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Die neue Männlichkeit - Spornosexuell

Die Stilkolumne: Der Metrosexuelle war einmal. Jetzt kommt der Spornosexuelle! Stahlhart durchtrainiert und begehrt. Nur auf eines legt der ideale Mann von morgen keinen Wert: auf seinen Intellekt

Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Lieber Leser! Genauer: Lieber männlicher Leser! Jetzt mal ehrlich: Wie geht es Ihnen eigentlich so? Sind Sie verunsichert? Oder verwirrt? Fühlen Sie sich manchmal überfordert? Mit ihrem Leben und Ihrer Rolle als Mann? Sind Sie hin und her gerissen zwischen alter und neuer Männlichkeit und der Frage, was das eigentlich heißen soll?

Es ist ja auch nicht einfach. Karriere machen soll man als Mann und gleichzeitig ein toller Familienvater sein. Man soll sich von traditionellen Rollenbildern verabschieden und sie zugleich erfüllen. Und dann muss man auch noch modern, hipp und weltgewandt sein, dabei authentisch und bodenständig. Seufz!

Wie gesagt: Das alles ist schwierig genug. Doch dann wird auch noch alle Jubeljahre ein neues Männerideal ausgerufen, kaum hat man sich halbwegs mit dem alten abgefunden. Wer soll da den Überblick behalten?

Beckham, das metrosexuelle Idealbild


Das Elend begann im November 1994 mit einem Artikel im Independent. Unter dem Titel "Here come the mirror men" beschrieb der britische Journalisten Mark Simpson eine neue Art Mann – den Metrosexuellen. Der war idealtypisch Single, verfügte durch einen Job in der City über ein hohes Einkommen, trug modische Klamotten und frequentierte zwecks Maniküre und Haarentfernung regelmäßig Schönheitssalons. Kurz: Der metrosexuelle Mann legte zur Inszenierung seiner Männlichkeit ein feminines Konsumverhalten an den Tag, das traditionellen Männlichkeitsklischees zuwiderlief. Als sein Idealbild galt David Beckham.

Mit seiner Analyse hatte Simpson den Nerv der Zeit getroffen. Plötzlich sah man überall nur noch metrosexuelle Männer. Männer begannen sich zu stylen wie Johnny Depp, Brad Pitt oder Justin Timberlake, die Umsatzzahlen von Männerkosmetik explodierten, und Brotox-Spritze und Schönheits-OP waren plötzlich keine weiblichen Domänen mehr. Metrosexualität wurde Mainstream.

Dabei wurde fast vollständig übersehen, dass Simpsons Intervention ursprünglich konsumkritisch gedacht war: „Metrosexuelle“, hatte er formuliert, „sind ein Produkt der unersättlichen kapitalistischen Gier nach neuen Absatzmärkten“. Traditionelle heterosexuelle Männer seien schlechte Konsumenten. Alles, was sie brauchten, seien Bier, Kippen und ab und an ein Kondom. In einer konsumistischen Welt hätten diese Männer keine Zukunft. Daher seinen sie von den Marketingstrategen der Lifestyleindustrie durch den konsumfreudigen Metrosexuellen ersetzt worden.

Das klang ganz gut. Was aber, wenn die neuen Männer keine verführten Opfer der Marketingabteilungen waren, sondern einfach selbstbewusst neue Gestaltungsräume nutzten? Simpson sah den Punkt und interpretierte seine Konsumkritik ein paar Jahre später in ein Emanzipationsmodell um: „Metrosexual­ity isn’t about flip-flops and facials, man-bags or man­scara. Or about men becom­ing ‚girlie’ or ‚gay’.“ Es ginge vielmehr darum, dass Männer nun alles werden könnten. Nur für sich. Und das in einer Art und Weise, die bisher Frauen vorbehalten war.

Doch wo es um Emanzipation geht, ist die Emanzipation von der Emanzipation nicht weit. Also legte Mark Simpson mit dem ihm eigenen Talent nach. In dem amerikanischen Onlinemagazin salon.com machte er in einem Artikel über David Beckham („Beckham is the über-metrosexual“) den Emanzipationsverweigerer aus – den Retrosexuellen. Der war der Antityp zum Metrosexuellen, scherte sich einen Dreck um Mode und Styling und weigerte sich seine Augenbrauen zu zupfen.

Karikatur des Metrosexuellen


Emanzipationsbewegungen erzeugen jedoch nicht nur Emanzipationsmuffel, sondern auch Leute, die Emanzipation mit Selbstinszenierung verwechseln und den Gestus des Emanzipierten überbieten müssen – manche würden auch sagen: karikieren. Diese Karikatur des Metrosexuellen kommt nicht überraschend. Es ist der Spornosexuelle.

Spornosexuell? Was zum Teufel ist spornosexuell? Die Antwort gab Mark Simpson publikumswirksam vor gut zwei Wochen im Telegraph: „The metrosexual is dead. Long live the 'spornosexual'".  

Der Spornosexuelle ist die konsequente Weiterentwicklung des Metrosexuellen. Der Spornosexuelle treibt den Körperkult auf die Spitze. Legte der Metrosexuelle lediglich Wert auf einen sportlichen, attraktiven Körper, damit seine Kleidung besser zur Geltung kommt, so ist dem Spornosexuellen Mode eigentlich egal. Sein ultimatives Accessoire ist sein glatt rasierter, übertrainierter Körper. Der Spornosexuelle, schreibt Simpson, „möchte für seinen Körper begehrt werden, nicht für seine Garderobe. Und schon gar nicht für sein Intellekt.“

Der Sporno ist nicht einfach nur eitel, sondern ein Ultranarzisst, der bei jeder Gelegenheit seinen stahlhart trainierten Body präsentiert. Dementsprechend hat der Spornosexuelle auch ein zwanghaftes Verhältnis zu Facebook, Instagram und Flickr. Simpson: „Für die heutige Generation sind soziale Medien, Selfies und Pornos das Spannungsfeld des männlichen Begehrens begehrt zu werden.“

Die Wortschöpfung „Sporno“ ist eine Synthese aus „Porno“ und „Sport“, der hypersexualisierte Körper des Spornosexuelle das Produkt von pornografischer Ästhetik und synthetischer Sportlichkeit. Seine Vorbilder sind die Covermodels von Men’s Health, die Stripper der Chippendales und Stars wie Cristiano Ronaldo, Dan Osborne oder einmal mehr – David Beckham, dessen Werbefotos für Armaniunterwäsche Ikonen spornosexueller Ästhetik darstellen.

Unterschied zwischen realem und medialem Körper verschwimmt


Kulturgeschichtlich ist die photoshopartige Künstlichkeit des spornosexuellen Körpers nicht besonders originell. Auch die Körper antiker Statuen waren keine fotorealistischen Wiedergaben der Realität. Allerdings: Diese Statuen waren eben Statuen. Der Witz spornosexueller Selbstdarstellung liegt darin, den Unterschied zwischen realem und medialem Körper aufzuheben.

Dank Facebook und Instagram ist mediale Selbstdarstellung in der Mitte der Gesellschaft angekommen und nicht nur den Stars der Unterhaltungsindustrie vorbehalten. Dennoch bleibt sie auf klare und eindeutige Signale angewiesen. Und aus diesem Grund stellt die spornosexuelle Inszenierung einen Rückschritt gegenüber der metrosexuellen Ästhetik dar, wie ein Kollege im Telegraph zu Recht bemerkte.

Spornos reproduzieren althergebrachte Männlichkeitsmuster bis zu ihrer Karikatur. Ihre Körperästhetik orientiert sich an Geschlechterklischees, die man eigentlich schon überwunden glaubte. In diesem Sinne ist der Sporno die männliche Antwort auf Michaela Schäfer.

Allerdings liegt hierin auch ein weiterer Emanzipationsschritt und ein gutes Stück Gleichberechtigung. Immerhin haben Männer mit der Spornosexualität einen Bereich semipornografischer Selbstdarstellung erobert, die bisher ausschließlich Frauen vorbehalten war. Ob das ein Fortschritt ist, sei einmal dahingestellt.

 

 

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