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Tierethik - Tiere haben keine Rechte

Tierrechtler verrennen sich, wenn sie eine Art Gleichstellung von Mensch und Tier fordern. Davon hat niemand etwas, schon gar nicht das Tier. Ein Debattenbeitrag des Philosophen und Tierethikers Norbert Hoerster

Autoreninfo

Philosoph, der sich mit Fragen der Rechtsphilosophie, Ethik und Religionsphilosophie beschäftig

So erreichen Sie Norbert Hoerster:

Wer heute Fleisch isst, hat ein Problem. Der Zeitgeist ist auf der Seite derer, die aus dem reinen Fleisch- und Tierverzicht ihre moralische Überlegenheit gegenüber der Mehrheit der Fleischesser ziehen. Dürfen wir Tiere etwa nicht essen? Nicht töten – selbst dann nicht, wenn uns dies gesamtgesellschaftliche Vorteile bringt?

Relativ einfach wäre die Sache, wenn es objektiv vorgegebene Moralnormen gäbe, die wir als verbindlich anerkennen könnten. Meines Erachtens aber gibt es solche Normen nicht. Wie soll ich denn – losgelöst von allen Bedürfnissen und Interessen, die ich habe – etwa „erkennen“, ob ich Fleisch essen darf oder nicht? Schon deshalb kommt für mich eine utilitaristische Begründung der Tierethik, wie sie Peter Singer vertritt, nicht in Betracht. Singers Theorie gab den Anstoß zur heutigen Tierethik-Debatte, in deren Verlauf immer wieder Grundrechte für Tiere gefordert werden. Der Mensch müsse bei seinen Entscheidungen das größtmögliche Glück aller empfindsamen Wesen berücksichtigen und nicht nur das der eigenen Spezies Mensch.

Was gegen Singers Utilitarismus spricht
 

Ich kann nicht sehen, warum der Mensch in seinem Handeln stets das Ziel verfolgen soll, „das größte Glück der größten Zahl“ aller empfindenden Wesen herbeizuführen. Warum soll jemand die Kinder seines ärmeren Nachbarn mindestens genauso fördern wie seine eigenen Kinder? Und warum soll mir das Wohl meiner Katze ebenso wichtig sein wie mein eigenes Wohl?

Folgt aus einer solchen Sichtweise aber, dass wir Tiere ohne jede Rücksicht auf ihr Wohlergehen nach Belieben für unsere egoistischen Zwecke nutzen sollten? Das folgt gewiss nicht. Denn aus meiner obigen Behauptung, dass es keine der Menschheit vorgegebene Moral gibt, folgt nicht, dass es keine den aufgeklärten Interessen des Menschen dienende, von ihm erfundene Moral geben kann. Als aufgeklärt kann ein Interesse dabei dann gelten, wenn jemand dieses Interesse in einem Zustand hat, in dem er über sämtliche für die Realisierung dieses Interesses relevanten Voraussetzungen und Folgen informiert ist. Unter dieser Bedingung haben gewiss alle (oder so gut wie alle) Menschen etwa ein Interesse daran, dass Handlungen wie die Tötung oder die Körperverletzung eines Mitmenschen moralisch verboten sind.

Wann moralische Verbote Sinn machen
 

Es gibt dabei zwei Gründe dafür, sich für ein moralisches Verbot derartiger Handlungen auszusprechen. Erstens bringt ein solches Verbot so gut wie jedem Menschen – zumindest langfristig betrachtet – deutlich mehr Vor- als Nachteile. Und zweitens hat jeder halbwegs normale Mensch glücklicherweise nicht nur egoistische, sondern eben auch gewisse altruistische Interessen: Selbst wenn ihm das Wohlergehen seiner Mitmenschen nicht ebenso wichtig wie das eigene Wohlergehen ist, so ist es ihm gewöhnlich doch nicht völlig gleichgültig. Warum sollten wir uns sonst etwa für das Wohl von Kindern in der Dritten Welt einsetzen, da wir davon egoistisch betrachtet ja gar nicht profitieren?

Bei genauem Zusehen ist es jedoch nur der zweite dieser Gründe, der für moralische Verbote im Umgang mit Tieren in Betracht kommt. Denn Tiere sind – anders als Erwachsene, aber ähnlich wie Kinder – uns als möglichen Tätern gegenüber gewöhnlich keine potenziellen Vergelter, denen wir insofern dieselben Rechte einräumen müssen, die wir von ihnen einfordern. Wir sind den Vertretern sämtlicher Tierarten – wenn nicht körperlich, so doch geistig – so sehr überlegen, dass wir es keineswegs schon aus bloß egoistischem Interesse nötig haben, Rücksicht auf Bedürfnisse von Tieren zu nehmen. Hinzu kommt die Tatsache, dass uns eine solche Rücksichtnahme in einer (ausnahmsweise möglichen) eigenen Gefährdungssituation auch gar nichts nützen kann: Ein Haifisch würde einen Schwimmer auch dann nicht verschonen, wenn die Menschen sich vorher zu einem allgemeinen Fangverbot von Haifischen entschieden hätten.

Es ist deshalb allein der zweite oben genannte Grund – der Grund einer (bezogen auf alle fühlenden Wesen) gewissen altruistischen Einstellung, der uns Menschen vernünftigerweise zur Rücksicht auf das Wohlergehen von Tieren bewegen kann. In diesem Zusammenhang stellen sich die beiden folgenden grundsätzlichen Fragen: 1. Welches sind bei realistischer Betrachtung die wahren Bedürfnisse bzw. Interessen von Tieren – also die Interessen, die für unsere Rücksichtnahme wirklich in Betracht kommen? 2. Zu welchem Maß an Rücksichtnahme sind wir in Kenntnis dieser Interessen bereit?

Die meisten Tiere sind fühlende Wesen. Sie haben deshalb ebenso wie wir Menschen ein Interesse daran, Schmerzen zu vermeiden und nicht gequält zu werden. Wodurch aber quälen wir ein Tier? Diese Frage ist nicht immer einfach zu beantworten. Inwieweit etwa bestimmte Formen der Tierhaltung mit den (physischen wie psychischen) Bedürfnissen der betreffenden Tierart vereinbar sind und insofern als „artgerecht“ betrachtet werden können, müssen die zuständigen Fachwissenschaftler klären.

Die überzogene Rücksicht auf Tiere
 

Wohl kaum jemand aber dürfte Tieren gegenüber so herzlos sein, dass er beliebige, keinem vernünftigen Zweck dienende Tierquälereien für zulässig hält. Problematischer ist die Frage, ob wir die Verletzung gewisser Tierinteressen nicht doch für zulässig halten sollten, sofern dies menschlichen Zwecken dient, die als solche durchaus legitim sind. Man denke an bestimmte Formen der Tierhaltung, die einer wirtschaftlich effizienten Fleischproduktion dienen.

Ich vermute, dass viele Menschen sich die Beeinträchtigungen und Qualen, die viele Nutztiere in dieser Hinsicht auch heute immer noch erleiden müssen, nicht vorurteilsfrei und klar genug vor Augen führen, um die hier anstehende moralische Frage auf der Basis ihrer wirklich aufgeklärten Interessen rational entscheiden zu können. Für mich hat jedenfalls ein altruistisches Interesse an der Vermeidung von Tierschmerzen eine größere Priorität als ein egoistisches Interesse an möglichst billigem Fleisch sowie die Toleranz einer uneingeschränkten Autonomie der Fleischproduzenten.

Doch nicht nur eine mangelnde Rücksicht auf Tiere kann leicht auf unzureichender Aufklärung beruhen. Dasselbe kann auch für eine überzogene Rücksicht auf Tiere gelten. Dies ist dann der Fall, wenn für Tiere dasselbe Grundrecht auf Leben wie für Menschen gefordert wird. Bei dieser Forderung werden nämlich immer wieder gleich zwei äußerst wichtige relevante Tatsachen übersehen. Erstens leben Tiere immer in der Gegenwart bzw. unmittelbaren Zukunft und haben nicht annähernd das weitreichende Überlebens- oder Weiterlebensinteresse, das wir Menschen haben. Und zweitens würden unsere zahlreichen Nutztiere – anders als die Wildtiere – ja gar nicht erst zur Welt kommen ohne die menschliche Nachfrage nach Fleisch. Ich kann beim besten Willen nicht erkennen, warum ich es für unmoralisch halten soll, Fleisch zu essen – sofern die Tiere bereits zum Fleischverzehr erzeugt, artgerecht gehalten sowie schmerzlos getötet wurden.

Zur Vertiefung der hier dargestellten Position siehe: Norbert Hoerster, Haben Tiere eine Würde? Grundfragen der Tierethik, C.H. Beck Verlag, München 2004.  

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