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() Schlacht am Kahlenberg 12. September 1683
Die Türken von Wien

Die Niederschlagung der osmanischen Truppen vor Wien 1683 gilt als die Geburtsstunde des modernen Europa – und als Rettung der abendländisch-christlichen Kultur. Doch die Bedrohung durch die Türken wirkt noch immer im kollektiven Gedächtnis des Kontinents.

Suleiman der Prächtige ist schuld. Und noch schuldiger ist Großwesir Kara Mustafa. Der eine versuchte es 1529, der andere 1683 mit 150000 osmanischen Soldaten. Sie wollten Europa erobern und belagerten Wien. Erfolglos, aber folgenreich. Denn seitdem haben die Europäer Angst. Im kollektiven Unterbewusstsein wirkt die Belagerung von 1683 wie ein Trauma, dessen Macht keiner offen anspricht, weil es peinlich verwoben ist mit Überfremdungsängsten und kleinlicher Machtpolitik. Es ist kein Zufall, dass die Skepsis gerade der Österreicher gegenüber einer Aufnahme der Türkei in die EU gewaltig ist (alleine hier leben 134000 Türken). Aber es ist ebenso wenig ein Zufall, dass alle Europäer irgendwie mit diesem Trauma verbunden sind. Wie damals, 1683. Paris war eng mit den Türken verbündet, um das Habsburgerreich mittels eines Zweifrontenkriegs zu schwächen. Das europäische Spiel von Politik und Macht kennt die türkische Karte eben schon viel länger als taktische Zocker wie Gerhard Schröder (der auf deutsch-türkische Wahlstimmen abzielt) und strategische Spieler wie George Bush (der eine sichere Vorhut im islamischen Hexenkessel will). Schon die mittelalterlichen Päpste und die Venezianer hatten die Türken im Kalkül, um eigene Interessen gegen Byzanz durchzusetzen. Das große Machtmonopoly Europas kannte immer eine Straße in Istanbul. Die entscheidende Spielsituation aber war 1683. Mit ihr begann der Aufstieg Habsburgs zur Weltmacht. Es riss zugleich die Lücke für Englands Empire, für Russland kam die Gelegenheit zur Südexpansion. Das moderne Europa fügte sich erst mit dem Niedergang des osmanischen Reiches. Und im Unterbewusstsein der Europäer ist eben präsent, dass das eine immer mit dem anderen zu tun hat. Spanien und Portugal sind Konstrukte des Widerstands gegen die islamische Besatzung. Ihr nationales Selbstbewusstsein fußt auf dem „de la frontera“ (von der Grenze), auf der systematischen Grenzverschiebung, die schließlich in der Kolonialisierung endete. Das Burgenland genauso. Aus Kindertagen kennen Österreicher noch all die Wunder, die vor den Türken versteckte Marienstatuen vollbracht haben sollen. Die Befestigungsanlagen des Burgenlands berichten von Heldentaten, unterirdischen Gängen und mit Tücke vertriebenen Türken, die die Fantasie von Generationen inspirierten. Östlich von Wien wurden Grenzräume zwischen Abendland und Morgenland blutig verschoben. Wie sehr sich die Menschen mit den Widrigkeiten zu arrangieren wussten, zeigt die burgenländische Stadt Rust. Auf dem Kirchturm glänzen Halbmond und Stern. Der Winzer Wilhelm Schröck erklärt die List seiner Landsleute: „Von Kara Mustapha wurde berichtet, er würde auf seinem Feldzug alle Kirchen in Moscheen umwandeln. Nun, die Ruster taten dies vorsorglich selbst und setzten die Symbole auf den Turm. Sie entkamen einer Plünderung und mussten nur Nahrung für die Truppen liefern.“ Als die Osmanen dann, vor Wien geschlagen, wieder nach Osten abzogen, wurde „Sultan“ zu einem beliebten Hundenamen. Auch die „Paschas“ auf vier Pfoten haben sich bis heute erhalten. Trotz Hunger und Durst leisteten die Wiener im Sommer 1683 zwei Monate lang den Belagerern Widerstand. Zu Hilfe kam ihnen ein vom Papst finanziertes christliches Ersatzheer unter dem Befehl des Polenkönigs Jan Sobieski. Das Scheitern des osmanischen Feldzugs, der unter Mithilfe ungarischer Magnaten, französischer Diplomatie und protestantischer Söldner (daher das Schimpfwort „Kruzitürken“) erfolgte, führte zur Neuverfassung Europas. Das Fiasko vor Wien war der Anfang vom Ende des Osmanischen Reiches, das in der Folge eine Reihe Niederlagen verbuchen musste. Der amerikanische Orientalist Bernard Lewis beschreibt die Schlacht vor Wien als Wendepunkt. Aus dem gefürchteten Feind aus dem Osten wurde der kranke Mann am Bosporus, der kaum noch Angst einzuflößen vermochte. Aus dem türkischen Mitspieler um die Weltmacht wurde ein Joker im Spiel der anderen. Wie immer, wenn man jemanden nicht mehr fürchtet, beginnt man seine Eigenarten zu schätzen. Türkische Sitten und Speisen wurden nun begierig übernommen. Die Wiener Kaffeehauskultur etablierte sich nach 1683. Ob der erste Mokka mit Kaffeebohnen gebraut wurde, die die Wiener in den Türkenlagern als Beutegut fanden, oder nicht, ist nette Nebensache. Dass das Kipferl – das Hörnchen – dem Halbmond nachempfunden sei, ist historisch widerlegt. Doch im Heeresgeschichtlichen Museum von Wien ist neben viel Beutegut von Zelten bis Säbeln der einzige Siegelring des Sultans außerhalb der Türkei zu bewundern. Mozart und Haydn komponierten „alla turca“ und Habsburg suchte mit der Gründung der Orientalischen Akademie 1754 den Kontakt zum einstigen Erzfeind. Maria Theresia ließ junge Talente in Osmanli, Arabisch und Persisch ausbilden, um sie als Emissäre einzusetzen. Hieraus entstand die Diplomatische Akademie, die gerade ihr 250-jähriges Jubiläum feiert. Im Ersten Weltkrieg war das Osmanische Reich schließlich mit den Achsenmächten verbündet. Um diese Allianz mit den türkischen Kameraden wussten noch die Großväter, doch die Vorstellung vom Türken als Verbündeten fand im Nicht-Nato-Land Österreich nie richtig Anklang. Hier blieb es vielmehr beim alten Bild des Brandschatzers mit Turban, das auf den Ängsten der Epoche von 1529 bis 1683 fußt, wie auf vielen Gedenktafeln von Wien bis Graz nachzulesen ist. Ein Erklärungsversuch für das tief liegende Belagerungstrauma mag sich in einer weniger politischen als vielmehr kulturhistorischen Betrachtung anbieten: Es geht um die alte Konfrontation zwischen Orient und Okzident, die von den antiken Freiheitskriegen der Griechen gegen die Perser über die Kreuzzüge des Mittelalters bis hin zur europäischen Kolonialisierung der islamischen Welt reicht. Der österreichische Mikrokosmos von Volkskultur und Alltagssprache bietet genug Anschauungsmaterial und offenbart indirekt jenes weite Feld des kollektiven Unbewussten, das C.G. Jung über Archetypus und Traum zu erforschen suchte. Vielleicht sind die Türkenkriege präsenter als die Schlachten gegen Franzosen, der Widerstand gegen Sowjets oder Deutsche, weil der Feind einer anderen Glaubenswelt angehörte. Vom Kahlenberg nordwestlich von Wien stürmten die Truppen unter König Sobieski gegen die Osmanen. Auf einer Gedenktafel heißt es: „Am 12.September 1683 begann der Entsatz von Wien und hiermit die Rettung der abendländisch-christlichen Kultur.“ Zugleich aber ahnen die Europäer, dass mit der äußeren Grenze auch die innere Architektur eng verbunden ist. Das zumindest ist die Lehre von 1683. Nur wem Europa ganz egal ist, der übersieht die Kraft dieser politisch-historischen Kultur. Jörg Haider zum Beispiel. Darum spricht sich der Rechtspopulist heute klar für einen EU-Beitritt der Türkei aus. Karin Kneissl war langjährige Diplomatin Österreichs. Sie lebt heute als Publizistin in der Nähe von Wien und lehrt an der Diplomatischen Akademie

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