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Medienberichte über Putin, Gaza und ISIS - Sind wir Kriegstreiber?

Die Medienkolumne. Der Vorwurf, die deutsche Presse sei gelenkt und beteilige sich an Kriegspropaganda, ist längst bildungsbürgerlicher Mainstream. Das ist an sich Unsinn. Dennoch geben Fehlentscheidungen in Verlagen und Sendern den Zweiflern immer wieder Nahrung

Autoreninfo

Petra Sorge ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2016 war sie Redakteurin bei Cicero. Sie studierte Politikwissenschaft und Journalistik in Leipzig und Toulouse.

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Neulich fragte mich ein politisch sehr interessierter Freund bei Facebook, ob es eine Zeitung oder Zeitschrift gebe, „die mir erklärt, wieso es in Syrien böse ist, eine Stadt voller Rebellen mit Artillerie zu beschießen, aber in der Ukraine völlig OK?“ In der Diskussion, die sich daraufhin entspann, offenbarte sich seine tiefe Skepsis gegen die deutsche Medienlandschaft. Die Berichterstattung über Russland und Irak lese sich wie „Planung und Kriegspropaganda“ und sei von „Doppelmoral“ gekennzeichnet. Das Wort „Qualitätsjournalisten“ setzte er in Anführungszeichen.

Dass es nicht mehr nur Verschwörungstheoretiker oder jene vom Kreml finanzierten Manipulatoren in sozialen Netzwerken und Kommentarforen sind, die die deutsche Presse für einseitig und gesteuert halten, sondern mittlerweile auch Vertreter des Bildungsbürgertums, lässt Vertreter meiner Branche erschrecken. Nun bin ich als Journalistin selbst befangen. Trotzdem halte ich den Vorwurf, wir orchestrierten einen Propagandafeldzug für mehr Kriegseinsätze, im Ergebnis für absurd. Und auch für ein bisschen verletzend: Ich habe an der Universität Leipzig studiert, das zu DDR-Zeiten als „Rotes Kloster“ galt. Dort wurde der Journalist zum sozialistischen Agitator und Propagandist erzogen. Heute leben wir zum Glück in einer Demokratie; die Pressefreiheit ist eins der wohl wertvollsten Güter.

Gauck-Rede polarisiert die Deutschen


Trotzdem muss die Frage gestattet sein, was falsch gelaufen ist, dass die Medien einen solchen Glaubwürdigkeitsverlust erlitten haben. Tatsächlich kommen die Redaktionen kaum hinterher, die dramatischen Szenen, die sich in diesem Sommer in der Welt vollziehen und die die deutsche Politik und Öffentlichkeit zu Reaktionen zwingen, zu beschreiben und einzuordnen. Die Forderung von Bundespräsident Joachim Gauck, als letztes Mittel „den Einsatz militärischer Mittel nicht von vornherein zu verwerfen“, ein veritabler Paradigmenwandel in der Außenpolitik – war kaum vermeldet worden, da wurde in der Ukraine, in Gaza und im Irak schon geschossen, gebombt und gemordet.

Die Frage, wieso so viele Menschen den Medien misstrauen, hängt auch mit der Meinungskluft zwischen den politischen Eliten und der Öffentlichkeit zusammen. Fast vier Fünftel der Bundesbürger lehnen ein stärkeres militärisches Engagement Deutschlands in der Welt ab – teils selbst dann, wenn das hieße, anderen Hilfe zu verweigern. Zwischen diesen beiden Extremen müssen die Medien kommunizieren und vermitteln: Doch jede vom antiinterventionistischen deutschen Grundkonsens abweichende Interpretation wurde mit teils empörten Kommentaren auf den Webseiten deutscher Onlinemedien quittiert. Die Wut richtete sich gegen Presse und Rundfunk selbst – der Botschafter als Sündenbock.

Vielen Rezipienten fällt es aber auch schwer, zwischen sozialen und traditionellen Medien zu unterscheiden. Die aktuellen Kriege sind durch die digitalen Netzwerke unmittelbarer geworden; der Strom der Bilder erreicht die Menschen ungefiltert, massenhaft, in aller Brutalität. Twitter und Facebook sind aber in Kriegsgebieten auch Teil des Propagandafeldzugs. Die radikalislamische Hamas weiß diese Werkzeuge zu nutzen und erpresst sich mit den Opferbildern das Mitleid der ganzen Welt. Viele Redaktionen veröffentlichen diese Fotos und meinen, sie von der sicheren Ferne aus richtig einordnen zu können. Mitunter kommt es dabei zu Fehlententwicklungen, durch die sich Leser in ihrer kritischen Haltung gegenüber den Medien bestätigt fühlen könnten.

Auslandsberichterstattung meist wenig nachhaltig und oberflächlich


Nach Angaben des israelischen Presseamtes kamen rund 700 zusätzliche Journalisten aus 42 Ländern nach Gaza, um speziell über den Konflikt zu berichten. Auf dem Höhepunkt der Militäroffensive, zwischen dem 7. Juli und dem 3. August, war der freie Journalist Martin Lejeune nach dessen Angaben der einzige Berichterstatter aus Deutschland. Während des Waffenstillstandes seien zwar einige Vertreter deutscher Medien kurzzeitig in der Region gewesen. Doch nun sei er wieder der einzige, sagte er Cicero Online am Donnerstag. Lejeune hielt seine Erlebnisse in der Todeszone in seinem Blog fest. Für seine journalistischen Artikel aber habe er außer bei der taz, der Frankfurter Rundschau und dem Neuen Deutschland kaum Abnehmer in Deutschland gefunden. Akkreditiert habe er sich über die linke Schweizer Wochenzeitung. In dieser Woche gab er der britischen BBC ein Interview. Zwei Interviews, die Deutschlandradio Wissen mit Lejeune in der vergangenen Woche gebucht hatte, wurden allerdings kurzfristig abgesagt. Carsten Zorger, Kommunikationschef von Deutschlandradio, sagte Cicero Online, die Gründe seien rein redaktioneller Art gewesen: „Wir haben ein Live-Interview mit einem Opfer in Gaza kurzfristig vorgezogen.“ Lejeune könne dem Sender selbstverständlich weiterhin Angebote unterbreiten.

Das Medienmagazin Vocer berichtete dagegen mit Bezug auf den verantwortlichen Redakteur der Sendung, es habe nicht genügend Zeit gegeben, um Lejeune als unabhängige journalistische Quelle zu überprüfen. „Gründe für die Zweifel seien unter anderem seine unklare Beziehung zu dem Verein 'Freunde Palästinas' sowie seine Aussagen zur israelischen Zensur im 'Deutschlandfunk' gewesen“, heißt es dort. Kommunikationschef Zorger äußerte sich dazu nicht.

Martin Leujeune weist in seinem Blog jede Verbindung zu der Gruppe von sich. Cicero Online sagte er: „Gaza ist ein Krisengebiet. Da fand ich es aus humanitären Gründen berechtigt, den Spendenaufruf einmalig in meinem privaten Blog zu veröffentlichen.“ ARD und ZDF würden bei Katastrophen sogar in ihren Nachrichtensendungen regelmäßig solche Aufrufe veröffentlichen. Lejeune sagt, ihm habe noch niemand „einen ganz konkreten inhaltlichen Fehler“ nachweisen können: „Ich bekomme sogar aus Israel positives Feedback.“ Als er Korrespondent in Israel war, habe er auch nie Probleme beim Absatz seiner Texte gehabt. Deswegen überlegt Lejeune, sich einen anderen Einsatzort zu suchen: „Wenn keine neuen Auftraggeber hinzukommen, würde ich Ende des Monats aus Gaza abreisen.“

Dass sich die Debatte um journalistische Unabhängigkeit an einem freien Journalisten Bahn bricht, der unter Einsatz seines Lebens von der Front berichtet, während auf der anderen Seite gut verdienende Festangestellte der Zeit gegen eine ZDF-Satire klagen, weil sie um ihren journalistischen Ruf fürchten, muss doch einige Medienkonsumenten zweifeln lassen.

Hinzu kommt, dass Auslandsberichterstattung meist wenig nachhaltig, viel zu punktuell und oberflächlich ist. Auch das Wissen um die tatsächliche Situation vor Ort ist häufig sehr begrenzt. Mit dem Abzug der US-Streitkräfte aus Irak waren auch fast alle Reporter aus Bagdad verschwunden. „Nicht nur die Amerikaner, alle anderen Journalisten sind ebenfalls gegangen“, sagte Birgit Svensson, die einzige noch verbliebene deutsche Korrespondentin vor Ort, dem Medienmagazin „journalist“ im August. Der Terror des „Islamischen Staates“ kam für viele deutsche Medienkonsumenten über Nacht – für Beobachter, die dran blieben, hatte sich die Katastrophe allerdings schon über Monate abgezeichnet. Svensson hatte deutschen Redaktionen immer wieder Beiträge dazu angeboten. Doch die deutschen Medien lehnten ab: „Die Lage im Irak spielte keine Rolle.“ Das Land wurde sich selbst überlassen, auch medial. Wo kein Amerikaner, da auch kein Reporter – so schien die Devise. Verschwörungstheoretiker hätten darin auch einen Beleg für eine von den USA abhängige deutsche Berichterstattung lesen können.

Leser selbst für das Angebot verantwortlich


Dabei hat der Leser mit seinem Verhalten selbst das mediale Desinteresse mitzuverantworten. Der Tod von Robin Williams hat in dieser Woche von den Online-Zugriffen her nahezu alle anderen Themen überlagert. Spiegel Online machte am Dienstag mit drei Artikeln des US-Schauspielers auf, von denen es zwei in die Top 5 des Tages schafften. In den Ranking-Sparten meist „gelesen“, „verschickt“ und „gesehen“ des Nachrichtenmagazins fand sich kein einziger politischer Beitrag, geschweige denn einer zur Außenpolitik. An jenem Tag, an dem die deutsche Politik Waffenlieferungen an die Kurden in Aussicht stellte, interessierten sich die Nutzer am meisten für Grillfleisch, Rotweine oder Miroslav Klose, und bei Cicero Online erreichte ein Artikel über Helene Fischer Rekord-Zugriffe. Wenn die Nachfrage nach ausgewogenen außenpolitischen Analysen so gering ist, warum sollten die Medien da noch mehr liefern? Und worin sollte der ökonomische Anreiz bestehen, Kriegspropaganda zu verbreiten?

Wenn irgendwer die Medien steuert, dann sind es nicht Parteien, Rüstungsfirmen oder die Amerikaner, sondern die deutschen Nutzer, Käufer und Zuschauer. Was sich klickt und guckt, wird weiter geschrieben und gesendet.

Man muss sich nur anschauen, wie es die erfolgreichste Tageszeitung der Republik macht. Die Elbe-Jeetzel-Zeitung aus dem niedersächsischen Landkreis Lüchow-Dannenberg ist im Verhältnis zur Einwohnerzahl das meistverkaufte Blatt in Deutschland. Fast jeder zweite Haushalt des Kreises gehört zur Kundschaft, hat das Branchenportal Meedia auf Grundlage der IVW-Verbreitungsanalyse Tageszeitungen errechnet. Russland, Irak und Gaza sind in der Elbe-Jeetzel-Zeitung aber weit weg. Am Mittwoch machte die Elbe-Jeetzel-Zeitung online mit einer Geschichte über den ältesten Elch der Welt auf. Ein Laienarchäologe hatte Fragmente des 14.000 Jahre alten Tieres zwischen Bernstein-Artefakten in der Region entdeckt. Der Mann wurde mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.

Der Bericht war rundherum objektiv. Obwohl: Wer wollte, hätte auch darin gefährlich viel Lokalpropaganda finden können.

Hinweis: In einer früheren Version des Textes hieß es fälschlicherweise, in Russland sei gebombt worden. Korrekt ist: in der Ukraine.

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