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(picture alliance) Behörden-Chic in einem deutschen Kaffeehaus

Kulturelle Identität - Gibt es einen deutschen Stil?

Mode aus Deutschland – Das klingt für viele immer noch nach Langeweile und Funktionalität. Aber inzwischen hat die verspätete Nation auch auf diesem Gebiet zu sich selbst gefunden: Die Fesseln preußischer Zurückhaltung wurden endgültig abgestreift

Es begann gleich nach dem Krieg. Als Albert Sefranek heimgekehrt war, heiratete er in die L.Hermann Kleiderfabrik in Künzelsau ein und nähte die ersten europäischen Jeans. In den Fünfzigern erfand er für seine revolutionären Hosen den guten amerikanischen Namen Mustang. Thomas Schäfer wiederum griff in den Siebzigern auf eine französische Phantasiebezeichnung zurück; seitdem kommt aus Schwarzach am Main die Mode von René Lezard. In den Achtzigern ließ man sich vornehmlich inspirieren von dem Land, wo Armani und Versace blühten: Cinque wurde gegründet. Entworfen wird das mediterrane Lebensgefühl in Mönchengladbach.

Sage mir, wie du heißt, und ich sage dir, wer du bist. Die deutschen Modemarken, das machen sie gleich in ihrem Titel namhaft, schämen sich offenbar ihrer Herkunft. Sollte man etwa zugeben, dass man aus Hohenlohe, Unterfranken oder dem niederrheinischen Tiefland kommt? Dann schon lieber mit internationalem Anklang für sich werben. So machte sich Gerhard Weber im ostwestfälischen Halle zur Marke Gerry Weber. Und so benannte sich mit dem Esprit der Jeunesse die Mantelfabrik Strehle in Nördlingen zum Label Strenesse um. Die amerikanischen, britischen und französischen Besatzungsmächte hatten auf ganzer Linie gesiegt.

Auch die Modetrends sollten möglichst international daherkommen. Deutscher Stil? Diese Wortkombination war den deutschen Modemachern lange eine contradictio in adiecto. Erst nach der Wende und nach der Jahrtausendwende, als man fast schon wieder stolz sein durfte, ein Deutscher zu sein, fühlte sich auch die Mode in diesem Land nicht mehr so unwohl wie in einem schlecht sitzenden Sakko.

Zu deutschem Stil hatte sich bis dahin kaum jemand bekannt. Die Berliner Couture-Häuser schneiderten in den fünfziger Jahren Dior und Balenciaga nach. In den Sechzigern pilgerten die Deutschen für die frischen Trends in die Carnaby Street. Anfang der Siebziger liefen der Modeschülerin Gabriele Strehle in einer Yves-Saint-Laurent-Schau in Paris die Augen über. Und Wolfgang Joop steuerte bei Paris-Besuchen immer gleich die Place Saint-Sulpice an, um in der Yves-Saint-Laurent-Boutique nach Neuem zu suchen.

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Was sollten sie auch machen? Den Faden der deutschen Modegeschichte hatte der Krieg zerrissen. All die Traditionen, auf die sich Designer eigentlich hätten berufen können, den Deutschen Werkbund, das Bauhaus, die Neue Sachlichkeit, die Berliner Konfektion vom Hausvogteiplatz – sie lagen noch unter Trümmern, viele Protagonisten waren vertrieben oder ermordet worden. Deutschland wurde auch in Stilfragen zu einer „verspäteten Nation“, versinnbildlicht in den von Heinz Erhardt bis Gerhard Polt verewigten peinlichen Auftritten deutscher Touristen in Italien.Der Krieg konnte den Traditionsfaden zerreißen, weil er nur dünn war. Denn die in Deutschland besonders stark vertretene protestantische Lehre, die föderale Gliederung und das kritische Denken hielten die Mode auf in ihrem Lauf. So gehörte es lange zur lutherischen Frömmigkeit, sich nicht nur gegen alkoholgetränkten und überhaupt permissiven Lebenswandel zu wenden.

Auch gegen die in der Mode demonstrativ zur Schau gestellte Unbescheiden-heit wurde agitiert wie einst gegen den schwelgerischen Barock. Katholisch geprägte Länder wie Italien hatten hingegen mit dem Bling-Bling avant la lettre keine Probleme.

Der Föderalismus, eine weitere genuin deutsche Tradition, schwächte die Performance ebenfalls. Während Paris und London als wirtschaftliche, politische und kreative Kraftzentren geradezu zwangsläufig eine große Modeszene entstehen ließen, die sich an den bürgerlichen Normen und den höfischen Traditionen abarbeiten konnte, versank die deutsche Szene in Kleinstaaterei. München, Frankfurt, Hamburg, Düsseldorf, Köln: Sie alle versuchten sich nach dem Krieg als heimliche Modehauptstädte – und blieben doch nur, und zwar bis heute, in ihren örtlichen Ausdrucksformen gefangen.

Und dann musste der deutsche Stil auch noch in der Frankfurter Schule nachsitzen. Die konsumkritischen und daher egalitären Auffassungen der 68er-Bewegung führten dazu, dass sich Deutschland durch Jeans, Parka und Joschka Fischers berühmte Turnschuhe wiederum internationales Aussehen gab. Das unvorteilhaft Praktische dieses Looks schloss sich an die deutsche Sitte an, vor allem auf den Nutzen der Textilien zu schauen: Zweckmäßigkeit siegt über Phantasie, Gebrauchswert über Schönheit, Dauerhaftigkeit über Trend.

Die Deutschen einigten sich auf einen pragmatischen Stil. Die Outdoor-Mode brachte in den letzten Jahrzehnten so große Marken wie Jack Wolfskin, Schöffel, Globetrotter oder Vaude hervor. Puma und Adidas drangen vom Sportplatz in den Alltag vor. Und der deutsche Konsument verharrte im schrecklich vernünftigen Segment der so schreiend weltläufig benannten Marken s.Oliver, Tom Tailor, Betty Barclay, Bugatti, Marc Cain oder Esprit. Und dabei gibt die deutsche Frau, man glaubt es kaum, pro Jahr mehr Geld für Bekleidung aus als die Französin – vermutlich, weil sie auf Flohmärkten nichts zu finden glaubt.

Von Jil Sander zu den jungen Wilden, auf der nächsten Seite

Deutscher Stil zeichnete sich mithin in der Nachkriegszeit vor allem durch seine Abwesenheit aus. „So lange ich nicht auf den ersten Blick für Fremde als Deutscher zu erkennen bin“, so fasst es der Teilnehmer eines Stilforums im Internet pointiert zusammen, „bin ich mit mir, meinen Klamotten und Schuhen schon sehr zufrieden.“

Die Vorbehalte im Volk wurden in den stilprägenden Schichten gespiegelt. Nur wenige deutsche Modemacher stolperten nicht auf dem Weg über die internationalen Laufstege: Karl Lagerfeld, der allerdings schon seit sechs Jahrzehnten in Paris lebt und vor allem Designer wie Peter Behrens als verehrungswürdige deutsche Inspiration sieht; Wolfgang Joop, der sich in den nuller Jahren mit seiner Marke „Wunderkind“ eine Art phantasievolles Preußen herbeizauberte; Gabriele Strehle, die ihren deutschen Pragmatismus unter anderem mit Herrenstoffen in der Damenmode zur Schau stellte.

Die Designerin jedoch, die wie niemand anderes deutschen Stil definierte, begann selbst wiederum mit dem üblichen Internationalismus: Heidemarie Jiline Sander aus Wesselburen nannte sich in Hamburg schlicht Jil Sander. In ihrer Mode jedoch schälte sich in den achtziger und neunziger Jahren eine Ästhetik heraus, die protestantische Kühle, preußischen Ordnungssinn, Hamburger Noblesse und schlichte Zweckmäßigkeit zu einem minimalistischen Stil im schönsten Sinne verband. Mit ihr wurde Deutschland wohl erstmals in der Modegeschichte international anerkannt.

Seitdem zeichnet sich der deutsche Stil nicht einfach nur durch seine Abwesenheit aus. Jil Sander vermochte es, in einem subtilen Zeichensystem die gewissermaßen bodenständigen Attribute guter Mode – wie Qualität und Passform – mit den hochfliegenden Ansprüchen der „high fashion“ – wie der persönlichen Aussage und dem Designer-Standpunkt – zu vereinen. Ob in Tokio, New York oder Paris: Wer in der Mode an Deutschland denkt, wenn er denn an Deutschland denkt, der nennt nur Jil Sander.

Zur Ironie dieser Modegeschichte gehört es, dass Jil Sander „Jil Sander“ längst verkauft hat. Nun ist es eine Marke mit deutscher Herkunft, japanischem Eigentümer, italienischem Management, belgischem Designer und internationaler Klientel. Jil Sander selbst, die zwei Jahre lang für den japanischen Uniqlo-Konzern tätig war und sich nun wohl endgültig zurückgezogen hat aus der Mode, kann dem deutschen Stil also nicht mehr weiterhelfen. Und noch ein Treppenwitz: Ihren Anfang hatte Jil Sander zwar in Hamburg genommen. Aber den größten Widerhall fand ihr international kompatibler deutscher Stil auf dem Laufsteg in Mailand und in den Geschäften in Japan.

Zum Glück gibt es jetzt „Jil Sanders Töchter“, als die Johanna Perret und Tutia Schaad schon bezeichnet wurden. Ihre Berliner Marke haben sie schlicht und schön „Perret Schaad“ genannt – nicht weil es international klingen sollte, sondern weil die Halb-Französin und die gebürtige Vietnamesin nun einmal international sind. Berlin ist jetzt ein Fluchtpunkt der deutschen Mode, das die Fesseln preußischer und protestantischer Zurückhaltung abgestreift hat, das sich nur noch dunkel an den Föderalismus erinnert und Konsumkritik gar nicht mehr buchstabieren kann, seit kaufwütige Millionärinnen aus Düsseldorf und Milliardärinnen aus Moskau die Luxusgeschäfte bevölkern.

Perret Schaad, erst vor gut zwei Jahren gegründet, zeigt mit einem phantasievollen Minimalismus beispielhaft, dass all die jungen Berliner Labels nun einen neuen deutschen Stil kreieren können, gerade weil sie einen Migrationshintergrund haben, gerade weil sie Paris und Mailand kennen. In Berlin nähen sie sich ihre eigene Modehauptstadt zusammen. Imitieren müssen sienichts mehr. Jetzt gibt es deutschen Stil nicht mehr nur, weil es ihn nicht gibt. Jetzt gibt es ihn langsam wirklich.

Diesen Text finden Sie in der Dezember-Ausgabe von CICERO Choice, der Luxus-Beilage des Magazins CICERO.

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