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250 Jahre Verlag C.H. Beck - „Wir leben in der Gegenwart“

Bei der Frankfurter Buchmesse feiert der Verlag C.H. Beck sein 250. Jubiläum. Immer noch ist das Unternehmen im Familienbesitz - wie geht das zu? Ein Besuch beim Verleger Wolfgang Beck in München

Autoreninfo

Frauke Meyer-Gosau ist Redakteurin des Magazins Literaturen.

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Oh, war das nicht eben der Verleger, der da auf seinem Fahrrad vorüberfuhr? Es ist ein heißer Julitag, ich sitze im Straßencafé in der Münchner Wilhelmstraße und trinke noch rasch einen Espresso, bevor hier um die Ecke gleich mein Termin beginnt – gerade dort nämlich, wo jetzt Wolfgang Beck, Chef des wichtigsten kulturwissenschaftlichen Verlags der Bundesrepublik, Dr. h. c. der Universität Freiburg, Träger des Bundesverdienstkreuzes, «Verleger des Jahres» 2011 und was einem auf die Schnelle noch so alles an Titeln und Ehrenzeichen einfallen könnte, sein Fahrrad abstellt. Bedenkt man, was für ein stattlich-solides kleines Imperium das ist, dem er nicht nur vorsteht, sondern das er gemeinsam mit seinem Bruder auch besitzt, man würde vermuten, der Mann müsse einem repräsentativen Kraftfahrzeug entsteigen, womöglich, nachdem ihm ein Chauffeur den Schlag geöffnet hat.

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Wer Wolfgang Beck kennt, wird diese Vorstellung eher belustigend finden: Understatement und Bescheidenheit, diese Grundpfeiler einer in Jahrhunderten gefestigten bürgerlichen Kultur, bestimmen nicht nur das Erscheinungsbild des Verlags C. H. Beck in der Öffentlichkeit, sie zeichnen auch den Verleger selbst aus: nur kein Tamtam, schon gar keine Übertreibungen! Diese Haltung hat den Verlag groß gemacht und überdies seit nunmehr 250 Jahren im Familienbesitz gehalten – neben einigen anderen Eigenschaften und Maximen, von denen noch zu reden sein wird; ein sensibles Gespür für Menschen wie für neue Ideen gehört unbedingt dazu.

Von einer Generation zur nächsten


Eine Firmengeschichte ist dies also, die zugleich eine Familiengeschichte ist und heute selbst in der sechsten Generation noch so ganz anders vonstatten geht, als wir es aus den «Buddenbrooks» kennen. Dort lauerten die neureichen Hagenströms auf ihren Vorteil und bekamen ihn auch, weil Thomas und Christian Buddenbrook mit sich und ihrer Rolle zerfallen waren; das Kind Hanno konnte sich eine Zukunft schon gar nicht mehr vorstellen: «Ich dachte, da käme nichts mehr.» Im Verlag C. H. Beck dagegen hat die siebte Generation die Arbeit bereits aufgenommen.

Trotzdem gehen mir die «Buddenbrooks» nicht aus dem Kopf, während ich am gediegenen Backsteinbau das Verleger-Fahrrad passiere und dann im Foyer durch ein großes Fenster ins Grüne schaue: Wie muss einer sich fühlen, der als Anfang-Dreißigjähriger in diesen Verlag eintrat und sich damit in eine große familiäre Traditionslinie stellte – jetzt, da er daran geht, seinem ältesten Sohn die Aufgaben zu übertragen, die er selbst vierzig Jahre lang mit großem Erfolg wahrgenommen hat? Das 250-jährige Verlags-Jubiläum ist nämlich ganz nebenbei auch noch das 40-Jährige des Verlegers Wolfgang Beck.

Wir sitzen im Konferenzraum des kulturwissenschaftlichen Verlagszweigs, am Ende eines langen Tisches, Bücher säumen die Wände, der Blick aus dem Fenster fällt auf hohe Bäume, und mein Gesprächspartner zögert keinen Augenblick mit der Antwort: «Im Alltag vergisst man diese lange Geschichte, allenfalls bei großen Jubiläen wie jetzt erinnert man sich daran. Im Verlag sind wir immer mit der unmittelbaren Gegenwart befasst, mit den nächsten Programmen und der üblichen Anzahl ungelöster Probleme. Natürlich bin ich mir darüber im Klaren, dass ich ein Anderer geworden wäre, wenn es diese Verlagsgeschichte nicht gäbe. Ich bin ja in große Fußstapfen getreten und habe dies hier nicht als der große Macher allein aufgebaut. Als ich 1973 anfing, war C. H. Beck immerhin schon ein renommierter Name.»

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Begonnen hat alles im Jahr 1763 mit der Übernahme einer Druckerei im bayrischen Nördlingen durch den Buchdrucker Carl Gottlob Beck. Er publizierte medizinische, naturwissenschaftliche und pädagogische Werke – der erste juristische Titel, Begründung der einen, künftig sehr ertragreichen Linie des Unternehmens, erschien 1764. Der Verlag entwickelte sich stetig, wenn es auch zwischendurch, im Jahr 1777, mal einen handfesten Skandal gab – der Radikal-Aufklärer Wilhelm Ludwig Wekhrlin hatte in einem Reiseband gegen die patrizischen Eliten der Reichsstädte Regensburg und Augsburg gewettert –, oder er 1803 aufgrund regionaler politischer Veränderungen vorübergehend in eine ökonomische Krise geriet. 1848 erscheint im inzwischen in dritter Generation geführten und auf protestantische Theologie sowie bayrische Jurisprudenz spezialisierten Haus die Paulskirchen-Verfassung, und als die vierte Generation die Geschäfte übernimmt, wird ein Grundstück in München-Schwabing gekauft; genau hier befindet sich der Verlag bis heute.

In München angekommen, expandiert der Verlag schnell


Nach dem Umzug von Nördlingen verbleiben dort die immer noch zu C. H. Beck gehörende Druckerei, das Sortiment und das «Nördlinger Anzeigenblatt», während der Verlag selbst von München aus zusehends expandiert: Mit der 1. Auflage des Bürgerlichen Gesetzbuches im Jahr 1896 schlägt der junge Oskar Beck endgültig den Weg zum führenden juristischen Verlag Deutschlands ein, kann mit einer Goethe-Biografie aber auch bereits einen ersten Bestseller im geisteswissenschaftlichen Bereich verzeichnen.

Blickt man auf die Entwicklung im 20. Jahrhundert, stellt sich endgültig die Frage, ob sich anhand dieser Verlagsgeschichte nicht ebenso gut auch die deutsche Geschichte der letzten 250 Jahre erzählen ließe – Walter Flex’ Kriegsnovelle «Wanderer zwischen beiden Welten», geschrieben aus nationalistisch-völkischer Perspektive und eines der sechs erfolgreichsten deutschen Bücher des 20. Jahrhunderts, erschien 1916 bei C. H. Beck, 1918 folgte «Der Untergang des Abendlandes» von Oswald Spengler, einem der wichtigsten Köpfe der «Konservativen Revolution» und wie Flex ein geistiger Wegbereiter des Nationalsozialismus. Andererseits wurde in den zwanziger Jahren Albert Schweitzer Autor des Verlags, die «Kulturgeschichte der Neuzeit» des jüdischen Schriftstellers Egon Friedell entwickelte sich zu einem Kassenschlager.

1937 wurden Friedells Bücher von der Gestapo beschlagnahmt – und just in diesem Jahr trat Heinrich Beck, Verleger in nunmehr fünfter Generation, in die NSDAP ein. Was war aus der liberalen Bürgerlichkeit geworden, für die der Verlag nun schon seit mehr als anderthalb Jahrhunderten einstand? «In der Tat würde ich sagen, die Verlagsgeschichte spiegelt die deutsche Geschichte der letzten 250 Jahre», sagt Wolfgang Beck, «und eben nicht nur deren erfreuliche Seiten. Dass so heterogene Autoren wie Oswald Spengler, Albert Schweitzer oder Egon Friedell bei uns erschienen, lag daran, dass deren Denken meinen Vater auf sehr unterschiedliche Weise faszinierten, sie selbst standen einander zunächst auch durchaus nicht feindlich gegenüber. Albert Schweitzer zum Beispiel kannte Spengler sehr gut, er verstand sich ja auch als Kulturphilosoph. Bei Friedell war es ganz ähnlich, der war sogar ein Spengler-Anhänger. Für diese Autoren war es also kein Problem, sich unter demselben verlegerischen Dach zu finden.

Was aber die Motive und Hintergründe für den Partei-Eintritt meines Vaters angeht, kann man nur vermuten, dass dies mit dem juristischen Verlag zu tun hatte. Die Juristerei war ja sozusagen NSDAP-verseucht, und bei uns erschien 1936 zum Beispiel der ­große Kommentar von Hans Globke und Wilhelm Stuckart zu den Nürnberger Rassegesetzen. Mein Vater war kein Nazi, aber er hat mit den Nazis doch fallweise zusammengearbeitet, und das nicht nur im juristischen Bereich. Im schöngeistigen Zweig erschien etwa Mussolinis ‹Der Faschismus. Philosophie, politische und gesellschaftliche Grundlagen›, auch andere italienische Faschisten publizierten hier. Da ­hatte wohl Spengler mitgemischt, der bekanntlich kein Nazi-Freund war: Er hielt sie für Proleten, eine unkultivierte, rohe Bande; Goebbels hat ihn dann ja auch kaltgestellt. Aber dem italienischen Faschismus war er zugetan.» Die Jahre zwischen 1943 und 1949 sind auch in anderer Hinsicht eine finstere Zeit für den Verlag: In Leipzig verbrennen nach einem Luftangriff fast die gesamten Buchbestände des Unternehmens, Brandbomben vernichten im Jahr darauf das Verlagshaus in München. Als der Krieg endet, wird Heinrich Beck, seiner Parteizugehörigkeit wegen, mit Publikationsverbot belegt.

Nach dem Krieg gelingt der Neuanfang


Doch der findige Geschäftsmann sieht einen Weg: «Ein Vetter meines Vaters, Gustav End, ein erfahrener Verlagsmann, gründete 1946 den Biederstein Verlag mit Sitz in München und Berlin», berichtet der Sohn. «An ihn wurden die Verlagsrechte von C. H. Beck verpachtet – und zwar alle, auch die juristischen. Dort erschienen dann etwa die Nachkriegs-Auflagen von Albert Schweitzer, aber auch die neu gegründete ‹Neue juristische Wochenschrift›, bis heute die wichtigste juristische Zeitschrift in Deutschland. Heimito von Doderer, der schon seit 1938 bei C. H. Beck war, publizierte bei Biederstein 1951 seinen Welterfolg ‹Die Strudlhofstiege›. Zu dem Zeitpunkt durfte mein Vater schon wieder als Verleger tätig sein, 1951 wurde der Verlagsneubau in der Wilhelm­straße bezogen.»

Ganz trennscharf war die Abgrenzung der Programme von C. H. Beck und dem Biederstein Verlag in den kommenden Jahren nicht: Dort verlegte man populäre Bestseller wie Walter Kiaulehns «Geschichte Berlins» oder den amerikanischen Umweltklassiker «Der stumme Frühling», daneben aber auch französische Avantgardisten wie Michel Butor und Louis Aragon. C. H. Beck wiederum publizierte mit großem Erfolg den Band «Der ewige Brunnen. Ein Hausbuch deutscher Dichtung», dessen Herausgeber Ludwig Reiners es im Sommer 1956 sogar auf das Cover des «Spiegel» schaffte. Daneben erschienen Arnold Hausers «Sozialgeschichte der Kunst und Literatur» oder Günther Anders’ kulturphilosophisches Jahrhundertbuch «Die Antiquiertheit des Menschen». Und der Verlag expandierte, das Programm erweiterte sich beträchtlich, wie schon vor dem Krieg veröffentlichten hier die namhaftesten Köpfe ihrer Fachdisziplinen. Als Heinrich Beck im Jahr 1973 starb, waren seine beiden Söhne im Verlag bereits präsent, eine neue Ära in der Entwicklung des Hauses nahm ihren Anfang. Und sie begann mit einem Paukenschlag: Der Verlag wurde geteilt. Hans Dieter Beck übernahm den juristischen, sein Bruder den kulturwissenschaftlichen Zweig.

Bis auf den heutigen Tag fungieren beide als gleichberechtigte Gesellschafter, bei zwei so unterschiedlichen Themenbereichen und Verlagskulturen unter einem Dach keine leichte Sache. Dabei hatte Wolfgang Beck eigentlich gar nicht vorgehabt, in den väterlichen Betrieb einzusteigen: «Ich habe erst einmal Medizin studiert. Aber dann stellte sich heraus, dass es doch eines zweiten, nicht-juristischen Verlegers bedurfte. Für meinen Vater war der juristische Verlag sehr schön, zumal man damit Geld verdienen konnte. Aber der nicht-juristische interessierte ihn persönlich letztlich mehr, und der sollte nicht untergehen. Also wurde ich entsprechend beeinflusst, und das war mir auch gar nicht unsympathisch. Ich studierte dann in Göttingen Germanistik und Philosophie, war in Santa Barbara Teaching Assistent – Ende 1972 trat ich in den Verlag ein.»

Die Vorbereitungszeit des 1941 Geborenen auf seine kommenden Aufgaben war kurz gewesen: ein Volontariat bei einem Verlag in Oxford und eines in einer deutsch-italienischen Buchhandlung in Florenz, dazu Praktika im eigenen Haus. Aber weil eben auch Glück zu einer Erfolgsgeschichte gehört, traf der junge Mann dort auf zwei so kompetente wie erfindungsreiche Mitstreiter: den Cheflektor Ernst-Peter Wieckenberg und den Herstellungsleiter Jürgen Fischer – «sie waren praktisch meine Lehrer.» Als sich auf der neu geschaffenen Position der Presse-Chefin dann auch noch Eva von Freeden hinzugesellte, war das legendäre «Kleeblatt», das den Verlag in den kommenden Jahrzehnten formen sollte, komplett.

Der bisherige Führungsstil wurde durch diskursive Entscheidungsfindung ersetzt, das Programm eines vielseitig ausgerichteten kulturwissenschaftlichen Verlags nahm Fahrt auf: Neue Reihen wurden begründet, eine Zusammenarbeit mit Verlagen in der DDR initiiert, international renommierte Autoren kamen ins Boot, neue Themenbereiche wie die Islamwissenschaft, die jüdische Geschichte und der Feminismus wurden besetzt. Seither belegt der Verlag nicht nur immer wieder die oberen Ränge der auf Qualitätskriterien beruhenden Bestenlisten, es gelingt ihm auch mit schöner Regelmäßigkeit der Sprung unter die Bestseller. Die Grundlagen für diese Entwicklung wurden im Jahr 1973 gelegt, und sie bestimmen den Geist des Hauses bis heute, obwohl alle wesentlichen Positionen seit dem Generationswechsel im Jahr 2000 neu besetzt sind – außer eben derjenigen des Verlegers.

Das Buch als Hauptmedium der kulturellen Entwicklung


Er ist der Qualitäts-Garant, der Ermöglicher neuer Reihen und Themenschwerpunkte. 1999 tat er einen besonders kühnen Schritt und begründete das C. H. Beck-Literaturprogramm, das an das frühere literarische Profil des Verlags wieder anknüpft. Wolfgang Beck selbst sieht seine Rolle in alledem natürlich viel zurückhaltender. «Alles Wesentliche läuft über das Lektorat», sagt er. «Für die Autoren ist doch entscheidend, dass sie einen guten Lektor haben. Der Verleger ist dann nicht mehr so wichtig.» So muss also der Gast darauf aufmerksam machen, welche Verbindung gegensätzlicher Eigenschaften hier in den letzten vierzig Jahren geglückt ist: Wagemut und Beharrungsvermögen, Sinn für die liberale Tradition und Erfindungsgeist, Geschäftssinn und Phantasie, verbunden mit dem Talent, kreative Köpfe zu binden – Köpfe wie Detlef Felken und Martin Hielscher, deren Sachbuch- und Literaturprogramme das Profil des Verlags entschieden ins Internationale geweitet, ihm ein kosmopolitisches Gesicht gegeben haben.

«Ach», seufzt da der Verleger, «dieses schreckliche Wort ‹Sachbuch›! Kann dafür nicht mal jemand einen anderen Begriff finden? Da denkt man doch an Trockenes, Menschenfernes! Wie könnte man damit ein Buch erfassen wie ‹Die Nonnen von Sant’Ambrogio›, in dem ein Kirchenhistoriker von einem römischen Kloster um 1850 erzählt: Sex and crime, Beichtväter, die schönen Nonnen mit Zungenkuss die Absolution erteilen und im Übrigen an der Formulierung des Unfehlbarkeits-Dogmas des Papstes arbeiten?» In der nächsten Zeit wird Wolfgang Beck seine Aufgaben an seinen ältesten Sohn übertragen. Der, promovierter Ökonom, ist schon seit 2007 im Haus tätig und leitet gegenwärtig ein wirtschaftswissenschaftliches Lektorat im Programmbereich seines Onkels.

Hat der Vater eine Vision für die nächsten zwanzig, dreißig Jahre? «Das ist angesichts des rasanten Veränderungstempos in unserer Branche wahnsinnig schwer zu sagen. Aber wenn man, wie ich, an Büchern hängt und das Buch nach wie vor für das Hauptmedium der kulturellen Entwicklung hält, dann wünscht man sich einfach, dass das so bleibt. Und dass es weiterhin an bedeutenden Köpfen nicht mangelt, deren Gedanken und Texte wichtig genug sind, dass man sie eben in einem Buch und nicht anders lesen möchte.» Da schließt sich dann der Kreis: Mit jedem neuen Buch zieht sich der Verlag diese Köpfe selbst heran.

Detaillierte Informationen über die Verlagsgeschichte sind nachzulesen in: Stefan Rebenich C. H. Beck 1763–2013. Der kulturwissenschaftliche Verlag und seine Geschichte, C. H. Beck, München 2013. 864 S., 38 €.

 

Der Text erschien in der Herbstausgabe 2013 von „Literaturen“. Die Zeitschrift für Leser liegt der aktuellen Ausgabe des Cicero bei.

 

 

 

 

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