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Merkel-Vertraute - Die verschwiegene Kundschafterin

Eva Christiansen gehört zu den einflussreichsten Frauen in Berlin. Aus dem Hintergrund koordiniert sie das Auftreten Angela Merkels. Dabei gilt vor allem eines: Das Schweigegelübde darf niemals gebrochen werden

Autoreninfo

Thomas Kröter ist Korrespondent in Berlin.

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Wenn Angela Merkel schlanke, attraktive Männer mittleren Alters, blond oder etwas dunkleren Haares, für sich sprechen lässt, hat das womöglich mit einer schlanken, blonden, attraktiven Frau zu tun. Eva Christiansen berät die Kanzlerin. In Medienfragen. Und überhaupt. Dass sie ihr geraten hat, die teilweise triste Regierungspolitik von telegenen Herren verkaufen zu lassen, können wir nur vermuten. Wir wissen es nicht. Wir wissen überhaupt recht wenig über Eva Christiansen. Anders als Steffen Seibert und vor ihm Ulrich Wilhelm bleibt die 43-Jährige im Hintergrund.

Solche zentralen Nebenfiguren gibt es immer in den Zentren der Macht. Im Bonner Kanzleramt spielte Eduard Ackermann, der fast blinde getreue Ekkehard des Kanzlers Helmut Kohl, jahrelang diese Rolle. Er war wirklich des Kanzlers „graue Eminenz“. Doch der düstere Begriff passt nicht recht auf die (fast) immer freundliche Volkswirtin mit dem erfrischenden Lachen.

Als Angela Merkel aufstieg, stieg Eva Christiansen mit


Seit annähernd eineinhalb Jahrzehnten arbeitet Christiansen für Merkel, zunächst als Sprecherin der CDU, dann der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. In den wilden Zeiten um die Jahrtausendwende wuchsen die beiden zum Team, mehr noch: zur Kampfgemeinschaft. Die Spendenaffäre ihres langjährigen Vorsitzenden Helmut Kohl erschütterte die CDU bis in die Grundfesten. Merkel nutzte die Krise als Chance für ihren Aufstieg von der graumäusigen Ostquotin zur beherrschenden Politikerin unserer Tage. Eva Christiansen stieg mit.

Die Mutter einer Tochter ist die einzige leitende Mitarbeiterin des Bundeskanzleramts, deren Name gleich zwei Mal im Organigramm des Hauses auftaucht – als Medienberaterin und seit einiger Zeit auch als Leiterin des Stabes Politische Planung, Grundsatzfragen, Sonderaufgaben. Nur Büroleiterin Beate Baumann ist von ähnlicher Bedeutung für ihre Chefin. Über Baumann wissen wir noch weniger. Wer sich Merkels Vertrauen erarbeiten will, muss loyal sein. Und verschwiegen. Und verdammt hell im Kopf. Und wer es behalten will, muss erst recht schweigen können. Wer das Schweigegelübde verletzt und quatscht, oder sich in den Vordergrund spielt und wichtigtut, gehört nicht mehr dazu. Das haben beide verinnerlicht.

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Gemeinsam stimmen sie den „Sound“ der amtlichen Redenschreiber auf Merkel-Ton. Schlicht, verständlich und wo immer es geht, nicht zu konkret, aber mit einer wachsenden Prise „Mutti“: eine Kanzlerin, die sich kümmert. Ob Christiansen auch in Modefragen tätig wird und Merkel etwa zu jenem imposanten Dekolleté geraten hat, das vor Jahren anlässlich einer Operneröffnung die Nation tagelang beschäftigt hat, wie viel von den gefühligen „DDR mit Kirsch-Wodka“-Erinnerungen der CDU-Vorsitzenden im aktuellen Frühwahlkampf auf ihr Konto gehen oder gar: welche Auseinandersetzungen es womöglich zwischen den beiden um derlei Fragen gibt – darüber können wir nur spekulieren. Nachfragen? Zwecklos. Siehe oben!

Eva Christiansen verändert die Regierungschefin nicht nur, sie interpretiert sie auch. Wer im politischen Berlin etwas von und über Angela Merkel wissen will, kommt an ihr nicht vorbei. Direkte Begegnungen der Hauptstadtkorrespondenten mit der vielbeschäftigten Kanzlerin sind rar und erschöpfen sich im Offizial-Sprech der Haupt- und Staatsaktionen. Also telefoniert sich Merkels kommunikatives Alter Ego Ohren und Mund wund.

Diskretion ist Christiansens oberstes Gebot


Immer wieder ist sie mit ihren Gesprächspartnern auch beim preisgünstigen Businesslunch in einem der Lokale zu sehen, die vom Kanzleramt aus minutenschnell zu Fuß zu erreichen sind. Solche Unterredungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit sind kein geringerer Balanceakt als die offiziellen Einlassungen des Regierungssprechers, der aus internationaler Rücksichtnahme von gestanzten Sprachregelungen auch dann nicht lassen darf, wenn sie die heimische „Meute“ frustrieren.

Christiansen hat das Kunststück zu vollbringen, ihre Gesprächspartner zufriedenzustellen, ohne das Diskretionsgebot der Kanzlerin zu verletzen. Da Letzteres ihr oberstes Gebot ist, kann Ersteres nicht immer gelingen. Eines aber hat der auch Kritischste unter ihnen noch nicht beklagt: dass Christiansen ihn belogen habe.

Eva Christiansen: „Alles ist offen“


Ihr größtes Publikum erreicht die Interpretin am Rande von Parteitagen oder Bundestagssitzungen. Kaum schlendert sie durch die Gänge des Reichstags oder einer beliebigen Messehalle, verschwindet der blonde Haarschopf in einer Traube von Journalisten. Die wollen wissen, was der strategische (Hinter-)Sinn dieser oder jener mehr oder weniger (un)bedeutenden Rede der Kanzlerin ist. Und Christiansen will wissen, wie ihr Produkt aus Merkels Mund bei den professionellen Beobachtern angekommen ist. Da wird die Interpretin zur Kundschafterin.

Diese Rolle führte sie im Frühjahr auch zu einem Workshop, zu dem der Handelskonzern Metro eingeladen hatte. Eine hochkarätig besetzte Expertenrunde diskutierte „Strategien von Strategen“ für das Wahljahr 2013. Das Protokoll verzeichnet eine einzige Wortmeldung der Merkel-Vertrauten, keine halbe Seite lang, ansonsten hörte sie zu – besonders genau einem Mann, den sie zuvor noch nie „live“ erlebt hatte: Roland Fäßler. Einer Aussage des Vertrauten von SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück stimmte Eva Christiansen sogar zu: „Alles ist offen.“ Ach ja, höflich ist sie auch.

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