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Veganes Fest? - Bratenlos durch die Weihnacht

Veganismus taugt weder als Rezept zur Bekämpfung der globalen Hungerkrisen noch als Blaupause für eine vollwertige und gesunde Ernährung. Warum der Festtagsbraten besser als die vegane Weihnacht ist

Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Es mag ein Relikt einer vergangenen Epoche sein, doch das weihnachtliche Festessen im Familien- oder auch Freundeskreis hat seine Stellung durchaus behaupten können. Das gilt auch für den traditionellen Festtagsbraten. In der Regel handelt es sich um eine Gans, aber auch Puten, Enten und Wildgerichte erfreuen sich ebenso großer Beliebtheit.

Doch nicht nur die fortschreitende Erosion der Familienbande und die regelmäßigen Berichte über hormonverseuchtes Billigfleisch bedrohen das weihnachtliche Idyll. Vielmehr ist in den Metropolen der westlichen Überflussgesellschaften eine Strömung auf dem Vormarsch, die mächtiges Konfliktpotenzial für häusliche Genussgelage birgt. Mit ihrer Mischung aus esoterischem Sendungsbewusstsein und moralischem Rigorismus haben sich Veganer längst in die Mitte der bürgerlichen Gesellschaft vorgefrühstückt.

Vor allem werden es immer mehr, sodass die Wahrscheinlichkeit, einen Veganer in der Familie oder im Freundeskreis zu haben, mittlerweile sehr groß ist. Und die wenigsten häuslichen Festtagsköchinnen und -köche werden es als angenehme, spannende Herausforderung begreifen, neben dem Braten und dem Grießbrei mit Kompott eine „Gänsekeule“ aus Sojaschnitzeln zu formen und einen Parallel-Nachtisch auf Seidentofubasis aufzutischen.

Was Veganer nicht mögen
 

Veganismus entstand als radikale Variante der Vegetarierbewegung in den 1940er Jahren in England. Veganer lehnen nicht nur den Verzehr von Fleisch und Fisch ab, sondern die Verwendung aller tierischen Produkte und Prozessstoffe. Also keine Eier, keine Milchprodukte, keine Gelatine, kein Honig, kein Leder, keine Wolle und keine Seide, um nur einen kleinen Teil der Verbotsliste zu zitieren.

Ein konsequenter Veganer besteht auch darauf, dass "erlaubte" Lebensmittel wie Gemüse, Getreide und Hülsenfrüchte bei ihrer Kultivierung keinesfalls mit tierischem Dünger aus Nutztierhaltung in Berührung kommen. Wachskerzen auf der Weihnachtstafel sind ebenso tabu wie weihnachtliche Hausmusik, falls dabei ein Klavier mit Elfenbeintasten oder ein mit Darmsaiten bespanntes Instrument zum Einsatz kommen. Selbst die gute alte Blockflöte ist nicht unbedenklich, da bei ihrer Herstellung möglicherweise tierischer Holzleim zum Einsatz kam. Na dann frohe Weihnachten!

Gute Gründe für Fleischverzicht


Für den weitgehenden oder auch kompletten Verzicht auf Fleisch – besonders aus industrialisierter Massentierhaltung – gibt es viele gute Gründe. Übermäßiger Fleischkonsum ist nachweislich schädlich für den Organismus, die von Großkonzernen angelegten Monokulturen für den Futtermittelanbau zerstören besonders in ärmeren Ländern die Ernährungsgrundlagen der Einheimischen. Zudem hat die Massenfleischprodution auch fatale ökologische Folgen und trägt zur dramatischen Ausbreitung von Antibiotikaresistenzen bei. Doch für viele Veganer sind das eher Randaspekte. Sie berufen sich vielmehr auf universelle Rechte für alle Tiere vom Regenwurm bis zum Schimpansen. Die Tötung und Schlachtung von Tieren ist demnach Mord, ihre Aufzucht und Haltung, beispielsweise zur Gewinnung von Milch und Eiern, Sklaverei. Bei der ersten Veganfachmesse in Hamburg 2013 wurden die Besucher gar mit dem Slogan begrüßt: „Es ist nicht deine persönliche Entscheidung. Es ist der einzige Weg, dein Leben ethisch zu führen.“

So viel Ignoranz ist allerdings atemberaubend. Die gesamte Menschheitsgeschichte beruht auf Wanderungsbewegungen zur Sicherung der eigenen Ernährung. Egal ob Jagd, Fischfang, das Sammeln von Beeren und Wurzeln und später auch Ackerbau und Viehzucht: Stets ging es um die unmittelbaren Lebensgrundlagen. Und auch in der globalisierten Welt spielen regionale Besonderheiten nach wie vor eine wesentliche Rolle. In der Masai Mara steht meistens Wild auf dem Speiseplan und auf Island eben Fisch. Für Veganer nichts weiter als Massenmord. Die von ihnen angestrebte Ächtung jeglicher Tierhaltung und -nutzung würde jedenfalls zu unbeschreiblichen Hungersnöten führen.

Großstadtphänomen Veganismus


Aber der Veganer lebt ja meistens in den Großstädten reicherer Länder und kann mittlerweile auf ein riesiges Angebot veganer Lebensmittel zurückgreifen – nicht selten in vollkommen denaturierter Form, also aufwändig vorbehandelt, eingeschweißt, konserviert oder tiefgefroren. Eine bedeutende Rolle im veganen Sortiment spielt die visuelle Substitution „verbotener“ Lebensmittel. In veganen Supermärkten findet man Unmengen Schnitzel, Frikadellen, Käse, Fertigsoßen für „Spaghetti Bolognese“ oder „Chili con Carne“ aus der Dose.  Doch mit jedem Einkauf erwirbt man auch ein Stück Erlösung. Veganismus „macht Sie gesund, glücklich und zufrieden. Diese Idee rettet die Welt, sie beseitigt den Hunger und schafft Frieden“, verspricht Jan Bredack, Gründer der Supermarktkette „Veganz“ in seinem Buch „Vegan für Alle“.

Längst bieten auch große Fleischkonzerne wie die PHW-Gruppe (u.a. Wiesenhof) und Mittelständler wie „Rügenwalder Mühle“ veganes „Hackfleisch“, „Schinkenwurst“, „Mortadella“, „Chicken-Burger“ oder „Pizza Salami“ an. Mit hohem technologischen Aufwand werden Konsistenz und Geschmack tierischer Produkte imitiert, „schmeckt wie das Original“ ist mittlerweile so eine Art Gütezeichen für vegane Produkte.

In erster Linie eine Lifestylebewegung


Unterstützt wird dies auch vom Vegetarierbund (VEBU), mit dessen Label sich nunmehr auch Fleischkonzerne schmücken dürfen, für die vegane Produkte eine schnell wachsende Nische im Sortiment sind. Der VEBU, laut Eigendarstellung „die größte Interessenvertretung vegetarisch und vegan lebender Menschen in Deutschland“ und Vertreter einer „pflanzenbetonten Lebensweise“ (sic!), verteidigt diese Kooperation. Man sei „überzeugt, so eine breite Masse für vegetarische und vegane Fleischalternativen gewinnen zu können“, heißt es in einer Erklärung vom Oktober. 

Wer seine Ernährung ohne Fleisch und andere tierische Produkte gestalten will, soll dies gerne tun und dies möglichst ernsthaft, um Mangelerscheinungen zu vermeiden. Allerdings sollten Veganer endlich aufhören, aus dieser individuellen Entscheidung eine moralisch-ethische Überlegenheit abzuleiten. Veganismus ist in erster Linie eine Lifestylebewegung in Überflussgesellschaften und im Zuge dessen ein lukrativer Geschäftszweig der Lebensmittelindustrie. Veganismus taugt weder als Rezept zur Bekämpfung der globalen Hungerkrisen noch als Bewegung für eine vollwertige und gesunde Ernährung für breite Schichten.  

Auf meiner Gästeliste steht Weihnachten glücklicherweise kein Veganer. Es gibt eine Fischterrine, einen geschmorten Wildhasen, Gries mit Kompott und eine Käseplatte. Es wird bestimmt köstlich.

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