der Bohrturm bald verschwindet, dass er vielleicht nie wiederkommt. Aber jetzt will er nichts verpassen, er möchte sichergehen, dass das hier läuft, auch wenn er nicht genau weiß wie. Gliese ist kein Mann von Welt, neben dem Bürgermeisteramt arbeitet er als Versicherungsmakler. Er sagt: „Das hier ist ein Sechser im Lotto, kommunal gesehen.“

Wolfgang Gliese, Oberhaupt der Gemeinde Schwielochsee im Südosten Brandenburgs, träumt vom schwarzen Gold. Auf einem Acker am Waldrand, zwischen den Ortsteilen Guhlen und Ressen, hat die kanadische Ölfirma Central European Petroleum – kurz CEP – Anfang des Jahres eine Betonwanne asphaltiert, groß wie ein Fußballfeld. Im August haben Arbeiter den Bohrturm aufgebaut, 54 Meter, ein Stück hinter der Schranke, vor der Gliese steht. Ein Bohringenieur sagt gerade, dass der Bohrkopf auf „über 2000 Meter Teufe“ sei. Er sagt „Teufe“, nicht Tiefe, Bergmannsprache. Ab dieser Tiefe könnte Gas austreten, Betreten verboten. Gliese blickt auf die Männer, die Helme tragen, rote und blaue Overalls. In den Beintaschen stecken rote Gasmasken. Bohringenieure und Bohrgeologen, Klempner und Elektriker. Auf den Helmen haben sie bunte Aufkleber aus den Ländern, in denen sie waren: Venezuela, Nigeria, Kanada.

[gallery:Öl - Das schwarze Gold wird knapp]

Die Probebohrungen sind inzwischen abgeschlossen. Bis auf 2830 Meter Tiefe gingen sie runter. Seit November wertet CEP die Daten aus, ein Jahr lang. Die Firma hat keine Zweifel mehr, dass da unten Öl ist. Grob kalkuliert, könnte es drei Milliarden Euro wert sein, auf Jahrzehnte verteilt. Die Frage ist, ob es sich auch fördern lässt, ob das Gestein passt, und ob all die Behörden die neue Bohrung und den Transport genehmigen. All das weiß noch niemand. So lange müssen in Guhlen vor allem zwei Männer bangen: Bürgermeister Gliese und Thomas Schröter, der Leiter des Projekts, ein Ölveteran.

Es sind diese beiden Männer, die aus dem 230-Einwohner-Dorf Guhlen eine deutsche Erdölmetropole machen wollen. Und die zum Schrecken von Umweltaktivisten geworden sind. Zwei Männer, sehr unterschiedlich und doch verbindet sie viel. Thomas Schröter, 56 Jahre alt, Berliner, seit 30 Jahren ist er unterwegs, fünf Kontinente, zwölf Mal Geschäftsführer in acht verschiedenen Ländern. Wolfgang Gliese, auch 56, Brandenburger, ist in seinem Leben erst einmal umgezogen, 1979 für seine Frau von Beeskow nach Siegadel, 30 Kilometer.

Gliese gehört der CDU an, er will den Erfolg für sich und seine Kommune. Die blüht nicht gerade – und da ist das Öl eine Chance. Schröter geht es vor allem um Anerkennung. Der promovierte Bohrgeologe will zeigen, dass sich auch in Deutschland Öl fördern lässt, und dass seine Profession noch gebraucht wird in einer Zeit, in der das Land weg will von fossilen Rohstoffen und kein Mensch mehr von Ölförderung spricht.

Seite 2: Brandenburg schwimmt auf Öl

An den Wänden von Schröters Büro in Berlin-Mitte hängen Karten von Ölfeldern aus der ganzen Welt, hinter der Tür stehen Sicherheitsschuhe, am nächsten Tag will er wieder raus nach Guhlen. Mit dem Zeigefinger fährt er über eine Karte und schildert seine Ölkarriere: Golf von Louisiana, Libyen, Kasachstan, Venezuela, parallel Indonesien, irgendwann Kuwait und Aserbaidschan. Auf dem Schreibtisch stehen drei Schnapsflaschen, gefüllt mit leichtem und schwerem Öl. „Von meinen chinesischen und ukrainischen Abenteuern“, sagt er.
Schröter wollte ein Geologenleben: zerbeulte Jeans tragen, in Jeeps durch die Wüsten dieser Erde fahren. Er hat seine Ehe strapaziert, der Sohn wurde in den USA geboren, erst kurz vor der Geburt der Tochter haben sie Libyen verlassen. Und jetzt soll ausgerechnet in Brandenburg ein Ölfeld liegen. 100 Kilometer entfernt von seiner Geburtsstadt Berlin. Es hat beinahe etwas Tragisches.

Die Geschichte vom Brandenburger Öl begann vor Schröters Zeit bei CEP. Sie klingt fast wie ein Witz: Ein Äthiopier und ein Kanadier gehen zu einem Holländer, das war im Jahr 2005. Der Holländer, Jacobus Bouwman, war deutscher Honorarkonsul im kanadischen Calgary. Die anderen kamen von der Ölfirma CEP und hatten eine Karte dabei: mit geophysikalischen Daten und Ölvorkommen, in Polen und der Nordsee. Bouwman sollte den weißen Fleck in der Mitte erklären und sagte sofort: Es gibt keine geologischen Gründe, es ist das alte DDR-Gebiet, da fehlen einfach die Daten – 20 Jahre Lücke.

Bouwman heuerte bei CEP an, er fragte den Geologen Schröter zum ersten Mal 2010, ob in seiner Heimat nicht vielleicht Öl liegen könnte. „Da ist doch jeder Stein umgedreht und ausgewertet, da finden sie nichts mehr“, sagte Schröter damals. Heute sagt er: „Öl wird im Kopf gefunden.“ Er ist Vice-President von CEP, die Firma hat 35 Mitarbeiter, zwölf davon in Berlin. Er leitet die Probebohrung in Guhlen und drei weitere in Mecklenburg. „Es gibt überhaupt keinen Zweifel. Brandenburg schwimmt auf Öl, Mecklenburg auch.“ Er habe keine befriedigende Erklärung gefunden, warum 20 Jahre lang keine Firma gebohrt hat, auch keine deutsche. Er hat einen Atlas, herausgegeben vom Brandenburger Landesamt für Bergbau, Geologie und Rohstoffe. „Trebatsch-Mittweide: Ölfeld, Schlepzig: Ölfeld, Tauer: Öl, die Wellmitzer Lagune: voll mit Öl, Pilgram: Öl – ringsherum bekannte Ölfelder.“ Dass die DDR die Erkundung und Förderung in den achtziger Jahren fast einstellte, habe wohl eher politische Gründe gehabt.

Das Ölfeld in Guhlen könnte rund fünf Millionen Tonnen liefern, das ist fünfmal mehr als der durchschnittliche Fund in Europa in den vergangenen Jahren. Auf 30, 40 Jahre verteilt, könnte doppelt so viel gefördert werden wie im Jahr 2011 in ganz Deutschland, wo vor allem in der Nordsee gebohrt wird. Es geht um Milliarden für CEP – und um zig Millionen an Gewerbesteuer für Bürgermeister Glieses Gemeinde.

Es war ein langer Weg, bis der Ölveteran Schröter und der Bürgermeister Gliese merkten, was sie verbindet: Beide mögen es, wenn Dinge funktionieren, Schröter aus wissenschaftlicher Sicht, Gliese auf der menschlichen Ebene. Schröter rechnet gerne um, spricht von „aufmetern“, Glieses Lieblingswort ist „richtig“. Schröter kann lange über salziges Formationswasser sprechen, über Sporen- und Kluftspeicher. Gliese sagt Sätze wie: „Natürlich gibt es immer Betroffene, das bleibt nicht aus, aber sie müssen das so machen, dass der größte Teil nicht betroffen ist, und dass der größte finanzielle Nutzen rauskommt.“

Seite 3: „Wirtschaftlich ist hier nichts”

Wolfgang Glieses Büro liegt versteckt im Gemeindehaus, ein Schild ist notdürftig an die Tür geklebt: „Bürgermeister“. Gliese erzählt Geschichten aus seiner Gemeinde: Dass früher die Kleinbahn aus Cottbus kam, in Goyatz die Kähne belud und dann über die Spree Berlin versorgte. Dass zu DDR-Zeiten Sachsen in den Ferien kamen, weil sie hier Westfernsehen gucken konnten. Heute leben 1700 Menschen in seiner Gemeinde, verteilt auf elf Ortschaften, zu weit von Berlin. „Nur vom Tourismus können sie die Region nicht unterhalten. Wirtschaftlich ist hier überhaupt nichts, ein Landwirtschaftsbetrieb, kleine Handwerker, sonst nichts.“

Von einem möglichen Ölfeld hörte Gliese noch vor Schröter. Vor rund vier Jahren landete eine Einladung zu einer CEP-Veranstaltung in seinem Briefkasten. Jacobus Bouwman, da schon in Diensten von CEP, stellte seine Pläne vor. An jenem Abend im Café am See ging es um Seismik, um die Vermessung des Bodens mithilfe von Signalen. Die einen dachten an unterirdische CO2‑Speicher und ans Grundwasser, andere an Bilder von schlammigen Ölraffinerien in Texas. Gliese fragte nur: „Was springt da für uns raus?“

Die Auskunft war ernüchternd. Dem Land Brandenburg stünden 10 Prozent der Förderquote zu, immer am Fördertag zum aktuellen Marktpreis. Die Gemeinde hätte nur auf Umwegen etwas davon. Gliese war dagegen. Er hatte gerade als Bürgermeister angefangen und sich viel vorgenommen. Er dachte an erneuerbare Energien. In der Umgebung sind bis zu 38 Windräder geplant, bis zu 140 Meter hoch. Die Windräder bringen Geld, aber auch Ärger mit den Anwohnern. Was würde erst Öl für ein Theater geben, einen Lärm, einen Schmutz?

So blieb Gliese stur, wie Brandenburger eben stur bleiben können. Jahrelang. Auch später, als er Thomas Schröter kennenlernte. Der war inzwischen an Bord und hatte ihm einen Aktenordner geschickt, den „Hauptbetriebsplan“, Hunderte Seiten voller Daten und Tabellen. CEP hatte eine sogenannte Aufsuchungserlaubnis für Guhlen beantragt. Alle Träger öffentlicher Belange mussten befragt werden: jede Gemeinde, jeder Kreis, jedes Amt, egal ob Umwelt, Bundeswehr, Wasserschutz. Gliese verstand nichts aus dem Aktenordner und sagte: „Wozu sollen wir zustimmen?“ Antrag abgelehnt. Für einen Moment war das Projekt gestorben.

Doch Schröter gab den Traum vom Öl in Brandenburg nicht so schnell auf, drei Tage später rief er Gliese an. Er lud ihn und zehn Gemeindevertreter nach Usedom-Lütow ein, wo CEP bereits bohrte. Kein Lärm, kein Schmutz, weil die Pumpe ein geschlossenes System ist. Damals ließ Schröter auch die Zahl fallen, um die es gehen sollte: rund drei Milliarden Euro. Als er Gliese versprach, dass CEP im Erfolgsfall eine Niederlassung in Guhlen eröffnen würde und die Gemeinde die ganzen Gewerbesteuern bekäme, da hatten sich die zwei gefunden. Heute sagt Gliese, die Zusammenarbeit sei „inzwischen, wie man es sich wünscht“, und Schröter sagt, dass man sich erst finden musste. Heute steht der „Hauptbetriebsplan“ im Regal von Glieses Büro. Er ist nur ehrenamtlicher Bürgermeister, die „Bestandskundenprovision“ in seinem Job als Versicherungsmakler sichert ihm das Einkommen. So kann er viel Zeit für Schwielochsee aufwenden. Er redet schon vom Straßennetz, das er sanieren würde, von Radwegen, der Ganztagsschule, der Strandpromenade – ja, wenn die Probebohrung ein Erfolg wird und alle Genehmigungen klappen.

Seite 4: Die Risiken der Ölförderung

Das ist noch ein weiter Weg. Öl hat keinen guten Ruf. Deutschland war ein Land der Kohle, des Stahls, heute soll es das Land der erneuerbaren Energien werden, auch Erdgas wird zu 16 Prozent im Inland produziert. Ein Land des Öls ist es nie gewesen, 2,6 Prozent seines Erdölbedarfs produziert Deutschland selbst. Der Rest kommt vielfach aus politisch heiklen Ländern wie Venezuela, Libyen, Nigeria oder Saudi-Arabien.

Umweltorganisationen wollen die Abhängigkeit vom Öl überwinden. Christoph Lieven, Energieexperte bei Greenpeace, hält es angesichts des Klimawandels „für verrückt, weiter auf fossile Energieträger zu setzen“. Ölförderung sei riskant. Bei einer Bohrung müsse eine Gasblase angestochen werden, die sich über dem Öl befindet, sagt er. Dabei könne es sogar zum Blowout kommen, bei dem Gas und Öl unkontrolliert austreten. „Es gibt weltweit nur sehr wenige Ölbohrungen, bei denen es nicht zu Umweltverschmutzung durch Öl oder Produktionswasser kommt.“ Zudem findet es der Greenpeace-Mann unverantwortlich, eine kleine Firma wie CEP bohren zu lassen. „Die hat gar nicht ausreichend Substanz, um für eventuell entstehende Schäden auch geradezustehen.“ Schröter räumt ein, CEP sei „in der Tat überschuldet“, aber das sei normal, schließlich sei in Deutschland noch kein Öl geflossen. Dass sie für Schäden aufkommen könnten, hätten sie beim Bergamt nachweisen müssen.

Wenn Schröter über Öl redet, ist es immer ein bisschen so, als müsste er sein Leben verteidigen. In seinem Büro zeigt er auf den Stuhl und den Teppichboden. „In fast allen Sachen aus Plastik steckt Erdöl drin“, sagt er, „auch in Windradrotoren“. Öl als Energieträger? Dummes Zeug, das Öl sei eigentlich viel zu schade zum Verbrennen. Menschen, die den Stoff für nicht mehr zeitgemäß halten, solle man die Weihnachtskerzen wegnehmen.

Schröter sagt, es sei ein Riesenvorteil, in Deutschland zu bohren. Es gebe Rechtssicherheit, die führende Umweltgesetzgebung. „Und keine durchgeknallten Scheichs.“ So musste CEP einige Dinge regeln, bevor dieses Jahr die Probebohrungen begannen. Bereits 2009 räumten Spezialfahrzeuge Panzergranaten, Fliegerbomben und Tellerminen weg, dafür brauchten sie keine Genehmigung. Ein Biologe suchte nach Fledermauskolonien und Ameisenhaufen. Und in einer alten Windmühle wohnt die Familie Müller, nur 700 Meter neben der Bohrstelle. Sie wollte nicht, dass insgesamt 1200 Lkw vorbeifahren. Ihr kleiner Hund würde hinter jedem Wagen hinterherlaufen und irgendwann totgefahren werden. Schröter und Gliese haben einen alten Waldweg ausfindig gemacht und so ausgebaut, dass die Transporter kein Haus passieren mussten.

Schließlich, im August, hat CEP innerhalb von zwölf Tagen einen Bohrturm in Usedom abgebaut, auf 150 Lkw geladen und in Brandenburg wieder aufgebaut. Zwölf Millionen Euro hat das Projekt bislang gekostet. Einiges bleibt in der Region, 34 der 40 Arbeiter schlafen in Pensionen, der Rest in Containern am Turm, 30 Handwerker aus der Gemeinde waren im Einsatz. Was wäre erst los, wenn es klappt. Wenn der Rohstoff sprudelt, wenn die alte Bahnlinie Lübben-Beeskow wieder eröffnet, wenn eine Pipeline gebaut wird und wenn dann das Öl zu den Raffinerien strömt. Weltweit führt im Schnitt nur jede zehnte Probebohrung zum Erfolg. Thommas Schröter sieht für Guhlen die Wahrscheinlichkeit bei 30 Prozent, die Chance, dass sich der Traum erfüllt. 

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