
- Zwischen Goldhase und Festtagsbraten
Was spricht schon gegen etwas Geselligkeit, gute Lammkeule und heidnisches Ostereiersuchen? Eigentlich nichts. Wäre da nur nicht diese intellektuelle Zumutung des Christentums namens Auferstehung. Von Alexander Grau
Unter allen christlichen Festen berührt Ostern am peinlichsten. Und das hat nicht nur mit dem Kitsch-Overkill in Form grinsender Osterhasen zu tun. Ostern, das ist, gleich nach Weihnachten, für viele das zweite große Familienfest im Jahr. Selbst hartgesottene Agnostiker können sich ihm zumeist nicht entziehen. Man besucht Verwandte oder Freunde, es gibt den geliebten Osterbraten, und die Kinder suchen fröhlich nach bunten Eiern.
Dagegen ist natürlich überhaupt nichts zu sagen. Was spricht schon gegen Geselligkeit und eine gute Lammkeule im Kreis der Lieben? Jedoch: Ostern ist eben nicht nur ein willkommener Anlass für einen Festschmaus, sondern zugleich ein christliches Fest. Genauer: Es ist das christlichste aller christlichen Feste und, theologisch gesehen, sehr viel bedeutender als das populäre Weihnachten.
Auferstehung als intellektuelle Zumutung
Genau hier aber beginnt das Problem. Denn Weihnachten und der von vielen gedankenlos übergangene Karfreitag beziehen sich immerhin auf historisch mehr oder minder verbürgte Ereignisse. Denn geboren wurde Jesus von Nazareth ohne jeden Zweifel. Sicher nicht an einem 24. Dezember, doch immerhin. Und auch gekreuzigt wurde der jüdische Sektenführer, soviel ist ebenfalls weitgehend unumstritten.
Aber die Auferstehung von den Toten, das ist für den Menschen der Moderne – und nicht nur der Moderne, wie viele Quellen belegen – dann doch eine ziemliche intellektuelle Zumutung. Wie gut, dass man diesen Skandal mithilfe der Symbole eines heidnischen Fruchtbarkeitsfestes übergehen kann. Osterhasen, Küken und Eiernest ermöglichen geradezu die Flucht aus der intellektuellen Beklemmung, die der christliche Anlass bereitet. Auferstehung von den Toten? Da feiern wir doch besser gleich den Frühlingsanfang wie einst unsere Urahnen. Das ist zumindest handfest.
Der Tod ist mächtiger als das Leben
Die Kirchen, sich der Zwiespältigkeit der Ostergeschichte im Grunde nur zu bewusst, flüchten sich angesichts dieser heiklen Situation in tapfere Durchhalteparolen. Von der Überwindung des Todes ist dann gerne die Rede, von der Revolution des Lebens, davon, dass das Leben stärker ist als der Tod.
Schön wär’s. Aber wir wissen natürlich alle, dass dem nicht so ist. Der Tod ist mächtiger als das Leben und unsere Existenz eine endliche. Mehr noch: Der Tod kann grausam sein und unmenschlich. Jeder Besuch auf einer Onkologie oder einer Intensivstation führt einem das drastisch vor Augen. Wir sind dem Tode Geweihte. Und das Leben ist kurz, wie man spätestens bemerkt, wenn man die Vierzig überschritten hat und man weiß, wie schnell die Jahrzehnte vergehen. Was sind schon die zwanzig oder dreißig Sommer, die einem noch bleiben? Sie werden so schnell dahingehen, wie die zwanzig Sommer zuvor. Und der Sommer vor zwanzig Jahren – war der nicht erst gestern?
Unendliche Sinnlosigkeit ist nicht sinnvoller als endliche
Die Kürze des Lebens, sie ist ein Skandal, brutal und unversöhnlich. Und das Schlimmste ist: Wir können ihr nicht entkommen, nicht mittels Fernreisen und Megaevents, nicht mittels Partys und Dauerspaß. Im Gegenteil, all diese verzweifelten Versuche, der Endlichkeit einen Sinn durch maximale Sinnlichkeit abzugewinnen, sind auf tragische Weise lächerlich. Denn auch das sinnlich erfüllteste Leben ist keinen Deut sinnvoller als ein Leben in enger Eintönigkeit. Und wer jetzt meint, Kontemplation, Kunst und philosophische Versenkung könnten an dieser Bilanz etwas ändern, begeht nur denselben gedanklichen Fehler unter anderen ästhetischen Prämissen.
So gesehen ist die Osterbotschaft der rührende Versuch, der Brutalität limitierter menschlicher Existenz einen Sinn abzugewinnen. Aber mal ehrlich: Wäre das Leben auch nur einen Hauch sinnvoller, wenn es unendlich wäre? Die Antwort erübrigt sich. Unendliche Sinnlosigkeit ist auch nicht sinnvoller als endliche, im Gegenteil.
Ostern – das menschlichste aller Feste
Genau an diesem Punkt aber, bekommt das Osterfest dann doch wieder seinen Sinn. Denn zwischen Goldosterhasen und Festtagsbraten konfrontiert es uns mit uns selbst: mit unserer Endlichkeit, mit der Vergeblichkeit, diese Endlichkeit in ein übergeordnetes Ganzes einzuordnen. Ostern ist ein kulturelles Denkmal, ein Zeugnis des allzu menschlichen Versuches, der Endlichkeit einen Hauch von Sinn abzugewinnen. Und darin liegt, recht betrachtet, seine ganz eigene Größe.
Im Grunde gibt es kein menschlicheres Fest als Ostern. Wir feiern hier die Humanitas selbst in Gestalt ihrer letzten Fragen. Dass es auf diese Fragen keine naiven Antworten gibt, schmälert dieses Fest auf keine Weise. Das ist natürlich keine wirklich familienfesttaugliche Botschaft. Aber es liegt in dem Charme dieses Festes, beides miteinander zu verbinden: die ärgsten Zumutungen mit Festschmaus, Osterkuchen und Spaziergang im Sonnenschein.