Tom Wolfe
Tom Wolfe war ein angry old man mit leisen Tönen / picture alliance

Tom Wolfe - Alles eine Frage des Stils

Der Schriftsteller und Journalist Tom Wolfe ist gestorben. Er gilt als Erfinder des „New Journalism“ und schrieb mit „Fegefeuer der Eitelkeiten“ einen Weltbestseller. Vor fünf Jahren lud er uns in seine Wohnung an der New Yorker Upper Eastside ein

Autoreninfo

Wolfgang Herles ist Journalist und Schriftsteller. Früher war er Redaktionsleiter und Moderator des ZDF-Kulturmagazins „aspekte“

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Als Tom Wolfe weiße Anzüge zu tragen begann, vor mehr als 50 Jahren, suchte er gerade einen Job als Zeitungsreporter. Damals waren Sakko und Krawatte für Reporter Pficht. „Wenn sie sich heute in Sakko und Krawatte zeigen, werden sie gefeuert“, sagt er. „Da sieht man, wie sich die Dinge geändert haben.“ Wie in seinen Romanen schließt Wolfe von Oberfächen auf den inneren Zustand der Gesellschaft, vom Schein auf das Sein. Stilfragen sind für ihn Statusfragen. Um Status dreht sich alles in allen seinen Romanen, und er selbst ist auch ein Statussucher, wie er unumwunden zugibt, ein Aufsteiger, dessen Exzentrik der Selbststilisierung dient. Status unterscheidet und defniert den Menschen, glaubt der studierte Soziologe und beruft sich dabei auf seinen Hausgott Max Weber. Wolfe lebt in New York City, dort, wo Manhattan am mondänsten ist, die Millionärsdichte höher als irgendwo sonst auf der Welt. Upper East Side, am Rande des Central Park, vor dem Haus livrierte Doormen und Polizisten.

Eigene Hall of Fame in der Wohnung

Der Aufzug öffnet direkt in Wolfes Unterkunft im 14. Stock. Seine Zehn-Zimmer-Wohnung ist fast so oft beschrieben worden wie sein Outfit. Die Reporterkollegen haben keine Übertreibung ausgelassen. Tatsächlich sind die Zimmer klein, kleiner als erwartet, der berühmte nachtblaue Flügel ist durchaus kein Konzert-Steinway, dafür fehlte der Platz. Als Hall of Fame könnte die Wohnung aber durchgehen: Tom Wolfe als Figurine, Tom Wolfe in Öl, Tom Wolfe als Karikatur, dazu Tom-Wolfe-Symbole – ein altes Borsalino-Plakat etwa zeigt einen Tom-Wolfe- Hut. Das Autoren-Cockpit, ein herrlicher, alter, dunkler halbrunder Edelholzschreibtisch, wird von einem Lampenpaar bekrönt, dessen Schirme ebenfalls aus Tom-Wolfe-Hüten gemacht sind. Ein Apple-Computer fehlt nicht, doch geschrieben hat Wolfe den neuen 800-Seiten-Schmöker mit dem Bleistift. Besonders liebt Wolfe die Simplizissimus-Plakate, die er aus München mitgebracht hat. Erinnerungen an den verstorbenen Münchener Freund, unseren einst gemeinsamen Verleger Karl Blessing, öffnen das Gespräch. Aus den von der Agentur streng limitierten 45 Minuten werden schnell drei Stunden. 

Wolfe wurde zur Reporterlegende, zu einem der Erfnder des New Journalism indem er Reportagen mit literarischen Mitteln schrieb, mit Dialogen und inneren Monologen. Später, da war er schon über fünfzig, verfasste er Romane mit journalistischen Methoden. Alles ist der Wirklichkeit abgeschaut und abgelauscht. Selbst die Sprache lautmalerisch nachgebildet, Geräusche ebenso wie die Sprache der Chaaktere. Manchmal wie in einem Comic: „Polter-ächz-quietsch-rumms“.

Er könnte den eigenen Geschichten entsprungen sein

Auch der neue Roman „Back to Blood“ ist ein großes, grelles, schrilles Gesellschaftsporträt. Wolfe hätte „Back to Blood“ auch „Bonfre of the Vanities IV“ nennen können. Denn im „Fegefeuer der Eitelkeiten“, so der Titel seines ersten Welterfolgs vor 25  Jahren, spielen alle seine Romane. Und Wolfe selbst könnte, sich parodierend, einer seiner Geschichten entsprungen sein. Wenn er recherchiert, tarnt er sich mit einem marineblauen Blazer. Weil – abgesehen von seiner Frau – niemand behaupten kann, ihn jemals anders als in einem seiner 32 eierschalenfarbenen Maßanzüge zu straff gezogener Krawatte und zweifarbigen Schuhen gesehen zu haben, blieb der weltberühmte Snob zuletzt in Miami meist unerkannt und zugleich in einem Zustand, den er sich gerade noch gestattete. Lieber schwitzen als Haltung verlieren. In der nie kühlen, doch immer cool erscheinenden Metropole Floridas hatte Wolfe sich monatelang umgesehen. Miami ist nicht nur der Schauplatz des neuen Romans, sondern zugleich dessen eigentliche Hauptfgur – so wie es New York in „Fegefeuer der Eitelkeiten“ gewesen ist.

Miami, das ist die einzige Stadt der Welt, in der mehr als die Hälfte der Einwohner erst in den vergangenen fünf Jahrzehnten eingewandert sind. Eine Menschen-Minestrone, die ganz und gar nicht zum Melting-Pot werden will. Denn „in Miami“, das ist Tom Wolfes Botschaft „hasst jeder jeden“. Weil die Kraft der Religionen nachlasse, suchten die Leute etwas anderes, an das sie glauben könnten: ihre Herkunft, ihre Tradition, ihr Blut. Back to Blood. Niemand mehr habe Assimilation im Sinn. Wolfes Roman beschreibt eher das Gegenteil. Er erzählt vom Aufstiegswillen als unermüdlichem Motor der Gesellschaft, nicht vom trennenden Hass ethnischer Gruppen. Einen Roman zum Tema Imigration habe er schreiben wollen. „Egibt viele große Geschichten von illegaler Einwanderung. Aber ich habe noch nichts gelesen über das, was geschieht, wenn die Leute angekommen sind.“

Angry old man mit leisen Tönen

Aus den Demütigungen seiner Figuren bezieht Wolfe die Komik, und gedemütigt werden sie alle, jede auf ihre Art. Der kubanische Polizist Nestor Camacho, der, weil gesetzestreu, im eigenen Lager als Verräter gilt, ebenso wie der russische Oligarch Sergej Koroljow, der dem Kunstmuseum in Miami aus Geltungssucht Kunst für 70 Millionen Dollar schenkt, nur leider ist sie gefälscht. Als Verächter zeitgenössischer Kunst tut sich Wolfe seit langem hervor, auch schon als Sachbuchautor. Im Roman vergleicht er die reichen Sammler mit Maden: „Sie hatten keinen Kopf. Sie hatten nur die Raserei. Sie hatten keine fünf Sinne, sie hatten nur einen, den Trieb, und der Trieb war alles, was sie spürten. Sie waren vollkommen blind. Seht sie euch an! … die Milliardäre!“ Auch die gefühlte Million Ausrufezeichen sorgt dafür, dass der Ton des Romans immer eine Spur zu laut und überdreht klingt.

So wie er schreibt, habe ich mir den 81-Jährigen als misanthropischen angry old man vorgestellt. Seine Stimme jedoch ist mild und dünn wie die etwas zu lang gewachsenen silbrigen Haare. Ein gelber Fleck auf dem weißen Ärmel irritiert. Dünne Beine, gnomhafter Oberkörper. Lebhafte Augen, schmale Lippen. Sehr leise, doch schwer zu stoppen mäandern die Worte. Das ist nicht nur eine Frage des Stils. Tatsächlich vermeidet es Wolfe, klare Standpunkte zu formulieren. Vielmehr reiht er Detail an Detail, Anekdote an Anekdote. Genau wie in seinen Romanen scheint er gelegentlich den Wald vor lauter Bäumen aus dem Blick zu verlieren.

Der ewige Reporter

All die rassistischen und sexistischen Untertöne des neuen Romans, über die sich die amerikanische Kritik erregt hat, legt er seinen Figuren in den Mund. Wolfe selbst lässt sich auch im Gespräch nicht fassen, identifiziert sich mit keinem seiner Helden. Wolfe, der ewige Beobachter, der reine Reporter. Fühlt sich Wolfe verletzt durch den Vorwurf, einem reaktionären Verfolgungswahn zu erliegen? „Das trifft mich nicht. Ich erzähle die Wahrheit. Das gilt als sehr konservativ.“ Er interessiere sich nicht für Politik, behauptet Tom Wolfe. „Erst wenn die Hunnen zwei Blocks von hier angekommen sind, gehe ich in die Politik, aber das werden wir nicht erleben.“ Im Übrigen sei es vollkommen gleichgültig, wer in Amerika Wahlen gewinne. Das Regieren des Landes vergleicht er mit der Fahrt eines Zuges: „Die einen sitzen auf der linken, die anderen auf der rechten Schiene. Aber der Zug hat keine Chance, die Spur zu verlassen.“ Das politische System in den Vereinigten Staaten könne sich nur ändern, wenn es mehr als zwei Parteien gebe. Deshalb habe er einst Ross Perot unterstützt, den Milliardär, der 1992 fast 20 Prozent der Stimmen gewann.

Das andere Thema, das nicht nur Miami beherrscht, sondern nach Wolfes Ansicht die ganze Gesellschaft, ist Sex. Die absurdeste Figur in „Back to Blood“ ist ein auf Pornografiesucht spezialisierter Psychiater, der an seiner scharfen Sprechstundenhilfe die eigene Sucht lindert. Dieser Therapeut erinnert an den Autor, der keinen einzigen knackigen Mädchenpopo unerwähnt lassen kann, und dessen Roman imprägniert ist mit Sexszenen. Wolfe ein Sexist? „Kein Problem“, quittiert er diesen Vorwurf und erzählt so ausschweifend wie anschaulich, wie er in einem Stripclub (in Miami gebe es 143 davon), einem veritablen Puff, recherchiert hat – als einziger Mann dort mit Sakko und Krawatte. Er schreibe niemals gegen Sexismus, glaube lediglich, der Besuch solcher Etablissements sei nicht besonders gesund.

Symbiose von Dichtkunst und Journalismus

Gesellschaftsreportage und Satire, Seifenoper und  Debattenstoff: Wolfe liefert beides. Infotainment, wie es inzwischen alle Medien dominiert. Bevor er begann, Romane zu schreiben, hatte der Reporter Wolfe den Roman für tot erklärt. Er sterbe an Irrelevanz. Der Gipfel zeitgenössischer Literatur sei im Sachbuch zu finden. Inzwischen ist diese Unterscheidung irrelevant. Journalismus und Dichtkunst sind eine Symbiose eingegangen. So wie auch Wolfe sich als exzentrische Mischung aus rasendem Reporter und Dichterfürst gibt. Back to Blood: wild,  schlüpfrig, überladen, packend, genau und zugleich oberflächlich, große Unterhaltung allemal. Sein nächstes Buch, erzählt Wolfe, wird nach vier Romanen wieder ein  Sachbuch sein. Über den Kampf der Giganten Darwin und Wallace. Beide entdeckten die Evolution. Doch nur einer gewann das Publikum, erntete allen Ruhm. Es geht wieder um Status. Es wird wieder ein echter Wolfe.

Dieser Artikel erschien im Februar 2013 im Cicero-Magazin. Alle Ausgaben können Sie unserem Onlineshop bestellen. 

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Bernhard Jasper | Do., 17. Mai 2018 - 10:24

Es soll ja Journalisten geben, die fühlen sich als Anwälte, andere als Politiker und wieder andere als Entertainer. Der Selbstdarstellung, dem Sich-unterscheiden-Wollen wird Raum gegeben. Eine bunte mediale Oberfläche ist entstanden. Teilweise ein greller medialer Pluralismus. Alles erscheint dabei gleichgewichtig, die Konturen verlieren sich.

Mit der Auflösung des „Stil“ in der Moderne, wurde auch mit bestimmten Traditionen und Konventionen gebrochen (Form-Inhalt-Problematik oder auch die Gegensätze zwischen Wahrheit und moralischer Richtigkeit). Heute würde man „Stil“ definieren als eine Abweichung vom Normalen, ob in Sprache, Bewegung, Verhalten oder bei Gegenständen. Eine Abweichung vom nützlichen Zweck, vom Gebrauchswert.

Soziologisch betrachtet hat sich wenig geändert. In den unteren Klassen richtet sich alles nach dem Geld. In der mittleren Klasse nach Geld und Moralität, während die oberen Klassen den Akzent Lebensstil legen, auf Status und Prestige.

Bernhard Jasper | Do., 17. Mai 2018 - 18:51

„Stil“, der Begriff stammt ursprünglich aus dem Bereich der Rhetorik und der Jurisprudenz. Die Einhaltung des richtigen „Stils“ (gilt für Juristen noch heute).

Denkt man an die künstlerischen "Stile", z.B. die sprachlichen Darstellungsweisen von Goethe, kann man feststellen, dass er nicht nur liebevoll abgebildet hat, sondern „sich Selbst“ eine Sprache gemacht hat. "Stil" ist aber auch nicht nur eine individuelle Ausdrucksgestaltung. "Stil" ist wie ein Ornament, nämlich abstakt. Es ist auch die Einbindung des Individuellen in´s Allgemeine.

Aktuell sehr interessant werden diese Fragen zum "Stil" mit Blick auf die Neugestaltung der Altstadt von Frankfurt am Main (Stichwort „Re-Konstruktion“) oder auch die „Re-Konstruktion“ des Schlosses in Berlin (Humboldt-Forum).