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Klassik macht schlau - Eine bildungsbürgerliche Illusion

Das Hören klassischer Musik soll unter Kleinkindern einen Anstieg bestimmter kognitiver Fähigkeiten bewirken. Das glauben zumindest die Klassikfans. Doch nach einer aktuellen Studie ist Vorsingen viel beruhigender

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ist Violinist und für seine Einspielungen von Musik des 18. und 19. Jahrhunderts berühmt. Zuletzt erschienen sein Buch „ Toi, Toi, Toi - Pannen & Katastrophen in der Musik“ und die CD „The Romantic Violinist“.

Foto: Harald Hoffmann / Deutsche Grammophon

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Die ältere Dame beugte sich über den Autogrammtisch: „Na, haben Sie ihm schon vorgespielt? Er soll doch viel Mozart hören!“ Gemeint hat sie unseren Neugeborenen. Obwohl ich erst seit kurzem Vater bin, wurde mir die Frage nach der Wirkung von Musik auf Kleinkinder schon oft gestellt.

Bei der Vorstellung seines Budgets von 12,5 Milliarden US-Dollar für 1999 führte der damalige demokratische Gouverneur von Georgia, Zell Miller, alle Grundlagenkosten auf, die Ausgaben also für Schulen, Straßen, Krankenhäuser. Dann fügte er ein unerwartetes Element hinzu: einen Antrag auf 105 000 Dollar Steuer­gelder für eine klassische Musik-CD, die jedes Kind Georgias kostenlos erhalten sollte.

Der Gouverneur betätigte daraufhin die Starttaste an seinem CD-Player, und die Versammlung hörte einen Auszug aus der „Ode an die Freude“ von Beethoven. „Fühlt ihr euch jetzt nicht alle intelligenter?“, fragte Miller in die Runde.

Der Gouverneur spielte auf den „Mozart-Effekt“ an, einen Begriff des Schriftstellers Don Campbell. In seinem gleichnamigen Buch behauptet Campbell, das Hören klassischer Musik – und vor allem Mozart – könne zu einem Anstieg bestimmter kognitiver Fähigkeiten führen. Die Theorie beruht auf dünn recherchierten Erkenntnissen über kaum messbare Leistungssteigerungen bei Tests unter Erwachsenen. Wenn man diese „Recherchen“ zusammenwürfelt und auf einen Slogan reduziert wie „Mozart macht Babys clever“, entsteht eine verführerische Schlagzeile, die sich anscheinend durchsetzt.

Der vermeintliche „Mozart-Effekt“ inspirierte Julie Aigner-Clark zu einem billig produzierten Video, das Puppen und Spielzeuge zeigte, die sich zu klassischer Musik bewegen, und das sie unter dem Namen „Baby Mozart“ veröffentlichte. Damit soll das Baby von Lebensbeginn an vor die Glotze gesetzt werden.

Bald erschienen weitere Reihen mit „Baby Einstein“ oder „Baby Van Gogh“. 2001 kaufte die Walt Disney Company die „Baby Einstein“-Gruppe. Als sie die DVDs unter „Erziehung“ vermarkteten, wurde Disney mit einer Klage bedroht. Seither haben Forscher wachsende Zweifel am „Mozart-Effekt“. Wissenschaftler an der University of Washington berichten sogar, dass das Betrachten von solchen Videos zu einer deutlichen Beeinträchtigung der Leistung bei Kleinkindern führen kann.

Ist vielleicht ein altes Mittel noch immer das beste? Wir wissen alle, dass es meistens eine beruhigende Wirkung hat, wenn Eltern ihren Kindern Lieder vorsingen. Im Oktober 2013 hat eine Studie des Great Ormond Street Hospital in London es nachgewiesen.

Die Experten untersuchten bei 37 Babys und Kleinkindern, wie ein zehnminütiges Vorsingen das Schmerzempfinden, die Sauerstoffsättigung im Blut und den Puls beeinflusste. Die Eltern sangen zuerst vor, lasen dann gleich lange und saßen schließlich stumm am Bett. Das Singen wirkte eindeutig am beruhigendsten auf die Kinder. Und nun weiß ich auch, was ich gleich tun werde.

Daniel Hope ist Violinist von Weltrang. Sein Memoirenband „Familien­stücke“ war ein Bestseller. Zuletzt erschienen sein Buch „Toi, toi, toi! – Pannen und Katastrophen in der Musik“ (Rowohlt) und die CD „Spheres“ (Deutsche Grammophon). Er lebt in Wien

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