Tatort: Ein Supermarkt in Sachsen. Familie Martin erwirbt Lebensmittel für vierzig Euro, von denen sich die fünfköpfige Familie drei Tage lang ernähren möchte. Doch die Martins freuen sich zu früh über den günstigen Einkauf. Denn da kommt Klimakommissarin Kati Ehlert und kontrolliert ihren Wagen. Spargel, Rindfleisch und Milch gefährden das Weltklima, belehrt sie die verdatterte Familie. „Was gleich ins Auge sticht, ist der Spargel“, erläutert Ehlerts Gutachter, „der ist aus Peru, der ist mit dem Flugzeug gekommen.“
Das fahrlässige Einkaufsverhalten der Martins entspricht einer CO2-Emission von unglaublichen 37 Kilo, was die Klimakommissarin mit einem Stapel aus 37 Tüten Mehl deutlich macht. Dennoch kommen die Missetäter noch mal ungeschoren davon, denn es sind ja keine echten Polizisten, die den Einkaufswagen kontrollieren, sondern nur Mitarbeiter der Sendung „exakt“ des Mitteldeutschen Rundfunks. Die Klimakontrolle ist nur eine pädagogische Fernsehfiktion – aber hart an der deutschen Realität im warmen Frühling 2007. Einkaufen, wohnen, reisen: demnächst nur noch unter Klimavorbehalt? Schließlich geht es ums Ganze.
Der Hamburger Oberbürgermeister bezahlt Schülern den Besuch von Al Gores Doku-Thriller „Eine unbequeme Wahrheit“. Umweltminister Sigmar Gabriel kauft gleich 6000 DVDs und lässt sie kostenlos an Schulen verteilen. An bayerischen Gymnasien führen Aktivisten von „Germanwatch“ ihre Roadshow „Klimaexpedition“ vor – gesponsert von der Münchner Rückversicherung.
Um die letzten Ungläubigen am emotionalen Schlafittchen zu packen, greift das öffentlich-rechtliche Fernsehen schon mal auf bewährte Agitationsmittel von einst zurück: Kinder als Botschafter der Rettung. Die zwölfjährige Carla Zeller sprach einen „Tagesthemen“-Kommentar und warnte mit kindlichem Ernst, „dass halb Deutschland überschwemmt wird und auf den Feldern nichts mehr wächst…“
Wirkungsmächtiger noch als die Klimakommissarin und Clara zusammen ist jedoch ein anderer: der kleine Eisbär Knut. Der weiß zwar nicht, was ihm geschieht, aber gerade das macht ihn zum idealen Diener der großen Sache. Knut, als Kuscheltier der Apokalypse zusammen mit Leonardo DiCaprio auf dem Cover der amerikanischen Vanity Fair. Knut demnächst als globaler Klima-Engel in einem Kinderbuch des amerikanischen Harry-Potter-Verlages „Scholastic“, der sich die Rechte am Berliner Eisbären sicherte. Die Macht der Bilder erschlägt jeden Zweifel. Der weiße Bär auf schmelzender Scholle wurde zur globalen Ikone. Dass die Spezies Eisbär in ihrer Entwicklung schon mehrere erdgeschichtliche Warmzeiten unbeschadet überstanden hat, tut da nichts mehr zur Sache. Auch dass ihr Bestand im vergangenen halben Jahrhundert von circa 5000 auf 25000 wuchs, ist ein lästiges Detail. Die Eisbären sterben aus! Schuld ist die Klimaerwärmung! Basta!
Die ganz große Koalition aus Greenpeace und Bild-Zeitung hat es so beschlossen, und alle freuen sich: Hurra, wir retten die Welt! Lidl-Supermärkte helfen mit, indem sie dem Greenpeace-Magazin einen Großteil der Auflage zum Festpreis abnehmen (unabhängig davon, wie viele Hefte verkauft werden). Banken und Börsen freuen sich über den Handel mit Emissionsrechten. Rückversicherungen freuen sich auch, denn die gefühlte Zunahme von Unwettern treibt die Preise der Policen hoch. Und sogar die ewig murrenden Bauern freuen sich: Für den Anbau von Biosprit-Pflanzen winken ergiebige Subventionen. Es sprudeln auch die Fördergelder für Klimawissenschaftler. Weltweit flossen in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten zweistellige Milliarden-Dollarbeträge in ihr Forschungsgebiet. Gut angelegtes Geld, denken sich Politiker, die gern als Weltretter posieren. Sie überbieten sich gegenseitig mit Klimaschutzbekenntnissen und mehr oder weniger intelligenten Vorschlägen, wie die Erderwärmung zu stoppen sei. Der Soziologe Ulrich Beck bezeichnete die Klimapolitik treffend als „eine Sinnressource für die delegitimierte und von Vertrauensverlust gezeichnete Politik“. Und das Schönste ist, man kann mit dem Klimaschutz alles rechtfertigen, jedes Verbot, jede Steuererhöhung. Ob es was gebracht hat, stellt sich angenehmerweise erst in hundert Jahren heraus.
Um das Publikum im Alarmzustand zu halten, kann es nie schlimm genug kommen. „Fliegt uns die Erde um die Ohren?“, fragte Bild im Januar 2007 und verkündete im Februar die Antwort: „Unser Planet stirbt! Jetzt amtlich: Erde immer heißer.“ Kurz darauf dann: „Wir haben noch elf Jahre …“ Bild bildet keine Ausnahme: Hörfunk, Fernsehen und die allermeisten anderen Blätter stimmen die gleiche Tonlage an. Wie einst bei Waldsterben, Nachrüstung, Tschernobyl und BSE steigern sich die professionellen Deuter in einen Untergangsrausch, der jeden Zweifel niederwalzt. Der Erfolg ist überwältigend: Ohne Führer und ohne Staatspartei entstehen Meinungsmehrheiten, die SED-Wahlergebnissen gleichen. Beim Thema „Klima“ macht der Pluralismus Pause.
Kaum einer traut sich zu fragen, ob es wirklich seriös ist, das Weltklima für 50 oder 100 Jahre vorherzusagen. Schließlich gelingt dies nicht einmal für die nationale Wirtschaftsentwicklung eines Jahres – obwohl man es dabei mit weitaus weniger Unbekannten zu tun hat. Es ist keine Verschwörung und kein böser Wille, der diese Dampfwalze treibt – eher eine Art Selbstgleichschaltung aus guter Absicht. Doch mit Aufklärung hat es nichts zu tun. Aufklärung würde bedeuten, Zuschauer und Leser in die Lage zu versetzen, selbst abzuwägen und sich ein eigenes Urteil zu bilden. Das Gegenteil geschieht. Moderatoren und Redakteure wiederholen wie ein Mantra den Satz: Es gibt keinen Zweifel mehr, die Diskussion ist beendet. Richtig daran ist: Kein Wissenschaftler bezweifelt, dass die durchschnittliche globale Oberflächentemperatur im 20.Jahrhundert um circa 0,7 Grad Celsius zugenommen hat. Wie groß die Rolle des Kohlendioxids dabei ist, wie stark der Mensch das Klimageschehen beeinflusst und insbesondere wie sicher die Hochrechnungen sind, mit denen die Temperatur der Zukunft vorausgesagt wird, ist nach wie vor wissenschaftlich umstritten. Völlig offen ist auch, ob eine Erwärmung nur Nachteile bringt. Denn in der Vergangenheit waren Warmzeiten stets besonders angenehm für Mensch und Natur. Der warme April in Europa wird zum Desaster erklärt, die äußerst ruhige Hurrikansaison des Herbstes 2006 in Nordamerika war dagegen keine Schlagzeile wert.
Stets richten sich die Mikrofone auf das gleiche halbe Dutzend Wissenschaftler, von denen man die düstersten Prognosen abrufen kann. Beim Waldsterben war es ebenfalls nur eine Handvoll Experten. Alle anderen wurden als Verharmloser denunziert – damals wie heute. Nicht alle Wissenschaftler sind sich einig. Es sind lediglich alle, die von den deutschen Leitmedien gefragt werden. Und die wissen ihre privilegierte Stellung geschickt zu nutzen, um ihre Kollegen zu denunzieren. „Inzwischen erinnern mich die letzten Zweifler an religiöse Fundamentalisten, mit denen man überhaupt keine Debatte mehr führen kann“, sagt Professor Jochem Marotzke vom Hamburger Max-Planck-Institut für Meteorologie. Dass unter diesen „Fundamentalisten“ zahlreiche besonnene und hoch geehrte Wissenschaftler sind, die teilweise an den Berichten der UN-Klimabehörde IPCC (Intergovernmental Panel on Climat Change) mitgearbeitet haben, dürfte Marotzke bekannt sein. Ist der Leibniz-Preisträger Jan Veizer ein Fundamentalist, Henrik Svensmark vom staatlichen dänischen National Space Center, John Christy von der University of Alabama oder Richard S.Lindzen vom Massachusetts Institut of Technology?
Zahlreiche angesehene Klimaforscher zweifeln, weil ihre Messdaten nicht mit der offiziellen Theorie übereinstimmen. Der brachiale Stil, mit dem eine wissenschaftliche These kanonisiert und durchgepeitscht werden soll, irritiert inzwischen auch Anhänger der Mehrheitsmeinung. Zum Beispiel Heinrich Miller, Geophysiker am Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven. „Übertreibung führt zu Abstumpfung“, sagt er und fordert „mehr Offenheit in der Debatte“. Sein Kollege Hans von Storch vom GKSS-Forschungszentrum in Geesthacht, der ebenfalls die vorherrschende Theorie teilt, kritisiert: „Wissenschaftler verfallen in einen Eifer, der geradezu an die Ära McCarthy erinnert.“ Bei einer Umfrage unter 530 Klimaforschern in 27 Ländern, die der Soziologe Dennis Bray zusammen mit von Storch durchführte, war jeder Zehnte absolut überzeugt, dass der Klimawandel auf den Menschen zurückzuführen ist, weitere 46 Prozent tendierten zu dieser Meinung. Beim Rest gab es mehr oder weniger starke Zweifel.
Doch diese Zweifel sind im panischen Grundrauschen der Öffentlichkeit kaum zu hören. Und einige Klima-Retter möchten sie am liebsten völlig zum Verstummen bringen. Ihnen genügt es nicht, eine komfortable Mehrheit aus Politik, Wirtschaft und Medien hinter sich zu wissen. Der Sieg im Meinungsstreit soll total sein. Dafür wird im Namen der guten Sache schon mal unter die Gürtellinie geboxt. Wer abweicht, den stellt man in die Nähe der Kohle- und Öllobby und heftet ihm das Etikett „Klimaleugner“ an. Dabei gibt es unter den bekannten kritischen Klimaforschern keinen, der die Verschwendung von Ressourcen und das leichtfertige Verfeuern fossiler Brennstoffe richtig findet.
Auch Jan Veizer, der in Kanada und Deutschland lehrte, und sein Kollege Nir J.Shaviv von der Universität Jerusalem bekamen den Zorn der Linienpolizisten zu spüren, als sie eine Arbeit über den Einfluss der kosmischen Strahlung auf die Erderwärmung in einem Fachblatt veröffentlichten. Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimaforschung schickte gemeinsam mit 13 seiner Kollegen ein Pamphlet an die Presse, das die wissenschaftliche Integrität der beiden Forscher in Zweifel zog. Rahmstorf schreibt auch gern Chefredakteure an, wenn in einer Zeitung Kollegen zu Wort kommen, die nicht auf Linie sind. Für ihn und seinen Chef Hans Joachim Schellnhuber ist der Klimawandel die „Feuertaufe für die im Entstehen begriffene Weltgesellschaft“, wie sie in einem Buch darlegen. Beide sind Berater der Bundesregierung.
Nachdem der britische Sender Channel 4 in der Dokumentation „The Great Global Warming Swindle“ mehrere unbotmäßige Klimaforscher zu Wort kommen ließ, schrieb eine Gruppe von 38 Wissenschaftlern aus dem Mehrheitslager an den Sender. Ihre Forderung: Der Film soll nicht als DVD vertrieben werden, solange nicht einige Passagen bereinigt sind. „Jemand muss hier für das Interesse der Öffentlichkeit eintreten“, begründete der Wortführer die Zensurinitiative. Das populäre grüne Internetmagazin „Grist“ aus den USA ging noch einen Schritt weiter. Dort wurde für Zweifler ein Verfahren „im Stil der Nürnberger Prozesse“ gefordert. Und die Berliner taz berichtete hocherfreut über eine Liste mit 31 Namen dissidenter Wissenschaftler, die unter deutschen Klimaforschern kursiere. Es geht nicht mehr um Erkenntnisgewinn und Falsifizierung, sondern um die moralische Lufthoheit.
Doch ob die Untergangspropheten wirklich die Moral für sich gepachtet haben, ist fraglich. Ist es wirklich ethisch, die potenziellen Probleme künftiger Generationen über die konkreten Probleme der heute lebenden Menschen zu stellen? Viele in Afrika, Asien und Lateinamerika leiden unter unsäglichen hygienischen Verhältnissen, verschmutztem Wasser und verschmutzter Luft. Dies ist eine der häufigsten Todesursachen von Kindern. Ihnen könnte geholfen werden, hier und heute, mit einfachen technischen Mitteln: Kläranlagen, Elektrifizierung, billige Medikamente. Die Öffentlichkeit hierzulande sorgt sich indes um die Afrikaner als mögliche Klimaopfer in hundert Jahren.
Und noch ein zweites Dilemma wird langsam deutlich: Klimaschutz, so denken die meisten, sei gleichbedeutend mit Umweltschutz. Ein fataler Irrtum. Wenn alle Mittel in die Klimarettung gepumpt werden, geraten Überfischung, Tropenwaldzerstörung, Luft- und Wasserverschmutzung in Entwicklungsländern aus dem Fokus. Schlimmer noch: Schon heute wird Regenwald gerodet, um Ölpalm- und Zuckerrohrplantagen für Bio-Treibstoffe anzupflanzen. Schon heute demonstrieren Mexikaner gegen hohe Brotpreise, weil der Biospritbedarf des Nordens den Mais verteuert. Die „Klima-über-alles“-Stimmung könnte sich zu einem massiven Umweltproblem auswachsen. Wer rettet die Welt vor den Weltrettern? Knut, hilf!
Michael Miersch ist Publizist und Dokumentarfilmer. Er schrieb mit Dirk Maxeiner Bücher über Wissenschaft und Politik, zuletzt erschien „Schöner Denken“ (Piper)