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Peer Steinbrück - Die Kampagnentheorie ist ein Märchen

Peer Steinbrück, der Kanzlerkandidat der SPD, fühlt sich von Journalisten ungerecht behandelt. Wird er das wirklich? Nein, meint Malte Lehming. Die Kampagnentheorie darf mangels Evidenz und Plausibilität als widerlegt gelten 

Autoreninfo

Malte Lehming ist Autor und Leitender Redakteur des Berliner "Tagesspiegels".

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Eine alte Regel lautet: Kann der Bauer nicht schwimmen, ist die Badehose schuld. Und so wundert es nicht, dass ein Bundestagsabgeordneter jetzt Klartext redet. Die Presse verhalte sich wie ein „vierjähriges Kind, das austestet, wie weit es noch gehen kann, ehe ihm einer auf die Finger klopft“. Damit gemeint ist die „ungehörige Medienkampagne“ gegen den „nachweislich erfolgreichen“ Spitzenmann seiner Partei.

Mit dieser Begründung rief der FDP-Bundestagsabgeordnete Joachim Günther vor einiger Zeit zum Medienboykott auf. Zeitungen abbestellen, Radio und Fernsehen nicht mehr einschalten. Günther geißelte eine „links-grüne Hysterie-Berichterstattung“.

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Die „Journalistenmeute“ habe Guido Westerwelle zum Rückzug getrieben.

Journalisten sind Steinbrücks Lieblingsfeinde

Ähnlich zornig waren Amerikas Republikaner nach der letzten Präsidentschaftswahl. Das Spitzenduo Mitt Romney und Paul Ryan sei von einem linksliberalen Medienkartell fertiggemacht worden, hieß es. Statt sich mit politischen Inhalten zu beschäftigen – Staatsverschuldung, hohe Arbeitslosigkeit, geringes Wirtschaftswachstum – sei nach der ersten TV-Debatte „Big Bird“ Bibo zum Hauptthema gemacht worden, jener Vogel aus der Sesamstraße, dem es womöglich ans Gefieder gegangen wäre, wenn finanzielle Zuschüsse für den öffentlichen Sender PBS gestrichen worden wären.

„Journalisten sind seine Lieblingsfeinde“, steht über Peer Steinbrück im jüngsten „Spiegel“. Denn schon früh gab auch der SPD-Kanzlerkandidat den Medien eine Mitschuld an seinen relativ schlechten Umfragewerten. Er lamentierte über die „mediale Berliner Käseglocke und ihre Kommentatoren“. Er warf ihnen vor, die Psychologie von Politikern interessanter zu finden als deren Standpunkte. Am Ende reckte er Kritikern seinen Mittelfinger entgegen.

Das fand Resonanz. Genosse Johannes Kahrs vom Seeheimer Kreis verfasste schließlich, gemeinsam mit anderen Sozialdemokraten, einen wütenden Text unter der Überschrift „Es reicht!“ Die negative Berichterstattung über Steinbrück sei „heiße Luft“, in Teilen „einfach nur lächerlich“.

Gibt es eine Medienkampagne gegen den SPD-Kanzlerkandidaten? Evidenz und Plausibilität sprechen klar gegen diese These. Im „Tagesspiegel“ zum Beispiel haben sich in den vergangenen drei Monaten, der heißen Phase des Wahlkampfs also, drei Leitartikel kritisch mit Steinbrück und seiner Partei befasst, zwölf allerdings mit Angela Merkel und der Regierung. Im Vordergrund stand Merkels „Neuland“-Bemerkung über das Internet, ihr Verhalten in der NSA-Affäre, ihr Euro-Rettungskurs, ihre Syrienpolitik, die Drohnen-Affäre. Der Ton gegenüber Merkel war eindeutig härter als gegenüber Steinbrück. Zum Teil wurde die Kanzlerin mit Argumenten der Opposition attackiert.

Der Kampagnenthese fehlt die Plausibilität

Nun ist es ganz natürlich, dass eine amtierende Regierung medial härter angegangen wird als die Opposition. Daher rührt es auch, dass eine heftige Polemik gegen die Kanzlerin beim Publikum meist als Ausweis großer Kritikfähigkeit gilt, während ein Lob ihrer Arbeit unter Anbiederei-Verdacht steht. Aber aus den Zahlen zu den kritischen Kommentaren nun den umgekehrten Schluss abzuleiten, Steinbrück werde gewissermaßen gemobbt, wäre absurd. Ähnlich resümiert das Hamburger Magazin: „Nimmt man die überregionalen Printmedien, ist das Meinungsbild ausgewogen. Pluralität ist gewahrt, eine skeptische ,FAZ’, eine wohlwollende ,Süddeutsche Zeitung’, eine freundliche ,Zeit’, ein kritischer ,Spiegel’.“

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Überdies fehlt der Kampagnenthese die Plausibilität. Die meisten deutschen Redakteure, die im Meinungsgeschäft tätig sind, verorten sich politisch eher links. Laut einer Studie des Hamburger Instituts für Journalistik sympathisieren 35,5 Prozent mit den Grünen, 26 Prozent mit der SPD, 8,7 Prozent mit der CDU (keine Partei: 19,6 Prozent). Wie und warum sich das in eine allgemeine Anti-Steinbrück-pro-Merkel-Haltung übersetzen soll, lässt sich ohne Gehirnverrenkung kaum erklären.

Hinzu kommt, dass Medien, falls sie in erster Linie an Quote und Auflage interessiert sind, vor allem die sedierende Merkel-Herrschaft, nicht aber den Herausforderer als Bedrohung empfinden müssten. Ein knappes Rennen, eine starke Opposition, womöglich eine neue Regierung mit neuem Personal: Das verspricht Spannung, Neugier und Einschaltquoten. Das schmerzliche Fehlen einer solchen Perspektive dürfte mit ein Grund dafür sein, warum seit Merkels Amtsantritt kompensatorische Aufregerthemen Konjunktur haben – Plagiate, Christian Wulff, Thilo Sarrazin, Beschneidung.

Wie man es dreht und wendet: Die Kampagnentheorie darf als widerlegt gelten. Wenn Steinbrück redlich bleiben will, wofür vieles spricht, sollte er sich - für den Fall der Fälle am Abend des 22. September - ein anderes Erklärungsnarrativ suchen. Sonst könnte es ihm entgegen schallen: Kann der Bauer nicht schwimmen, ist die Badehose schuld.

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