Blechbläserensemble
Musik ist der beste Trost, schrieb Elias Canetti. / dpa

Weihnachten - Trost im Covid-Winter: Heilt nicht, aber lindert

In der zweiten Corona-Weihnacht sind wir alle auf Trost angewiesen. Der Trost des Gewohnten fällt in Zeiten der Kontaktbeschränkungen allerdings weg. Umso wichtiger ist es, sich kleine Rituale zu erhalten.

Autoreninfo

Ulrike Moser ist Historikerin und leitet das Ressort Salon bei Cicero.

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„Der Mensch ist ein trostsuchendes Wesen“, schrieb Georg Simmel in den frühen zwanziger Jahren. Trost, was für ein altmodisches Wort. Nicht mal einen guten Leumund hat es. Wer will schon mit dem Trostpreis abgespeist werden? Oder „vertröstet“ werden? Trost ändert nichts. Er schafft kein Übel aus der Welt, beseitigt nicht den Anlass der Traurigkeit. Oder, wie Simmel weiter schreibt: „Trost ist etwas anderes als Hilfe – sie sucht auch das Tier; aber der Trost ist das merkwürdige Erlebnis, das zwar das Leiden bestehen lässt, aber sozusagen das Leiden am Leiden aufhebt, er betrifft nicht das Übel selbst, sondern dessen Reflex in der tiefsten Instanz der Seele.“

Ein Corona-Jahr geht zu Ende, ein neues Corona-Jahr steht bevor. Schon wieder bestimmt die Pandemie das Weihnachtsfest. Und klammerten sich alle vergangenes Jahr um diese Zeit noch an die Hoffnung, 2021 werde irgendwann Besserung bringen, man werde wieder „zum normalen Leben“ zurückkehren können, ist allerorten nur noch große Müdigkeit und Resignation zu spüren. Die Pandemie erscheint endlos. Wer kann schon sagen, dass er nicht mürbe und trostbedürftig ist?

Traurigkeit über die verrinnende Zeit

Da ist Traurigkeit über die verrinnende Zeit, über all die Möglichkeiten und Gelegenheiten, die sich nie mehr nachholen lassen. Über all das, was unwiederbringlich verloren ist. Wenn einmal Weihnachten mehr oder weniger ausfällt, die Feierlichkeiten um ein Jahr verschoben werden, lässt sich das ertragen. Was aber, wenn es einfach so weitergeht?

Die eigenen Eltern sind noch älter geworden. Wer weiß, wie oft Weihnachten noch der Anlass sein wird, zu dem die weit verstreute Familie an einem Tisch zusammenkommt. Wer wie ich zehn Stunden Zug (inklusive Umsteigen) fahren muss, um seine Eltern zu sehen, dem fehlen die alltäglichen Vergewisserungen, dass bei ihnen alles in Ordnung ist. Dass sie schon zurechtkommen. Der muss die Begegnungen organisieren, wie etwa zu Weihnachten. Nun aber werden statt zwölf Personen erneut nur vier am Weihnachtstisch sitzen, die vier, die seit Beginn der Epidemie schon aufs engste aufeinandersitzen. Wieder kein großer Vogel im Ofen, nur ein kleiner. Auch keine großen Krisen, Streitereien, Verletzungen, allenfalls kleine.

Rituale, die nicht wegfallen

Jeder kann von ihnen erzählen, von diesen Weihnachtsmomenten, in denen die immer wieder aufs Neue beschworene und ersehnte Harmonie zerreißt. Von wegen „Fest der Liebe“. Wenn die vegane Nichte stumm und angewidert auf die um die Gans versammelten Tiermörder blickt. Wenn die neue Partnerin des Bruders erklärt, doch nicht geimpft zu sein, und Globuli gegen Corona empfiehlt. Wenn Schwiegermutter  fragt, ob man schon wieder zugenommen habe. Und Oma wieder von den N… spricht. Und wenn Vatis Stimmung endgültig auf den Gefrierpunkt sinkt, weil Mutti sich gerade das dritte Gläschen Sekt zu viel hinter die Binde gekippt hat. Kann es sein, dass man sogar das vermisst? Den Trost der Gewohnheit, der Verlässlichkeit, dass sich Friedefreudeeierkuchen eben nicht termingerecht inszenieren lassen?

Ach, wäre es schön, jetzt wie jedes Jahr auf Weihnachten zu schimpfen. Konsumterror! Berge von Verpackungsmüll! Darauf, dass hier eine Kleinfamilie gefeiert wird, Vater, Mutter, Kind, die mit den Lebenswelten von so vielen, von Patchwork-Familien, homosexuellen Paaren und Eltern, Singles, kaum noch etwas gemein hat. Über das lästige Einkaufen, Verpacken, Vorbereiten. Über die langen Schlangen an der Supermarktkasse. Dass auch das jährliche Hadern mit dem Fest wegfällt, ist kein Trost.

Tröstlich sind allenfalls Rituale, die nicht wegfallen, nicht einmal bei Corona-Weihnachten. „Drei Nüsse für Aschenbrödel“ im Fernsehen. Bachs „Weihnachtsoratorium“. Überhaupt Musik, von der Elias Canetti schrieb, sie sei „der beste Trost“. Der kleine Vogel aus dem Ofen. Die verbindende Gewissheit, dass so viele andere ebenso unter dieser grauen Zeit leiden. „Der Mensch ist ein trostsuchendes Wesen.“ Trost ändert nichts, schafft keine Abhilfe, löst keine Probleme. Auch deshalb schrieb Rilke: „Aller Trost ist trübe.“ Aber er hilft vielleicht, das Traurige ein wenig leichter zu ertragen.

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Christa Wallau | Fr., 24. Dezember 2021 - 20:42

Gerade jetzt, in dieser Zeit der vielen Einschränkungen und Unsicherheiten, kann Musik uns gut aus der Trübnis herausreißen.
Gott-sei-Dank gibt es viele technische Möglichkeiten, sich Musik für jeden Geschmack zu besorgen, sogar kostenlos aus dem Netz.

Vielen Leuten fehlt aber sehr das aktive Musizieren bzw. Singen zusammen mit anderen. Auch die schönen Weihnachtskonzerte, die man sonst in dieser Zeit besuchen konnte, werden schmerzlich vermißt.

Ich hoffe inständig, daß endlich der entfesselte Krieg gegen Corona einem normalen "Leben mit Corona" (ähnlich wie bei anderen Virus-Erkrankungen) weicht!

Was wollen Sie damit sagen?`

Dass Corona nicht schwerwiegender ist als eine Grippe? Immer noch nichts dazugelernt?

Oder darf nicht sein, was die AfD per Parteitagsbeschluss ausgeschlossen hat: Das es eine Pandemie gibt?

Schon wieder ist in BW ein AfD-Funktionär verstorben. Es handelt es sich um den 68-jährigen Raststätter AfD-Fraktionsvorsitzenden Oberst.

Erst kürzlich war der 71-jährige BW-Landtagsabgeordnete Grimmer aus Pforzheim, ebenfalls AfD, verstorben. Ein erklärter Impfgegner.

Seltsam - eine bestimmte Foristin behauptet doch hier ständig, Corona wäre höchstens für Menschen ab 82 - und dann nur moderat - gefährlich. Oder kommt AfD-Mitgliedschaft einer Vorerkrankung gleich?

Schlechter Scherz beiseite: Vielleicht ist ja ein "normaler" Umgang mit Corona auch von Seiten der AfD möglich. Dazu müssten die Rechtsextremisten allerdings aufhören, Corona politisch auszuschlachten - und endlich zugeben, welche Gefahr von Corona ausgeht, anstatt ständig nur von Panikmache zu schwafeln

Ernst-Günther Konrad | Sa., 25. Dezember 2021 - 08:10

Ist diese Ihre Beschreibung von Familie an Weihnachten das Einzige was Ihnen dazu einfällt? Nein, ich bezweifle ja nicht, dass es solche Familien und Streitereien gibt. Ist das aber wirklich mehrheitlich die Familie 2021? Wir waren gestern 8 Erwachsene und zwei Enkel 20 Monate und 9 Monate. Gutes Essen. Viele Erinnerungen an die Kindheit unserer Kinder im Abgleich zu heute. Gedenken an die vor einem Monat friedlich eingeschlafene Ur-Oma. Viel lachen, spielen mit den Enkeln, Geschenke auspacken. Genießen der Familie und Freude an den Enkeln. Spielen, Plaudern, entspannen. Die von Ihnen beschriebenen Streitthemen gab es nicht. Die Standpunkte sind bereits vorher klar und werden akzeptiert. Bei allen unterschiedlichen Sichtweisen zu bestimmten Themen herrscht eine Maxime vor. Die Familie läßt sich nicht spalten. Das ist kein Trost, das ist Tatsache. Und noch was. Sie schreiben: " Schon wieder bestimmt die Pandemie das Weihnachtsfest." Das ist objektiv falsch. Es ist die Politik.

Trost & Glauben ist das Gegenteil von Angst & Uniformität.
Und die meisten Foristen hier im Cicero kommen aus traditionellen Familienbildern, wo eben die Familie & deren Kontakt mit all ihren Werten sehr, sehr wichtig ist.
Die heutige Weihnachtsgeschichte hat sich dahin gehend verändert, dass die Hauptfigur, ein Geizhals namens Scrooge nicht mehr besteht, sondern das diese Figur das herkömmliche Familienbild ablehnt wie auch den Glauben & die wahre Liebe ohne Eigennutz & Ersinnen. Denn zur wahren Liebe gehört auch das anerkennen anderer Meinungen

Ich bezweifle, das alle Systeme der Macht nach Weihnachten die

"ANGST & UNIFORMITÄT"

bekämpfen & beseitigen wollen. Damit würden sie ja die Grundlage ihres Handelns nehmen.
Stellen sie sich einmal vor, Herr Lenz würde uns in einer Fragestellung bei Corona Recht geben, die aber von der Regierung nicht so gesehen wird.
Es funktioniert nicht, denn dann würde er aus Lust & Laune schreiben & nicht als "gesellschaftlichen Auftrag" dies sehen

W.D. Hohe | Sa., 25. Dezember 2021 - 11:43

ist letztlich die damit vermittelte Anteilnahme ohne die ziemlich viel Einsamkeit herrschen würde.

Bernd Muhlack | So., 26. Dezember 2021 - 18:44

Ein wunderschöner Artikel!
Ich habe ihn im Freundeskreis gepostet u alle waren meiner Meinung - ?
Ist das nicht bemerkenswert?

Wie auch in 2020 war hier das Weihnachtsfest sehr limitiert, just zwei Personen: Muttern & ich.
"Zu Kartoffelsalat gehören Würstchen!"
Der schöne Spruch aus der ollen Serie
"Die Unverbesserlichen" - noch in s/w.

"Das dritte Glas Sekt zu viel ...".
Herrlich!
Genug kann nie genügen sang Konstantin Wecker einmal.

Trost?
Ein Wort, Begriff der in den einzelnen Kulturkreisen verschieden definiert wird.
Trost iSv von "Zuwendung, Unterstützung, Verständnis"?
In 2001 starb ein prima TT-Kumpel; 41 J, drei Mädels.
Zwei Tage vor seinem Finale besuchten WIR ihn "wissend" noch im KH; Onkologie.
War das Trost - Mitleid?
Der Drops war gelutscht, gleichwohl lachten wir zusammen.
Seine Frau, die drei Mädels waren "robust"; auch sie brauchten keinen Trost.

Bei seiner Beerdigung liefen viele Songs der Stones - ein "Tröstliches Event!" - sagt man so?

Ein gesundes 2022 an ALLE