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Julia Stoschek - Wie eine zweite Geburt

Als sie vor acht Jahren begann, eine Video- und Performancekunstsammlung aufzubauen, waren viele skeptisch. Heute genießt Julia Stoschek weltweit Anerkennung und ihr Leben ist ein ununterbrochenes Gespräch über bewegte Bilder, die bewegen.

In lautloser Betriebsamkeit schwirren die Mitarbeiter durch das Düsseldorfer Privatmuseum. Die ehemaligen Fabrikhallen sind von nüchterner Eleganz. Lächelnd kommt Julia Stoschek die Treppe herunter. Jeder Lidstrich sitzt, keines ihrer dunklen Haare fällt aus der modischen Frisur. Trainiert ist sie und sehr, sehr schlank. Wie man es von einer ehemaligen Dressurreiterin erwartet, hat sie alles unter Kontrolle. Die Begrüßung ist routiniert. Julia Stoschek sammelt Kunstwerke aller Art – Fotografie, Malerei, Installationen und Performancedokumentationen. Von Anfang an aber hat sie sich auf die Videokunst konzentriert. Oft sind es Arbeiten, die sich mit psychischen Extremsituationen auseinandersetzen, den Körper in all seiner schwitzenden Hässlichkeit präsentieren oder eine übermenschliche Zerstörungswut zur Schau stellen. Der Kontrast zwischen Sammlung und Sammlerin könnte größer nicht sein. Anders als die Malerei hat die Videokunst kaum einen Sekundärmarkt bei Händlern und Auktionshäusern. Die Wertsteigerungen halten sich in Grenzen. „Unter monetären Gesichtspunkten“, sagt Stoschek lachend, „wäre meine Sammlung wohl ziemlich erfolglos.“ Ihre Affinität zu dem Medium ist biografisch begründet. Schon ihre Großmutter, eine Schauspielerin, habe begeistert Filme gedreht, erzählt sie, und auch sie mag es, wenn Bilder sich bewegen. In fast jedem Zimmer, selbst in Bad und Küche, habe sie einen Fernseher stehen. Die 34-Jährige sammelt vorwiegend die Kunst ihrer Generation. Natürlich besitzt sie auch Videoklassiker von Bruce Nauman oder Dan Graham. Das Herzstück ihrer Sammlung aber besteht aus Arbeiten jüngerer Künstler wie der Schwedin Klara Lidén, des Berliners Clemens von Wedemeyer oder der New Yorkerin Mika Rottenberg. Den Museumsbetrieb, den Kauf, die Archivierung und die Restaurierung der Werke kann sie sich leisten, weil sie Gesellschafterin des Autozulieferers Brose ist. Das im oberfränkischen Coburg ansässige Familienunternehmen wurde schon von ihrem Urgroßvater gegründet. Heute enthält jedes fünfte Auto der Welt ein Schiebedach, einen Sitz, eine Klimaanlage oder ein anderes Brose-Erzeugnis. Wie viele Menschen, die das Sammeln zur Lebensaufgabe gemacht haben, spricht auch Stoschek in einem fast religiösen Ton von zeitgenössischer Kunst. Ihren „Erweckungsmoment“ habe sie gehabt, als sie das Museum des Hamburger Kunstsammlers Harald Falckenberg besuchte. Je exzessiver und sexuell expliziter die Kunstwerke waren, die sie dort sah, desto mehr fühlte sie ihre Leidenschaft geschürt. „Das war wie eine zweite Geburt, etwas, worauf ich gewartet hatte.“ Als sie vor acht Jahren selbst damit begann, Kunst zu sammeln, stieß Stoschek zunächst auf Skepsis. Für einige Galeristen und Kuratoren ist es eine Überraschung, dass es ihr gelungen ist, in so kurzer Zeit eine Kunstsammlung solch herausragenden Formats aufzubauen. Sie selbst finde die Zurückhaltung, mit der man Neuankömmlingen in der Kunstszene begegnet, nicht falsch. Sie respektiert das Wissen und die Erfahrung der Kollegen. Dass jetzt ihre Sammlungsschau in den Hamburger Deichtorhallen gezeigt wird, wirkt vor diesem Hintergrund wie ein Ritterschlag. Stolz zeigt die Sammlerin auf die Abzüge des Covers für den Hamburger Ausstellungskatalog. Ihr schönes Gesicht ist darauf abgebildet, auf einem schräg sitzenden Segelkäppi steht in klassischen Goldlettern der Schriftzug „Julia“. Mit ihrem sachkundigen Sinn für Selbstinszenierung hätte Stoschek wohl auch eine deutsche Paris Hilton werden können, ein reiches Partygirl, ein junges High-Society-Ding. Die studierte Betriebs- und Automobilwirtschaftlerin hätte sich auch für eine geschäftsführende Position im Familienunternehmen entscheiden können. Stattdessen hat sie die Kunst ins Zentrum ihres Lebens gestellt, besucht Künstlerateliers, unternimmt Streifzüge durch Galerien und Messen, produziert Kataloge und organisiert Ausstellungen. Sie gehört zum Kuratorium der Berliner Kunst-Werke und arbeitet in der Ankaufskommission des New Yorker Museum of Modern Art. In der dritten Etage ihres Museums in Düsseldorf hat sie ihre Wohnung eingerichtet, ihr ganzes Leben ist ein ununterbrochenes Gespräch über Kunst. Sie ist mit dem deutschen Fotografen Andreas Gursky liiert, und eine ihrer engsten Freundinnen ist die Performancekünstlerin Marina Abramovic´. Als Mitte März eine Abramovic´-Retrospektive im MoMA begann, wartete Stoschek mehrere Stunden, um als Erste daran teilzunehmen. Bis zum Ausstellungsende im Mai würde die enigmatische Künstlerin Tag für Tag unbewegt auf einem Stuhl sitzen und die Zuschauer dazu einladen, ihr gegenüber Platz zu nehmen. „Als ich vor Marina saß, musste ich die ganze Zeit weinen“, erinnert sich die Sammlerin, „es war eine der intensivsten Kunsterfahrungen, die ich je gemacht habe. Ich habe mich gefühlt, als wäre ich einen Marathon gelaufen.“ Wenn Julia Stoschek über Kunst erzählt, die sie bewegt, klingt sie oft an, diese Rhetorik der Überwältigung. „Wehtun“ sollen die Arbeiten, „irritieren“, „fesseln“ und „aufwühlen“ – und für jemanden, der gewohnt ist, sein Leben so sehr wie sie unter Kontrolle zu haben, ist das vielleicht auch das größte Geschenk.

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