Attac(ke) rückwärts

Die erfolgsverwöhnten Globalisierungsgegner sind aus dem Tritt geraten. Innere Streitigkeiten, die Unterwanderung durch linksextreme Gruppen sowie Mobilisierungs- und Finanzprobleme signalisieren eine ungewisse Zukunft.

Im Internet betreibt Attac immer noch business as usual. „Neoliberale Globalisierung – viele Verlierer, wenige Gewinner“ ist nur eine von den markigen Parolen der Globalisierungsgegner im Netz. „Globalisierung ist kein Schicksal – eine andere Welt ist möglich“, machen sich die Aktivisten Mut. Attac, das ist für sie eine „Bewegung mit Zukunft“. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus. Attac steckt in einer Mobilisierungskrise. Nach einem mehrjährigen Aktions- und Organisationschaos hat sich die Dynamik der Bewegung deutlich verlangsamt. Noch im Frühjahr 2004 erschien Attac in Deutschland als Dach einer neuen Außerparlamentarischen Opposition. „Weg mit der Agenda 2010 – Der Widerstand muss weitergehen!“, skandierten die Attac-Aktivisten. Das Erfolgskonzept der Globalisierungskritiker, einfache Parolen und öffentlichkeitswirksame Inszenierungen, schien einmal mehr aufzugehen. Doch der Schwenk in die Innenpolitik ist den Globalisierungsgegnern nicht gut bekommen. In der Konkurrenz mit den Gewerkschaften haben sie den Kürzeren gezogen. Die Stimme von Attac ist kaum noch vernehmbar, zu ungleich ist die Kräfteverteilung. Die Gewerkschaften vertreten sieben Millionen Mitglieder, Attac nur 15000. Durch die innenpolitische Orientierung gerät Attac zunehmend in den Schatten der organisatorisch schlagkräftigen Arbeitnehmerorganisationen. Auch inhaltlich sind die Gräben tief. In der Handelspolitik etwa gibt es bei den Gewerkschaften starke Stimmen für die Abschottung der Märkte, die Globalisierungsgegner dagegen fordern einen gerechten Welthandel. Ähnlich ist es beim Umweltschutz. Die Gewerkschaften wollen Arbeitsplätze sichern, Attac sieht dagegen vorrangig den Schutz der Natur. Ausgerechnet in dieser schwierigen Situation ist Attac in einer Finanzkrise. Die Misere begann mit dem Jahresetat 2003, als 1,3 Millionen Euro eingeplant waren. Doch der Etat beruhte auf einem Rechenfehler. Um das Defizit auszugleichen, müssen die Aktivisten in diesem Jahr rund 95000 Euro einsparen. Schon im September 2003 warnte die vierköpfige Finanz-AG die Geldhüter von Attac: „Wenn in 2004 keine drastischen Einschnitte vorgenommen werden oder keine erhebliche Erhöhung der Einnahmen stattfindet, wird Attac im Laufe von 2004 zahlungsunfähig.“ Sparmaßnahmen sollen den Haushalt entlasten. So ist der Attac-Rundbrief seit dem Frühjahr 2000 nur noch für Mitglieder und Spender kostenlos. Die Finanzlage hat sich zuletzt zwar entspannt, doch das Geld bleibt knapp. „Wir brauchen weiter dringend Spenden“, sagt Sabine Leidig, Mitglied der Attac-Finanz-AG. Das Finanzgebaren von Attac bleibt aber undurchsichtig. Mitgliedsorganisation und Rechtsträger der globalisierungskritischen Organisation ist der Verein „Share“, der Spendenkonten unterhält. Für einzelne Aktionen werden neue Konten eingerichtet. Das Budget von Attac kommt im Wesentlichen aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden. Dazu erhält die Organisation vereinzelt Projektzuschüsse, etwa von der Heinrich-Böll-Stiftung oder dem Ausschuss für entwicklungsbezogene Bildungsarbeit der evangelischen Kirche. Zu den Unterstützern zählt auch die PDS-nahe Rosa-Luxemburg-Stiftung. Sponsoring lehnt die Organisation ab, um ihre Unabhängigkeit nicht zu gefährden. Bis August 2003 konnten 120000 Euro Drittmittel akquiriert werden. Geld fließt dem Netzwerk auch aus der „Bewegungsstiftung“ zu. Zehn Stifter haben einen Fonds mit insgesamt 250000 Euro ausgestattet. Bei den Stiftern handelt es sich um einen Kreis solventer, politisch links stehender Personen. Die „Bewegungsstiftung“ unterstützt ebenso Kampagnen gegen eine Ölpipeline durch Ecuador wie ein „Aktionstraining“ für gewaltfreien Widerstand. Sie übernimmt außerdem Patenschaften für Vollzeitaktivisten wie Sven Giegold, um deren Lebensunterhalt zu sichern. Zu den organisatorischen Problemen kommt die inhaltliche Überforderung vieler Mitglieder mit der komplizierten Materie der internationalen Wirtschaftsordnung. Zwar bemüht sich Attac als „Bildungsbewegung mit Aktionscharakter“, die Mitglieder inhaltlich und methodisch zu schulen. Für eine breite Öffentlichkeit lassen sich Themen wie Devisenspekulationen, die Organisation der internationalen Finanzmärkte und das Funktionieren von Währungsfonds, Weltbank und Welthandelsordnung aber nur schwer vermitteln. Die unkoordinierte Vielfalt ihrer Aktionen – gegen Hartz IV, Vodafone, McKinsey, den Börsengang der Bahn, die Liberalisierung in der EU oder die Verschuldung Argentiniens – zeigt das Dilemma der Globalisierungskritiker. Als Daueraktivisten sollen sich die Mitglieder an Protestaktionen beteiligen, in komplexe Materien einarbeiten und nach Möglichkeit auch noch an den Sozialforen in Florenz, Paris, Porto Alegre oder Bombay teilnehmen. Attac ist in eine Orientierungskrise geraten. Die Aktionitis soll das übertünchen, sie offenbart aber nur eine immer weitere Zerfaserung. Begonnen hatte der Protestzug der Globalisierungskritiker auf internationaler Ebene. Seit dem Weltwirtschaftsgipfel von Seattle im Dezember 1999 war kaum ein Treffen internationaler Finanz- und Wirtschaftsorganisationen ohne Proteste geblieben. Mit gewalttätigen Demonstrationen und Straßenschlachten machten militante Globalisierungsgegner auf sich aufmerksam. In Seattle sprengten sie die Welthandelskonferenz, bei den Gipfeltreffen der EU in Göteborg und der G 8 in Genua 2001 lieferten sie sich bürgerkriegsähnliche Straßenschlachten mit der Polizei. Bei der „Battle of Seattle“ kam es zu 500 Festnahmen. In Genua starb ein Demonstrant durch eine Polizeikugel. Der omnipräsente, militante Konferenzprotest ist zwar abgeflaut. Aber die gewalttätigen Auseinandersetzungen und die mediale Aufmerksamkeit wirkten wie ein Katalysator für die Entstehung des globalisierungskritischen Netzwerkes. Heute hat Attac 90000 Mitglieder in 50 Ländern, 30000 davon in Frankreich. Die Bezeichnung Attac steht für „Association pour une Taxation des Transactions Financières pour l’Aide aux Citoyens“ („Vereinigung für eine Besteuerung von Finanztransaktionen zum Wohle der Bürger“). Die Gründung 1998 in Frankreich war eine Folge der Asienkrise und der dadurch Mitte der neunziger Jahre ausgelösten Turbulenzen an den internationalen Finanzmärkten. In Deutschland ist Attac seit 2000 aktiv. Die Organisation ist ein buntes Netz aus 174 Mitgliedsorganisationen und rund 15000 Einzelmitgliedern. Zu Attac gehören linksextreme Gruppierungen, christliche Friedens- und Umweltgruppen ebenso wie einzelne Gewerkschaften. Neben der Trotzkistenorganisation „Linksruck“ sind die „Humanistische Partei Deutschlands“, die Redaktion der marxistischen Zeitschrift „Sozialismus“, „Die sozialistische Jugend“ und die Wählerinitiative „Lebendige Demokratie“ dem PDS-Umfeld zuzurechnen. Zu den Mitgliedsorganisationen gehören aber auch die antikapitalistische „Initiative für Natürliche Wirtschaftsordnung“, die streng marxistisch orientierte „Sozialistische Alternative“ und die trotzkistisch beeinflusste Gruppe „Euromärsche“. Aus den Reihen der Gewerkschaften sind Verdi, der GEW-Bundesverband und die DGB-Jugend vertreten. Da Parteien nicht Mitglied sein dürfen, treten einige lokale Verbände der DKP, der PDS und der Grünen sowie der SPD-Bezirk Hessen Süd als Unterstützer auf. Die Vielzahl der Gruppen und die Entscheidungsstrukturen von Attac sind kaum zu überschauen. Radikale linke Gruppen haben bei den Globalisierungsgegnern aber großen Einfluss. Im Koordinierungskreis, einer Art Vorstand von Attac, sitzen mehrere PDS-nahe Mitglieder sowie Vertreter der DKP und anderer trotzkistischer und linksextremer Gruppierungen. Das führt immer wieder zu Streit. Das katholische Missionswerk „Missio Aachen“ ist wegen der linksextremen Ausrichtung von Attac bereits wieder aus dem Netzwerk ausgetreten. Die Abgrenzung der Globalisierungsgegner zu linksextremen Splittergruppen ist ein Dauerthema. Bei der Berliner Montagsdemonstration führte dies sogar zu einer vorübergehenden Spaltung, da die Globalisierungsgegner dem Aktionsbündnis „Montags-gegen-2010“ vorwarfen, von der Marxistisch-Leninistischen Partei MLDP unterwandert zu sein. Attac steckt auch in einer Abgrenzungs- und Identifikationskrise. Das breite Spektrum der Mitgliedsorganisationen zwingt Attac bei der Formulierung seiner Forderungen seit jeher zu vorsichtigem Taktieren. Jede zu deutliche Position könnte einzelne Gruppen ausschließen und das Zweckbündnis sprengen. Attac muss daher den Minimalkonsens suchen und konkrete Lösungskonzepte meiden. Aufgrund dieses Strukturproblems steckt Attac in einer Glaubwürdigkeitskrise: Inhaltlich nur beschränkt handlungsfähig, können die Globalisierungskritiker keine substanziellen Alternativen anbieten. Um das Netzwerk überhaupt zusammenzuhalten, hat Attac den Konsens zum unantastbaren Prinzip seiner Organisationskultur erklärt. Wenn auf dem „Ratschlag“, der Vollversammlung von Attac, oder im Koordinierungsausschuss keine Einigkeit erreicht wird, können Positionen nicht bezogen, Aktionen nicht durchgeführt werden. Mehrheitsabstimmungen finden nicht statt. Die labilen Organisationsstrukturen leiden zudem an mangelnden Disziplinierungsmöglichkeiten gegenüber der Basis. Dies offenbarte der Antisemitismusstreit im vergangenen Herbst. Auslöser war die Teilnahme von Skinheads an einer Attac-Demonstration. Auf dem „Ratschlag“-Treffen in Aachen im Oktober 2003 wurde das Thema kontrovers diskutiert. Nach der Verteilung eines Flugblattes, das Israel des „Völkermordes“ an den Palästinensern bezichtigte und Michel Friedman diffamierte, war es zum Eklat gekommen. In einer Abschlusserklärung konnte man sich aber lediglich auf Formelkompromisse einigen. Dabei blieb das Verhältnis zu palästinensischen Terroristen ebenso unbeantwortet wie die Frage, wo Antisemitismus beginnt. In den Reihen von Attac feiert vor allem die Gruppe „Linksruck“ die Terrorgruppe Hamas als Befreiungsorganisation. Astrid Kraus, Mitglied des Koordinierungsausschusses, räumt ein, dass der Ausschluss solcher Gruppen momentan nicht möglich sei. Die Glaubwürdigkeitskrise wird damit weiter verschärft. Über allem hängt für Attac das Damoklesschwert einer neuen Linkspartei. Seit Wochen gibt es in der Organisation heftige Diskussionen um Chancen und Risiken eines solchen Projektes. „Attac darf nicht zum Instrument von Parteien werden“, sagt Antiglobalisierungsfunktionär Peter Wahl. Die Gründung einer Linkspartei könnte das globalisierungskritische Netzwerk tatsächlich untergraben. Schon jetzt sind die personellen Verflechtungen mit der neuen Partei beachtlich. So hielt Sabine Lösing, Mitglied des Attac-Rates, im Juni auf der Bundeskonferenz der Wahlalternative die Eröffnungsrede. Auch an der Basis gibt es zahlreiche Attac-Anhänger, die sich für die neue Linkspartei stark machen. Um sich in der Öffentlichkeit und unter den linken Splittergruppen zu behaupten, droht den Globalisierungskritikern jetzt eine Radikalisierung. So heißt es in einem Faltblatt zum „Heißen Herbst“: „Attac wird sich daher aktiv an den Protesten beteiligen – mit eigenen Initiativen und in Bündnissen, mit Aufklärungsarbeit, Straßenaktionen und zivilem Ungehorsam.“ Einen Vorgeschmack auf die neuen Protestformen gab es während der Attac-Sommerakademie in Dresden. Während in der „Volksküche“ streng vegetarisch und gesund getafelt wurde, gab es zum Abschluss Berge edler Schokolade. Für die Sonderverpflegung hatten linksradikale „Umsonst-Gruppen“ gesorgt. Zu deren Repertoire gehören auch das gemeinsame Schwarzfahren, das Zugreifen in Modegeschäften oder die Erstürmung von Museen und Kinos, ohne zu bezahlen. Auch die Schokolade in Dresden war ausnahmslos geklaut. Ralf Thomas Baus ist Leiter der Arbeitsgruppe Innenpolitik der Konrad-Adenauer-Stiftung

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