Mehdi Hobe Darvish, ein Fußballfan aus dem Iran, jongliert mit dem Ball vor der seit Donnerstag (14. Juni) abgelaufenen WM-Countdown-Uhr.
Die Iraner sind ihren Machthabern lange genug auf der Nase herumgetanzt, um eine Änderung zu bewirken / picture alliance

Iran bei der Fußball-WM - Ein kleines Wunder

Frauen mussten sich im Iran bislang Bärte ankleben, um ins Fußballstadium zu kommen. Wenn ihr Team bei der Fußball-WM in Russland heute Abend gegen Spanien spielt, brauchen sie das nicht. Was ist passiert?

Chiara Thies

Autoreninfo

Chiara Thies ist freie Journalistin und Vorsitzende bei next media makers.

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Stell dir vor, es ist Fußball-WM, du sollst für dein Land spielen und bekommst keine Schuhe. Tja, so kann es laufen, wenn man für Iran antritt. Doch nicht nur an den Schuhen hapert es. Die Mannschaft hat auch so wenig Trikots, dass sie geflickt werden müssen, wenn sie kaputt gehen. Nicht mal der rituelle Trikot-Tausch nach dem Spiel ist so möglich. 

Und woran liegt das? An den von US-Präsident Donald Trump erneut verhängten Sanktionen natürlich. Ein offizieller Sponsoring-Vertrag mit dem US-amerikanischen Unternehmen Nike war deswegen nicht möglich. Am Ende mussten sie die Trikots auf eigene Kosten bei Adidas kaufen. Sehr ungewöhnlich, denn normalerweise reißen sich die großen Marken um Sponsoring-Verträge zur Weltmeisterschaft. Immerhin hat die Mannschaft 70 Prozent Rabatt bekommen. Doch selbst die Nummern musste sie selbst aufnähen. Bei dem Spieler Ramin Rezaeian wurde die Ziffer zwei sogar falsch herum angebracht. Doch geschehen ist geschehen, Ersatz gibt es nicht.

Leidenschaft mit Gefängnisstrafe

Da die Trikots selbst eingekauft werden mussten, gibt es auch keine offiziellen Fan-Shirts. Eine Schande, denn die Iraner sind ein fußballbegeistertes Volk. Nicht selten kommt es vor, dass ein Fußballspiel eine  ganze Stadt lahm legt. Frauen ist es verboten, ins Stadion zu gehen. Während die Männer sich also das Spiel anschauen, arbeiten sie. Wobei von Arbeit keine Rede sein kann. Denn in den meisten Geschäften hängen Fernseher, auf denen Liveübertragungen der Spiele der iranischen Liga laufen. Einen Kaffee zu bestellen kann so gerne mal fünf Minuten dauern. Und da geht es noch nicht mal um das Bezahlen und das Warten auf den Kaffee an sich. Denn jedesmal, wenn im Stadion gejubelt wird, dreht sich die Verkäuferin nach hinten, um zu schauen, was passiert ist. Meistens nichts. Wenn sie sich dann zurück zum Kunden dreht, begrüßt sie ihn erneut und fragt, was er trinken möchte.

Bei dieser Leidenschaft ist es auch nicht verwunderlich, dass sich einige Frauen Bärte ankleben und Mützen aufsetzen, um sich auf diese Weise als Männer zu verkleiden. So schmuggeln sie sich ins Stadion, stehen dann stolz und stumm da. Mitsingen dürfen sie nicht, an den Stimmen könnte man sie erkennen. Bei der WM dürfen die Frauen in den russischen Stadien jedenfalls ganz legal mitfiebern. Die Gelegenheit nutzten aus den Iran angereiste Frauen direkt für politische Statements. Sie hatten Plakate angefertigt, mit denen sie ihr Recht auf den Stadionbesuch im Iran einfordern. Politische Statements sind während der WM eigentlich nicht erlaubt. Die Spieler dürfen zum Beispiel keine regenbogenfarbenen Armbinden tragen, um gegen Homophobie zu demonstrieren. Aber die Forderung der Iranerinnen erkannte die  Fifa als „sozialen Appell“ an und drückt deshalb ein Auge zu. Im Iran wären die Frauen allein für Anwesenheit im Stadion und den Protest sofort in einem Gefängnis verschwunden.

Alles andere als unpolitisch

Dabei sprachen sich bereits von der Präsident Hassan Rohani und sein Sportminister Masoud Soltanifar für eine Familientribüne in Stadien aus. Nur die Mullahs der geistlichen Führung schmettern die Vorschläge immer wieder ab. Ein Stadion sei kein Ort für Frauen, weil die Gesänge der Männer zu vulgär seien. Soso, in Russland singen die Frauen jedenfalls aus vollem Herzen mit. Auf den zweiten Sieg seit ihrer ersten Teilnahme bei der WM sind alle Iraner nämlich mächtig stolz, Männer genauso wie Frauen. 

Dass es sich eigentlich um ein Eigentor der Marokkaner gehandelt hat, schmälert den Beachtung für die eigene Mannschaft keineswegs. Public Viewing war im ganzen Land zwar verboten, nach dem Sieg strömten trotzdem Frauen und Männer Hand in Hand auf die Straße. Sie feierten und tanzten gemeinsam bis in die frühen Morgenstunden, manche Frauen nahmen sogar ihre Kopftücher ab und schwangen sie in der Luft herum. Dafür hätten alle Beteiligten Peitschenhiebe und Gefängnisstrafen erhalten müssen. Doch die Polizei und Sittenwächter wollten sich der Übermacht der Feierwütigen nicht stellen. 

Und so haben die Iraner in dieser Nacht ein kleines Wunder vollbracht. Beim Spiel gegen Spanien heute Abend ist erstmals Public Viewing in zwei Stadien in Teheran erlaubt – und das sogar für Frauen. Natürlich auf einer eigenen Tribüne und nur für dieses Event. Aber der Anfang ist gemacht, das totalitäre Regime hat an Macht eingebüßt. Ob die Iraner allerdings so viel zu feiern haben wie beim letzten Spiel, ist bei dem Gegner Spanien mehr als fraglich. Aber immerhin werden sie gemeinsam ihre Mannschaft anfeuern können. Im Iran zeigt sich so einmal mehr, dass Sport alles andere als unpolitisch ist.
 

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Romuald Veselic | Mi., 20. Juni 2018 - 16:11

in den beiden größten Stadien in Teheran erlaubt – und das sogar für Frauen. Natürlich auf einer eigenen Tribüne und nur für dieses Event."
Es ist verstörend, dies als Sieg der Unmündigen darzustellen. Dieser Geschlechter-Apartheid gehört an den Pranger. Tagein-tagaus.

Als 1980 in UdSSR die Olympiade stattfand, gab es in Moskau die ganze Zeit tiefgefrorene Hänchen aus Dänemark. Alle haben sich gefreut, endlich funktioniert die Lebensmittelversorgung. Die Klügeren u. Kenner wussten, dass es anders kommen wird u. haben in letzten Olympia-Tagen fast alle TK-Hühner aufgekauft. Weil sie wussten, dass nach Olympischen Spielen, alles in alten Bahnen verlaufen wird.
Sie haben recht behalten.

Ich wünsche iranischen Frauen sogar FKK-Strands. Dazu aber wird nicht kommen. FKK in jeder Form ist im Iran ein Verbrechen.

Michaela Diederichs | Mi., 20. Juni 2018 - 21:00

Ihr liebevoller, informativer Artikel zur WM ist so erfrischend anders, dass ich mir glatt das Spiel angucken muss. Keine Fußballkunst, aber immerhin hält Iran die Königsklasse in Schach - aber wie. Wenn man bedenkt unter welchen widrigen Bedingungen die Außenseiter trainieren und spielen, dann kann man nur den Hut ziehen. Die spielen noch mit Leidenschaft und Herz. Und nun zurück zum Spiel und ganz herzlichen Dank für einen bereichenden Artikel.

Peter J. Wieland | Do., 21. Juni 2018 - 12:57

Antwort auf von Michaela Diederichs

Die iranische Mannschaft hat zu allererst Fußballschuhe gekauft.
Nike hat sich geweigert die Mannschaft auszustatten.
Der amerikanische Konzern begründet seine Weigerung mit der Entscheidung Donald Trumps, den Atomvertrag zu stornieren und die Sanktionen gegen den Iran wieder einzuführen.

Christoph Rist | Mi., 20. Juni 2018 - 22:37

Das darf man - trotz des furchtbar abscheulichen Mullah-Regimes nie vergessen. Gerade im Vergleich zu seinen ziemlich dumpfbackigen wie kulturell primitiven Nachbarn, heben sich die Iraner durchaus positiv ab. Es gibt in breiten Teilen der Bevölkerung eine innere Opposition zum Regime und dessen rigider islamischer Agenda. Eine tragende Rolle kommt hierbei den iranischen Frauen zu, die in vielen Fällen dabei auch von Brüdern, Vätern, Freunden unterstützt werden. Interessant übrigens auch der spezifisch iranische Kopftuchlook. Viele Frauen würden einen Teufel tun und sich - wie leider immer mehr sunnitische Frauen hierzulande und in der Erdowahn-Türkei - zu einer mondgesichtigen Nonne in einem schwarzen Müllsack verkleiden. Es ist auch ein gutes Zeichen, wenn die Iranerinnen gemeinsam mit den Männern auf die Straße gehen und feiern. Wenn das Regime eines Tages weicht, dann hat dieses Land, diese Gesellschaft eine positive Zukunft.

Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Merkel weg muss!

Markus Gerle | Do., 21. Juni 2018 - 10:10

Zunächst: Erst aufgrund dieses Artikels habe ich mal über die mir bekannten Perserinnen im Iran und in Deutschland nachgedacht. Schon witzig, es stimmt, die sind ausnahmslos an Fußball interessiert.
Ansonsten ist der Iran, wo ich zuletzt in 2009 war, für mich ziemlich kurios: Ich habe in keinem anderen Land des Nahen Ostens so viele Pärchen Hand-in-Hand rum laufen sehen wie in dem großen Park in Teheran. Vollverschleierung sieht man fast gar nicht in Teheran (eher auf dem Land). Das Kopftuch ist Pflicht, wird m. E. und vorsichtig ausgedrückt, häufig nicht korrekt getragen. Noch kurioser: Israel gilt als Erzfeind des Irans. Aber anders als in den arabischen Ländern findet man im direkten Gespräch mit Persern überhaupt nichts von diesem unbändigen Hass auf Israel und alles jüdische. Mir scheint, im Iran wird die Religion nur von der herrschenden Klasse missbraucht, die Untertanen im Griff zu behalten.