IG-Metall-Kundgebung bei Ford in Köln am Tag vor dem Tarifabschluss / dpa

Tarifkompromiss in der Metallindustrie - Exklusiv für Xing-Leser: Reallohnverlust etwas abgemildert

8,5% mehr Lohn bei 24 Monaten Laufzeit und 3000 Euro steuerfreie Pauschalzahlung. In einigen gut organisierten Branchen können Gewerkschaften auch in der Krise zumindest gesichtswahrende Ergebnisse erzielen. Doch Inflation und Wirtschaftskrieg lassen sich nicht in Tarifrunden wegverhandeln.

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Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Der Tarifkonflikt in der größten Branche der deutschen Industrie ist beendet. Im traditionellen „Pilotbezirk“ Baden-Württemberg einigten sich die IG Metall und der Arbeitgeberverband Südwestmetall auf eine zweistufige Lohnerhöhung um zunächst 5,2% ab Juni 2023 und weiteren 3,3% ab Mai 2024. Dazu kommt eine steuerfreie Sonderzahlung von insgesamt 3000 Euro, die in zwei Raten im Januar 2023 und 2024 gezahlt wird. Die Laufzeit des Vertrages beträgt 24 Monate. Wenn dieser Abschluss – wie in der Metall- und Elektrobranche üblich – in den anderen Tarifbezirken übernommen wird, könnten rund vier Millionen Beschäftigte davon profitieren.

Der abschließenden Verhandlungsrunde in Ludwigsburg vorausgegangen waren die üblichen Rituale der Tarifparteien. Die IG Metall ging mit einer deutlich höheren Forderung – 8 % Erhöhung bei einer Laufzeit von nur 12 Monaten – ins Rennen, die Arbeitgeber wollten es zunächst bei der steuerfreien Einmalzahlung bewenden lassen. Es folgten auf der einen Seite von martialischer Rhetorik begleitete Warnstreiks in fast allen Bundesländern, und auf der anderen Seite düstere Beschwörungen des Untergangs der Branche bei einem zu hohen Lohnabschluss.

Große Streiks sollten vermieden werden

Von vornherein war dennoch klar, dass es keine Tarifrunde wie sonst üblich sein wird. Die galoppierende Inflation, deren weitere Entwicklung nicht seriös zu prognostizieren ist, bedeutet für Arbeitnehmer zunächst einmal schlicht Reallohnsenkung. Die konnte mit diesem Abschluss zwar etwas abgemildert werden, mehr aber auch nicht. Aber noch geringere Erhöhungen wären für die IG Metall –  immerhin die größte Industriegewerkschaft der Welt – eine Art Offenbarungseid gewesen.

Doch auch die meisten Unternehmen der Branche befinden sich in einer komplizierten Situation. Zu den explodierenden Energiepreisen kommen noch die nach wie vor massiv gestörten Lieferketten und die enormen Herausforderungen durch die notwendigen Transformationen für das Ziel einer weitgehend klimaneutralen Produktion. Und über allem schwebt die zunehmend realer werdende Gefahr einer kräftigen Rezession, vor allem, aber nicht nur in Deutschland. Vor diesem Hintergrund konnte und wollte es der Arbeitgeberverband nicht riskieren, mit massiven Streiks konfrontiert zu werden.

 

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Beide Seiten können mit dem Abschluss, der auch Pilotcharakter für andere Branchen haben wird, wohl einigermaßen leben. Zumal der Abschluss einiges an Kleingedrucktem enthält, das vor allem die Unternehmerverbände freuen wird. Denn für die Erhöhungen und die Einmalzahlung gibt es einige „Öffnungsklauseln“. So können Betriebe bestimmte Zahlungen ausfallen lassen, wenn ihre Nettoumsatzrendite unter 2,3 Prozent fällt. Auch für Produktionsausfälle, die etwa durch ausbleibende Gaslieferungen verursacht werden, gibt es Sonderregelungen.

Politik agiert planlos in der Krise

Aber eines ist klar: Tarifpolitik alleine kann die enormen wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen, die durch die multiplen Krisen entstanden sind, nicht lösen. In vielen Branchen sind die Tarifbindung der Unternehmen und der gewerkschaftliche Organisationsgrad auch viel zu schwach, um ein angemessenes Lohnniveau durchsetzen zu können. Und vielen Branchen geht es auch deutlich schlechter als der vergleichsweise immer noch florierenden Metall- und Elektroindustrie.

Doch auch der unter dem Namen „Doppel-Wumms“ bekannte milliardenschwere Flickenteppich der Bundesregierung mit seiner kruden Mischung aus Unternehmensbeihilfen sowie Energiepreisbremsen und Direktzahlungen mit der Gießkanne ist kaum als planvoller Umgang mit der Krise zu bewerten. Mit seiner teilweise übereifrigen Sanktions- und Embargopolitik gegen Russland, die im Falle der Öllieferungen auch weit über die EU-weiten Sanktionen hinausgeht, hat sich Deutschland ein veritables ökonomisches Eigentor geschossen. Wer einen offensiven Wirtschaftskrieg führen will, sollte am besten vorher überlegen, ob man sich möglicherweise mehr schadet als der bekriegten Seite.

Auch Ver.di läuft sich für Tarifrunde warm

Das alles spielte in dieser Tarifrunde zumindest offiziell keine Rolle, obwohl es der eigentliche Soundtrack dazu war. Und längst läuft sich mit Ver.di das zweite tarifpolitische Schwergewicht für eine Tarifrunde warm und fordert für die rund 2,5 Millionen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes von Bund und Kommunen eine Anhebung der Einkommen um 10,5 Prozent, mindestens aber 500 Euro monatlich bei einer Laufzeit von zwölf Monaten. Die Verhandlungen beginnen im Januar, und auch hier sind die Rituale –Warnstreiks auf der einen und die Beschwörung der klammen öffentlichen Kassen auf der anderen Seite –  ebenso absehbar wie ein für beide Seiten einigermaßen gesichtswahrender Kompromiss, der dann irgendwann nach „hartem Ringen“ kurz vor dem „drohenden Abbruch der Verhandlungen“ in einer „nächtlichen Marathonsitzung“ erzielt wurde.

Wie dem auch sei: Gleich den Metallern werden sich dann auch die öffentlich Bediensteten über einen Abschluss freuen können, der zwar weder die Reallohnverluste im laufenden noch in den kommenden Jahren ausgleichen wird, aber etwas abmildert. Beide gehören zu einer quasi privilegierten Minderheit von Arbeitnehmern mit tariflichem Schutz und vergleichsweise sicheren Arbeitsplätzen – jedenfalls noch. Das sei ihnen gegönnt, zeigt aber auch, wo die strukturellen Defizite der Tarifpolitik liegen.

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