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Lebensmittelkonsum - Bio bleibt Nische

Kolumne: Stadt, Land, Flucht. Fragt man Verbraucher, dann achtet der Großteil beim Lebensmitteleinkauf darauf, dass die Produkte aus biologischem Anbau und der Region stammen. Doch ein Blick auf die Verkaufszahlen verrät: Bio ist noch Nische. Was ist da los?

Autoreninfo

Marie Amrhein ist freie Journalistin und lebt mit Töchtern und Mann in der Lüneburger Heide.

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Mild sind die Tage. Ich laufe in den Gemüsegarten. Was gibt der noch her nach den letzten Sonnenstrahlen des scheidenden Herbstes? In einer Woche beginnt der Winter und noch immer hält die Erde Früchte für uns bereit. Ich ziehe an der Petersilie, deren Wurzel im aufgeweichten Boden nachgibt, ein trauriges Hälmchen, das sich da im matschigen Grund festhält. Das Blatt ist saftig und tiefgrün, der Geschmack eine Infusion Sommerglück. Genauso erging es mir mit den letzten Rettichen. Und mit dem Sauerkraut, das wir hobelten bis das Wohnzimmer voller Stückchen war. Mit Wacholderbeeren und Salz gärte es im Steintopf und nun steige ich in Reminiszenz an Witwe Bolte die steile Holztreppe hinab und hole mir Portion nach Portion hinauf.

Wir haben das Gefühl, noch nie so wertvolle Nahrung verzehrt zu haben. Der Geschmack ist einmalig, unübertroffen, er öffnet das Herz. Wir wollen unsere Menschen daran teilhaben lassen und schleppen Rote Beete, Rettiche und Weißkohl nach Berlin, bringen Eier, Karotten, Kartoffeln nach Hamburg und das schon im zweiten Jahr. Freunde und Familie sind dankbar, sie finden es toll. Aber es ist auch so: Sie bemerken, was wir in unserer Erzeugereuphorie übersehen, dass die kleinen Kartoffeln und die verkrumpelten Karotten mühsamer zu schälen sind, dass im Rettich ein Wurm steckt und die erste Gans ein wenig zäh war. Selbst das von mir hochverehrte Sauerkraut zaubert nicht annähernd meinen verklärten Blick auf die Gesichter der hoffremden Konsumenten.

Das was wir selbst mit Liebe hegen und pflegen, pflanzen und ernten, kann offensichtlich nie den gleichen Wert haben für jene, die diese Arbeit nicht am eigenen Leib erfahren.

Im Zweifel für die Haushaltskasse
 

Vier Prozent beträgt der Marktanteil der Öko-Lebensmittel am gesamten Lebensmittelumsatz in der Bundesrepublik, konstatiert die Verbraucherschutzorganisation Foodwatch. Gleichzeitig fühlen sich die Deutschen mitverantwortlich für die Produktionsbedingungen bei der Tierhaltung und der Herstellung ihrer Klamotten, hat die Gesellschaft für Konsumforschung für die Zeitung die Welt erfragt. München geriert sich als Bio-Stadt in der über 90 Prozent aller Einwohner nach eigenen Angaben regelmäßig oder gelegentlich Bioprodukte, beziehungsweise regionale Lebensmittel einkaufen.

Händler und Hersteller verzweifeln an der Schizophrenie ihrer Verbraucher. Warum entscheiden die Menschen sich im Zweifel immer für den Geldbeutel und gegen die Moral? Vermutlich, weil der Unterschied kaum zu bemerken ist. Die wenigsten von uns können eine frisch gemolkene Bio- von einer konventionellen Milch im Geschmack unterscheiden. Um den Unterschied zwischen plastikverschweißter Ökogurke im Discounter und Normalogurke zu erkennen, ohne auf das Etikett zu achten, bedarf es schon einer gehörigen Portion Fantasie. Die aber reicht nicht aus, um einen höheren Preis zu legitimieren. Inzwischen versucht der Vertrieb, Brücken zu schlagen durch Hofläden oder das Kenntlichmachen der Herkunft auf den Produkten. Nur wenig hilft das offenbar.

Die Gunst, die ich meinem verwurmten Rettich erweise, hat etwas von familiärer Liebe. Der angedötschte Apfel ist den meisten fremd geworden in einer sauber kontrollierten Welt, in der Dreck, Matsch und Erde zu Fremdkörpern wurden.

Das Baby saß gestern auf der Wiese und kaute an einer Karotte, die dem schmilzenden Schneemann vor ein paar Wochen aus dem Gesicht gefallen war. Ich widerstand dem ersten Impuls und ließ sie gewähren. Wenn das bisschen Erde das Kind nicht stört, warum sollte es mich stören? Vielleicht bewahrt sie auf diese Weise das Verbundenheitsgefühl mit Erde, Wasser und Luft, das uns anderen verloren gegangen ist.

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