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Zurück beim alten Arbeitgeber: Roman Knižka in den Theaterwerkstätten

Stadtrundgang mit Roman Knižka - Heimliche Heimkehr

Mit Roman Knižka in Dresden – der Stadt, in der der Schauspieler einst seine Liebe zum Theater entdeckt hat

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Roman Knižka kommt durch den Hintereingang. Er drückt sich an der unbesetzten Pforte vorbei, schleicht das schmale Treppenhaus hi¬nauf, bis er schließlich im dritten Stock des Dresdner Schauspielhauses vor einer schweren Eisentür steht. „Bühne. Kein Durchgang“ ist dort in schwarzen Lettern auf einem Schild zu lesen. Knižka überlegt. Dann aber lässt er sich von der schroffen Order nicht weiter abhalten. Er drückt die Klinke herunter, zieht die Tür zu sich hin und steht unverhofft in einem riesigen Raum. „Wow!“, entfährt es ihm, während er mit einem entschlossenen Schritt über die Türschwelle tritt. „Das ist ja irre!“ Über Roman Knižka baumeln Schnürböden und Bühnenwände, vor ihm im Dunkeln öffnet sich eine große Leere.

Roman Knižka, einer der gefragtesten deutschen TV-Darsteller, der in den letzten Jahren in unzähligen Rollen überzeugen konnte – vom Krimi-Bösewicht im Frankfurter „Tatort“ bis zu einem geistig Behinderten in „Mein Bruder, der Vampir“ – ist zurück in seiner alten Heimat. Er steht auf der großen Bühne des vor 100 Jahren eingeweihten Dresdner Schauspielhauses und schaut gebannt auf die goldgelben Sitzreihen ihm gegenüber.

„Ich wollte immer schon auf die große Bühne“

Direkt vor ihm ragen Seilzuganlagen und Scheinwerfertürme in die Höhe, um ihn herum stehen die letzten Requisiten aus Ibsens „Volksfeind“: eine kleines Glashaus, ein langer Tisch. Knižka atmet ein, dann wieder aus. Theaterluft. Dieses Fluidum, das nicht nur ihn wie magisch anzieht. „Ich wollte immer schon auf die große Bühne“, erzählt er und knöpft sich langsam die Ärmel seines Hemdes auf. Dann springt er auf ein großes rechteckiges Podium und schaut lange über die Rampe hinweg auf die leeren Sitze.

Roman Knižka in Dresden

Er steht hier nicht zum ersten Mal. Doch diesmal steht er frei und selbst¬bewusst: Bluejeans. Sonnenbrille. Ein Siegerlächeln. Er muss nichts mehr beweisen. Demnächst spielt Knižka Martin Luther in dem ZDF-Dokudrama „Das Luther-Tribunal“, ab November steht er auf der Bühne der Komödie am Kurfürstendamm. Damals aber, vor fast 30 Jahren, war das anders. Es war 1987, als Roman Knižka inden Werkstätten von Semperoper und Schauspielhaus eine Ausbildung zum Theatertischler begonnen hatte. Im nur wenige hundert Meter entfernten Malersaal lernte er Bretter sägen und Tapeten kleben.

„Irgendwie hat es einen mit Stolz erfüllt“

„Das, was wir in den Werkstätten zusammengebaut haben, stand später auf der Bühne und wurde vom Publikum bewundert. Das war ein erhebendes Gefühl. Irgendwie hat es einen mit Stolz erfüllt.“ Bald fertigte Knižka Ausstattungen für „Elektra“ und Bühnenbilder für den „Rosenkavalier“ an. Doch heimlich träumte der 17-Jährige einen größeren Traum. Er wollte selbst auf der Bühne stehen: „Ich wollte immer ans Theater. Doch ich war zu jung und hab mich damals noch nicht nach vorn gewagt. Also habe ich erst einmal geschaut, wie man hinter dem Vorhang arbeitet.“

Die Welt davor, die kannte er schon. Knižkas Vater, ein Choreograf beim Sorbischen National-Ensemble in Bautzen, wo der Sohn 1970 zur Welt gekommen war, hatte ihn als Kind oft an seinen Arbeitsplatz mitgenommen. Auch die Mutter, eine Sängerin, gab dem Jungen früh Bühnenluft zu schnuppern. Ein solches Umfeld, sagt Knižka, wirke prägend. Durch all die Künstler um ihn herum habe er gelernt, dass es selbst in einem Land wie der DDR Räume zum Andersdenken gab. Für einen Nonkonformisten eine Befreiung. Andererseits sei er durch seine Erziehung häufig auch angeeckt. Oft sei er das schwarze Schaf gewesen. „Ich bin meistens irritierend anderer Meinung gewesen. Das hätte durchaus gefährlich werden können. Wenn ich nicht vorsichtig gewesen wäre, wäre ich vielleicht im Knast gelandet.“

In der Tischlerei macht sich Knižka auf die Suche nach der Vergangenheit
In der Tischlerei macht sich Knižka auf die Suche nach der Vergangenheit

Damals habe er die Wut im Bauch gehabt

Dass Knižka jetzt hier steht – hier, wo er schon als Jugendlicher immer hingewollt hat, das verdankt er seinem Mut. Im Sommer 1989 nämlich, einige Monate vor dem Fall der Mauer, ist der junge Theatertischler abgehauen. Über Ungarn ging es zusammen mit zwei Freunden nach Österreich und von der Alpenrepublik weiter ins benachbarte Westdeutschland. „Unsere Flucht hat vier Tage und Nächte gedauert. Besonders in der fremden Dunkelheit haben wir vor Angst gezittert. Einer hat in Panik nach seiner Mutter geschrien.“

Wenn der Schauspieler von diesem Sommer des Jahres 1989 erzählt, dann wird die bedrückende Atmosphäre noch einmal lebendig: die Enge und die Todesängste. Vieles habe er längst vergessen. Hier aber, am Genius Loci, wartet nicht immer nur die freie Jugend; auch die Spukgespenster sind wieder da. Heute kann Roman Knižka über den letzten Sommer der DDR weitestgehend lachen. Damals aber habe er die Wut im Bauch gehabt: auf Lehrer und Ausbilder, auf die Erziehung zum Wegducken und Verschweigen. Nur die Schauspieler, die seien anders gewesen. Die hätten Privilegien gehabt – auf, aber auch hinter der Bühne.

Roman Knižka erzählt im Schauspielhaus von seiner Zeit als Theatertischler
Roman Knižka erzählt im Schauspielhaus von seiner Zeit als Theatertischler

Die Orte von damals beflügeln seine Erinnerung

Er aber war Theatertischler. Erst nach seiner Flucht habe auch ihn der endgültige Mut zur Schauspielerei gepackt. Im fernen Bochum, da, wo der Westen damals angeblich am tiefsten war, unternahm er erste Schritte auf der Bühne. So ist er heimlich raus aus Dresden, und heimlich ist er nun zurück. „Wir dürfen hier ja eigentlich gar nicht sein“, bemerkt Knižka, der sich durch den Seiteneingang eingeschlichen hat. Noch einmal schaut er auf jene Bühne zurück, die er damals nur als Theatertischler hatte betreten dürfen. Dann löscht er das Licht. „Kommen Sie“, sagt er. „Jetzt gehen wir in die Werkstätten hinter der Oper.“

Am Zwinger vorbei geht es zum Theaterplatz. Während Roman Knižka neugierig auf das Reiterstandbild von König Johann blickt, sprudelt es mehr und mehr aus ihm heraus. Die Orte von damals beflügeln seine Erinnerung. „Gestern noch hätte ich gar nicht gewusst, was ich über meine Dresdner Jahre so erzählen könnte. Jetzt schießen mir hier lauter Gedanken und Erinnerungen durch den Kopf.“ Also lässt er ihnen freien Lauf. Er redet und redet: von seinen Opern-Freikarten, die er in Hotellobbys an West-Touristen verkauft habe; von dem Vorgesetzten, demgegenüber er sich nach geglückter Flucht aus einer Wiener Telefonzelle heraus endlich Luft gemacht habe. Ab und an bleibt er stehen. Er blickt über die in der Mittagssonne liegende Augustusbrücke oder schaut Passanten hinterher: „Ist das nicht …?“ Knižka stockt. Dann winkt er ab und geht weiter. Er müsse immer mal schauen, ob er nicht irgendjemanden von früher erkenne.

„Der Andersdenkenden sind mehr, als du denkst“

Doch früher, das ist zu lange her. Das war die Zeit, in der er einmal im Monat mit einem leeren Koffer an einen Platz hinter der Frauenkirche gegangen sei, um im Chor der Ausreisewilligen ein kleines, geheimes Zeichen zu setzen. Es sei eine konspirative Demonstration gewesen. Niemand habe etwas gesagt. Alle hätten nur dagestanden und für einen Moment in der Stille verharrt. „Du bist nicht allein“, sollte das heißen. Und: „Der Andersdenkenden sind mehr, als du denkst.“

TischlereiAuch der Bühnentischler Knižka war so ein Andersdenkender. „Ich hatte einen gelben Samsonite-Koffer aus den 70er-Jahren. 'Ich denke wie du!', habe ich mit diesem kleinen Gepäckstück gesagt.“ Den gelben Koffer habe er heute noch. Das Schweigen aber habe er gegen Worte getauscht. „Das Schöne an der Demokratie ist doch auch, dass man frei heraus sagen kann, was man denkt.“

Frei heraus reden – man kann sich den Schauspieler ohne diese offenen Worte gar nicht mehr vorstellen. Zuweilen erklingen sie während des Stadtspaziergangs sogar auf Sächsisch. Und vor den Theaterwerkstätten auf dem ehemaligen Marstallgelände tönen sie manchmal gar ehrfurchtsvoll. Hier, erklärt er, habe manch große Karriere begonnen: die von Jan Josef Liefers oder die des großen Charakterdarstellers Gert Fröbe. Lange bevor der als „Goldfinger“ den britischen Geheimdienst in Atem ge¬halten habe, sei Fröbe Theatermaler in Dresden gewesen.

Blick auf den Theaterplatz vor der SemperoperDer Duft der Freiheit

Wenn man Knižka derart über seine einstige Ausbildungsstätte reden hört, bekommt man den Eindruck, die Kaderschmiede des deutschen Spielfilms läge nicht in Babelsberg oder München, vielmehr sei sie in einem sanierten Pferdestall hinter der Semperoper zu Hause. 70 Beschäftigte arbeiten hier: Maler, Tapezierer, Tischler. Ab und an hört man eine Kreissäge aufheulen. „Das, was hier entsteht“, schwärmt der heimliche Heimkehrer, „ist etwas Besonderes. Es wird später auf der Bühne installiert und Teil einer Illusion.“ Manchmal gingen die Werkstücke auch auf Reisen.

So wie 1989: Teile von Knižkas Requisiten wurden zu einem Gastspiel nach Hamburg gefahren. Als der Lkw die Zonengrenze passiert hatte und wenige Tage später verplombt zurückkam, hätten sich die Kollegen darum gestritten, wer die Ladetür öffnen dürfe. Warum? Knižka lacht: „Westluft!“, sagt er. Der Duft der Freiheit. Heute kann er diesen an jeder Straßenecke atmen, vor allem aber vor der Kamera und im Theater. Allein dafür habe sich der Weg gelohnt. Der Weg von Bautzen über Dresden bis ins gesamtdeutsche Fernsehprogramm.

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