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Der Fluch von Aden

Die Piraterie am Horn von Afrika wird immer dramatischer. Eine EU-Marineoperation soll die Handelswege schützen. Deutschland beteiligt sich, streitet aber über juristische Details.

Dieser Artikel ist bei unserem Kooperationspartner Rheinischer Merkur erschienen. Was tun, wenn die deutsche Marine am Horn von Afrika ein Seeräuberschiff aufbringt? Die Schwierigkeiten fangen schon mit Ausstattungsmängeln an: Für eine größere Zahl Festgenommener gibt es an Bord deutscher Fregatten nicht genug Arrestzellen. Und dann erst die komplizierten juristischen Fragen. Nach deutschem Recht ist eigentlich die Bundespolizei zuständig für die Pirateriebekämpfung. Nur: Die Ordnungshüter sind nicht da, wo die Piraten sind: am Horn von Afrika. Während Seeräuber dort ein Handelsschiff nach dem anderen kapern, schwelt hierzulande ein typisch deutscher Streit. Die Bundesregierung hat sich in einem Gestrüpp aus juristischen Fragen und verfassungstheoretischen Bedenken verfangen. Doch die Zeit drängt. Vorläufiger Höhepunkt der Piratenüberfälle war die Kaperung des saudischen Supertankers „Sirius Star“, eines der größten Schiffe, das auf den Weltmeeren unterwegs ist. Bis dahin galt es als undenkbar, dass Seeräuber ein Fahrzeug dieser Größenordnung entführen. Die ersten Reedereien meiden bereits die Route durch den Suezkanal und lassen ihre Tanker die fast doppelt so lange Strecke ums Kap der Guten Hoffnung nehmen. Somalische Piraten haben in diesem Jahr schon mehr als 90 Schiffe am Golf von Aden attackiert. Im Vergleich zum Vorjahr hat sich die Zahl der Angriffe 2008 verdreifacht; rund drei Dutzend waren erfolgreich. Bewacht von bis an die Zähne bewaffneten Piraten liegen noch mindestens 14 entführte Schiffe mit insgesamt mehreren hundert Mann Besatzung vor der somalischen Küste. Damit es nicht noch mehr werden, soll am 8. Dezember die erste Marinemission der EU starten: Operation Atalanta. An dem Einsatz mit voraussichtlich drei Fregatten, Unterstützungsschiffen und Aufklärungsflugzeugen wird sich auch die deutsche Fregatte „Karlsruhe“ beteiligen. Mitte Dezember könnte das Kabinett den Einsatz beschließen, am 19. Dezember der Bundestag. Operation Atalanta ist dann längst angelaufen. Die Deutschen würden mit einigen Tagen Verspätung hinzustoßen. Noch hat sich die Große Koalition nicht abschließend auf eine Lösung für die juristischen Probleme geeinigt – aber sie zeichnet sich immerhin ab. Die Bundesmarine darf demnach Piratenschiffe aufbringen und die Besatzung festsetzen. Sind deutsche Interessen betroffen – etwa bei einer Attacke auf ein Handelsschiff unter bundesdeutscher Flagge –, erginge gegen die Seeräuber Haftbefehl. Sie würden nach Dschibuti geflogen, dort einer Abordnung der Bundespolizei übergeben und in Deutschland vor Gericht gestellt. Vom Tisch sind bei diesem Szenario Überlegungen, auf den Fregatten selbst Bundespolizisten mitfahren zu lassen. Neu ist hingegen eine andere Idee: „In Berlin wird auch darüber nachgedacht, dass zum Schutz vor Überfällen auf deutschen Frachtern Sicherheitskräfte mitfahren“, berichtet der verteidigungspolitische Sprecher der Union Bernd Siebert. Rechtsexperten der Unionsfraktion gingen davon aus, dass der Einsatz von Sicherungskommandos auf deutschen Handelsschiffen durch das Mandat für die Operation Atalanta gedeckt sei, so Siebert. Ob die erste EU-Marineoperation zur Beseitigung des Piraterieproblems wirklich beitragen kann, ist allerdings fraglich. Bereits jetzt tummeln sich Kriegsschiffe aus aller Herren Länder und mit unterschiedlichen Aufträgen in der Region. Zum Schutz der Lebensmittellieferungen des World Food Programme vor Piraterie hat die Nato einen Zerstörer und drei Fregatten entsandt. Im Rahmen der Operation Enduring Freedom kreuzt ein weiterer Verband der Allianz in dem Seegebiet; seine Hauptaufgabe ist allerdings nicht die Jagd auf Piraten. Er soll mögliche Nachschubwege des internationalen Terrorismus abschneiden. Indien und Russland sind zum Schutz vor Piraterie mit je einer Fregatte präsent. Wenn im Dezember die Operation Atalanta beginnt, wären insgesamt mehr als ein Dutzend Kriegsschiffe am Horn von Afrika – nicht viele, angesichts der Größe des Seegebiets. Es umfasst annähernd drei Millionen Quadratkilometer und ist damit acht Mal so groß wie Deutschland. Entsprechend skeptisch ist der deutsche Vizeadmiral a. D. Lutz Feldt: „Eine flächendeckende Kontrolle des Seegebietes am Horn von Afrika wird nicht möglich sein“, so der ehemalige Inspekteur der Marine. Die EU-Operation könne aber dazu beitragen, „den Aktionsradius der Piraten“ einzuschränken. Ein Quäntchen Glück werden Frachter und Tanker dennoch brauchen. Bei voller Fahrt legen moderne Fregatten 55 Kilometer pro Stunde zurück. Im Ernstfall bleiben ihnen nur rund 15 Minuten, um einem von Piraten bedrohten Handelsschiff zur Hilfe zu eilen. So lange dauert es in der Regel vom Absetzen des Notrufs bis zur Attacke durch die Seeräuber. Bei diesem Zeitfenster schrumpft der Aktionsradius einer Fregatte auf überschaubare 14 Kilometer. Ist tatsächlich ein Kriegsschiff im Sektor, würde es wohl zuerst seine Helikopter vorausschicken, so wie es auch die deutsche Marine bereits mehrfach praktiziert hat. Mit einer Geschwindigkeit von über 300 Stundenkilometern erreichen die Hubschrauber in der kritischen Viertelstunde immerhin 80 Kilometer entfernte Ziele. Schifffahrtsexperten diskutieren darüber, im Seegebiet am Horn von Afrika nur noch in Geleitzügen zu fahren, die von Kriegsschiffen begleitet werden. Der Verband Deutscher Reeder hält diese Möglichkeit jedoch für wenig praktikabel. „Bei 17 000 Seebewegungen pro Jahr ist das utopisch“, sagt Pressesprecher Max Johns. Realistischer sei die Einrichtung von Korridoren für den Schiffsverkehr. Marineeinheiten würden dann ein bestimmtes Seegebiet überwachen anstatt einzelne Konvois. Die EU-Mission Atalanta allein wird dies kaum leisten können. Sinnvoll wäre es deshalb, die Marineeinheiten aus den unterschiedlichsten Nationen zu koordinieren. CDU-Verteidigungsexperte Bernd Siebert sieht nur eine Möglichkeit dazu: Ein Mandat der Vereinten Nationen müsse her. Sein Fachkollege von den Sozialdemokraten, Rainer Arnold, ist ähnlicher Meinung, wäre aber auch mit weniger zufrieden. „Ich wäre schon froh, wenn die EU-, Nato- und OEF-Seeoperationen bei der Pirateriebekämpfung koordiniert wären“, sagt der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion. Ebenso einig sind sich alle Experten in einem anderen Punkt. Die Lösung für das Problem liegt an Land. In Somalia, wo die Seeräuber ihre Basen haben. Die nach Jahrzehnten des Bürgerkriegs nicht mehr vorhandenen staatlichen Strukturen sind ein Nährboden für die Piraterie. Doch ein blutiges Militärabenteuer, wie es Mitte der Neunzigerjahre die USA in Somalia erlebt haben, wird so schnell niemand mehr wagen. Von Markus Fels

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