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() Kanzlerin Merkel und Präsident Obama besprechen ihre Differenzen vor dem G-20-Gipfel
G-20-Gipfel: Washingtons fatale Denkfehler

Zoff ist angesagt auf dem G-20-Gipfel der führenden Wirtschaftsnationen in Seoul. Zwischen den USA auf der einen Seite sowie Deutschland und China auf der anderen tobt ein Streit um Exportüberschüsse und Währungspolitik. Präsident Barack Obama hatte gefordert, führende Exportnationen (wie Deutschland) müssten ihren Handelsüberschuss deckeln und stattdessen mehr für die heimische Nachfrage tun. Die Bundeskanzlerin hat diesem Ansinnen eine klare Absage erteilt. Zu Recht.

Aufschlussreich für die wirtschaftspolitische Gesinnung in Washington ist Obamas Postulat: „Das Wichtigste, was die USA für die Weltwirtschaft tun können, ist es zu wachsen.“ Einspruch, Mister President! Das Wichtigste, was die USA tun können, ist nämlich, das maßgeblich von ihr erschütterte Vertrauen in eine stabiles und funktionierendes Weltfinanz- und Wirtschaftssystem nachhaltig wiederherzustellen. Der Zielvorgabe Obamas liegt der gleiche fatale Denkfehler zu Grunde, der zur Finanzkrise geführt hatte: ein hochriskanter Wachstumskurs auf Biegen und Brechen, dem alles untergeordnet wird, insbesondere die berühmten und bewährten Grundsätze des ehrbaren Kaufmanns. Wir erinnern uns: Auf Druck der Wall Street und der Londoner City hatten die amerikanische und britische Regierung gegen kontinentaleuropäische Bedenken eine Deregulierung ihrer Finanzsysteme und damit des Weltfinanzsystems betrieben. Exzessives Investment-Banking mit seinen kurzfristig riesigen Gewinnen und Boni wurde damit möglich. Das Ende vom Lied ist bekannt. Offenbar muss man den Amerikanern verdeutlichen – schließlich gibt der Präsident die überwiegende Meinung in US-Wirtschaftskreisen wieder -, was die elementare Grundlage eines stabilen Wirtschaftssystems ist: nämlich das Vertrauen der Marktteilnehmer in seine dauerhafte Funktionsfähigkeit. Wird es erschüttert oder geht es gar verloren, bricht die Weltwirtschaft zusammen – mit allen verheerenden Folgen für Arbeitsplätze, Wohlstand und Lebensperspektiven für Milliarden von Menschen weltweit. Der wirtschaftspolitische Kurs Washingtons ist aber seit Jahren auch abgesehen von der Deregulierung des Bankensektors wenig vertrauenswürdig: Obamas Vorgänger Bush trieb die Verschuldung des Landes in den wenigen Jahren seiner Amtszeit auf ein Rekordniveau. Mitursächlich war ein gigantisch aufgeblähter Militärhaushalt, zu dessen ebenfalls historisch einmaligen Größe niemand auf der Welt Washington gezwungen hat. Nur eine Woche vor dem G-20-Gipfel hat die US-Notenbank durch den 600 Milliarden Dollar schweren Aufkauf zusätzlicher Staatsanleihen ihre laxe Geldpolitik forciert. Mit der Schwächung des Dollars will sie die amerikanische Exportwirtschaft ankurbeln. Gleichzeitig wirft die USA aber China seit langem und zu Recht unsolide Wechselkurstricks und damit „Währungsdumping“ vor. Nachdem die Fed nun unverblümt eine ähnliche Politik betreibt, wird die Kritik an Peking natürlich nicht glaubwürdiger. Folgerichtig hat auch die brasilianische Regierung die Entscheidung der US-Zentralbank angeprangert. Der Wechselkurs muss nämlich die wirtschaftlichen Fundamentaldaten eines Landes widerspiegeln. Tut er das nicht, sondern wird bewusst manipuliert, so ist das keine seriöse Finanzpolitik, die Vertrauen in den Märkten schafft. Die Vorstellung, die Exportstärke eines Landes ließe sich dauerhaft mit währungspolitischen Mitteln herstellen, ist ein unter Politikern populärer, aber auf Kurzfrist-Denken beruhender Wunschtraum. Langfristig kaufen Menschen in aller Welt Produkte, weil sie von deren Qualität und Preis überzeugt sind. Bei der Preisbildung ist der Wechselkurs aber nur einer unter mehreren Faktoren. Tiefenpolitpsychologisch kann man so manche Forderung und Vorstellung Washingtons als Folge der Verunsicherung einer Nation deuten, die um ihre Stellung als Weltmacht zittert. Den Amerikanern wird zunehmend schmerzlich bewusst, dass sie das Heft des Handelns in der Weltwirtschaft nicht mehr allein in der Hand haben. Dementsprechend sehen sie eher das Ausland gefordert, Maßnahmen zu ergreifen, als selbst die nötigen Hausaufgaben zu machen. Dazu zählt insbesondere, aus den Fehlern der Finanzkrisen-Vergangenheit zu lernen und diese Fehler vor allem nicht zu wiederholen. Das Gerede über die globalen Ungleichgewichte im Handel dient primär dazu, die Anpassungslast vom Defizitland Amerika auf die Überschussländer China, Deutschland und Japan zu verschieben. Tatsächlich sind nicht die Ungleichgewichte in der Handels- bzw. Leistungsbilanz, sondern das erschütterte Vertrauen und die unverantwortliche Schuldenpolitik in vielen Ländern, mit der USA an der Spitze, das eigentliche Problem. Das alte, unter Ökonomen kontrovers diskutierte Henne-Ei-Problem, ob das Handelsbilanzdefizit einen Kapitalbilanzüberschuss verursacht oder umgekehrt, kann dabei dahingestellt bleiben. Zur Sanierung ihrer tiefroten Haushalte haben sich die G 20 auf ihrem letzten Gipfel in Toronto verpflichtet. Dass die US-Regierung nun die Bundesregierung zur Ankurbelung der Binnennachfrage auffordert, konterkariert diese Vereinbarung. Im Übrigen: Versuchte die Bundesregierung mit mehr Schulden, die Binnenwirtschaft anzuschieben, würden die Privathaushalte in Deutschland aus Sorge um die maroden Staatsfinanzen mehr sparen. Gewonnen wäre damit nichts. Dass sich die Streithähne letztlich wie fast immer auf solchen Gipfeln zusammenraufen werden, davon kann man mit ziemlicher Sicherheit ausgehen. Ein Formelkompromiss gehört für gewiefte Gipfeldiplomaten quasi zum Handwerkszeug.

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