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Jähzorniger Meister - Stürzt den Mythos Mozart!

Wolfgang Amadeus Mozart war ein musikalisches Genie. Cicero-Kolumnist Daniel Hope findet, dieses Bild muss durch seine persönlichen Schwächen vervollständigt werden

Autoreninfo

ist Violinist und für seine Einspielungen von Musik des 18. und 19. Jahrhunderts berühmt. Zuletzt erschienen sein Buch „ Toi, Toi, Toi - Pannen & Katastrophen in der Musik“ und die CD „The Romantic Violinist“.

Foto: Harald Hoffmann / Deutsche Grammophon

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„Kommt man sich da nicht wie ein heimlicher Spanner am Schlüsselloch vor?“ Diese Frage aus dem Publikum neulich bei der Einführung vor einem Mozart-Konzert hat mich doch etwas irritiert. Die Moderatorin hatte das Gespräch geschickt auf das Privatleben des Komponisten gelenkt, und gleich mehrere Besucher fühlten sich dabei offensichtlich nicht wohl. Die Intimsphäre eines Menschen müsse doch auch dann noch respektiert werden, wenn er schon lange tot sei, meinten sie. Und was denn überhaupt die Musik damit zu tun habe, dass ihr Schöpfer womöglich zu Jähzorn neigte oder öfter mal Frauen verführte?

Ein heikles Thema. Heldenverehrung verträgt sich in aller Regel nicht mit allzu viel Detailwissen; unangenehme Einzelheiten, die womöglich Kratzer auf dem Idealbild hinterlassen, werden lieber verschwiegen. Als vor Jahren Miloš Forman mit seinem genialen „Amadeus“-Film gegen diese Regel verstieß, lautete der Vorwurf: Wie kann er es wagen, den himmlischen Mozart als albernen Hallodri mit Hang zu zotigen Witzen darzustellen! Genauso könnte man fragen, was es die Nachwelt angeht, dass sich Schubert bei einem leichten Mädchen mit Syphilis infiziert haben soll, Händel angeblich ein haltloser Vielfraß war oder Schumann eheliche Beischlaftermine im Haushaltsbuch notierte? Gar nichts, finden viele.

Dabei nutzte gerade Mozart einige seiner Eskapaden für seine Kreativität. Das Werk, mit dem er sich am meisten identifiziert hat, war zweifellos Don Giovanni. Nicht nur Mozart wurde angefeuert von der Geschichte des Weiberhelden, der die Frauen wie am Fließband verführt, sein Umfeld verflucht, einen Mord begeht und die Fahrt in die Hölle wählt, ohne seine Missetaten nur ansatzweise zu bereuen. Die legendäre Figur des Don Juan, entstanden bereits um das Jahr 1630 in Spanien, fasziniert, schockiert und inspiriert Künstler seit Jahrhunderten.

Ob Molière oder Byron, Camus oder Richard Strauss: Dutzende haben die Geschichte für sich entdeckt und lebendig gemacht. Aber die bekannteste Version des Mythos’ stammt von Mozart, mit Libretti von Lorenzo da Ponte (E. T. A. Hoffmann bezeichnete sie sogar als „die Oper aller Opern“). Dass sich Mozart an einen so brisanten Stoff gewagt hat, sagt viel über ihn aus – zumal schon damals einige Zeitgenossen wie etwa in der Berliner Zeitschrift Chronik bedauerten, dass „der vortreffliche Mozart nicht sorgfältiger bei seiner Wahl war“.

Biografische Neugier kann man sicherlich übertreiben. Ich denke da an jene Phase in der Musikwissenschaft, als mit größter Hingabe auch unscheinbarste Indizien zusammengetragen wurden, um alles Mögliche zu enthüllen – je spektakulärer, desto besser. Man sollte sich in der Tat fragen, welchen Sinn es hat, einen Komponisten als heimlichen Schwulen zu entlarven oder ihm eine verdeckte sado-masochistische Neigung anzuhängen. Aber ich glaube schon, dass Mozart in seinen Don Juan etwas von sich selbst hat einfließen lassen. Oder besser gesagt: Dass er vielleicht ein bisschen so sein wollte wie seine Hauptfigur.

Warum sollte man nicht wissen dürfen, dass Mozart kein Heiliger war? Die Hochachtung vor seiner Musik wird dadurch doch eher noch größer. Man staunt viel mehr über das ungeheure Werk, das er in seinen nur knapp 36 Lebensjahren vollbracht hat, wenn man ihn als vitalen jungen Mann vor sich sieht, der ständig auf Partys ging und nächtelang Karten und Billard spielte.

Natürlich war Mozart ein Genie – eines der größten, das die Menschheit je erlebt hat; so überwältigend, dass ich vor ihm auf die Knie fallen würde, könnte ich ihm begegnen. Aber er war auch ein Mensch mit Stärken und Schwächen, mal bis zum Extrem übermütig und ausgelassen, mal zu Tode betrübt und verzagt. Obendrein war Mozart alles andere als ein angepasster, braver Typ. Er hatte seinen eigenen Kopf und legte sich oft mit seinen Vorgesetzten und der gesellschaftlichen Elite an. Kriecher und Schleimer waren ihm verhasst, und für Kollegen, die sich ihr künstlerisches Selbstbewusstsein abkaufen ließen, um von der Obrigkeit gelitten zu sein, hatte er nur Verachtung übrig.

In gewisser Weise war er ein Spieler, der kein Risiko scheute und alles auf eine Karte setzte. Dass Mozart dabei solche Musik schreiben konnte, macht das Wunder für mich überhaupt erst komplett. Warum erwähne ich das? Weil man von alledem keine Ahnung bekommt, wenn man seine himmlische Musik zum ersten Mal hört. Sie klingt einfach „schön“, aber im Hintergrund schwingen seine Einstellung zum Leben, sein Temperament, seine Charaktereigenschaften und seine Gefühle immer mit. Plötzlich entdeckt man den unverkennbaren mozartschen Charme und Witz, seine Spielfreude, seine Ironie. Und seine Gefährlichkeit. Er ist eben der Don Juan der Musikwelt.

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