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Schauspieler Christian Berkel - „Ich bin ein Widerspruch“

Er hat die markanteste Glatze am deutschen Schauspielerfirmament: Christian Berkel. Bevor er mit einer neuen Reihe von „Der Kriminalist“ startet, erklärt er im Interview, warum er keine Hobbys hat, Multitasking Quatsch ist und das Leben eben manchmal wehtun muss

Autoreninfo

Sarah Maria Deckert ist freie Journalistin und lebt in Berlin. Sie schreibt u.a. für Cicero, Tagesspiegel und Emma.

So erreichen Sie Sarah Maria Deckert:

Herr Berkel, seit 2006 spielen Sie in der Reihe „Der Kriminalist“ die Rolle des LKA-Hauptkommissars Bruno Schumann. Kommissare haben hierzulande Konjunktur. Im Tatort werden sie jeden Sonntag frenetisch gefeiert. Matthias Brandt, der im Polizeiruf ebenfalls einen Kommissar mimt, wurde unlängst als bester Schauspieler geehrt. Was hat der Typus des Kommissars nur an sich, dass jeder einmal gerne in diese Rolle schlüpfen möchte?

Es gibt zwei Aspekte: Das Genre hat eine unheimliche Anziehungskraft auf das Publikum. Und das hat durchaus einen deutschen Hintergrund, denn wir mögen das Prinzip des Krimis, bei dem die alltägliche Ordnung zerstört, am Ende aber auch wiederhergestellt wird. Das Subversive wird in geregelte Bahnen zurückgeführt. Wie im Western gibt es auch hier dieses romantische Bild von Gut und Böse, wobei ich als Schauspieler eigentlich mehr daran interessiert bin, nicht alles nur schwarz und weiß zu malen. Der zweite Aspekt ist der des seriellen Erzählens, eine der interessantesten Erzählformen überhaupt.

Wäre es aber nicht viel spannender, hin und wieder Chaos zu stiften?

Auf jeden Fall. Ich bin sehr für Irritation. Allerdings schreien viele dann sofort laut auf, Zuschauer wie Presse. In diesem Format, das nun mal fürs Fernsehen funktionieren soll, gibt es immer den Drang nach Richtigkeit. Manche Dinge gehen aber nun mal nicht richtig zu Ende.

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Arbeitet dieses Genre nicht grundsätzlich mit zu vielen offenkundigen Klischees, wie beispielsweise dem „richtigen Riecher“? Ich stelle mir vor, dass Polizeiarbeit in der wirklichen Welt ein bisschen anders funktioniert...

Tatsächlich ist die Arbeit des BKA gar nicht so weit entfernt von dem, was Sie im Fernsehen sehen. Obwohl da natürlich sehr viel mehr Büroarbeit und Spurenauswertung betrieben wird. Was den richtigen Riecher angeht, vergleiche ich die Polizeiarbeit gerne mit der Medizin. Ärzte verlassen sich in der Diagnostik heute fast ausschließlich auf Maschinen und ihre Ergebnisse. Die Fähigkeit der unmittelbaren Diagnose, die auf Lebenserfahrung und Menschenkenntnis beruht, ist so gut wie verloren gegangen. Apparatmedizin ermöglicht zwar genaue Auswertungen, aber in bestimmten Bereichen kann sie auch sehr unzuverlässig sein. Bei der Aufklärung eines Kriminalfalls ist es ähnlich: Häufig sind sich die Polizisten relativ sicher, wer der Täter ist, aber am Ende muss man es auch beweisen können. Dafür braucht man ein Geständnis. Und dann kann guter Instinkt förderlich sein.

Sind Sie im Privaten ein ebensolcher unmittelbarer Diagnostiker?

Sich auf Instinkte zu verlassen, bedeutet immer auch, mit Vorurteilen zu arbeiten. Und ich verteufle das Vorurteil keineswegs. Ohne es könnte man sich kein Urteil bilden. Entscheidend ist, ob wir bereit sind, dieses Vorurteil mit neuen Informationen gegebenenfalls zu revidieren. Das ist eine Frage der Flexibilität und um die bin ich sehr bemüht. Oft wollen wir dem ersten Eindruck nicht nachgeben, weil das unserem logischen Weltbild widerspricht. Wir wollen alles immer erst analysieren. Doch auch in einem klassischen dialektischen Prozess gelangen wir häufig wieder an den Anfang unserer Betrachtung. Das heißt nicht, dass man ihn nicht hätte in Frage stellen sollen.

Die US-amerikanische Serie „Homeland“ wird als beste Serie der Welt gefeiert. Wie sehen Sie den Stellenwert der deutschen Kriminalserie im Vergleich?

Die Amerikaner haben hier in den letzten Jahren eine große Entwicklung gemacht. Es gibt enorm komplexe Erzählweisen, die mich teilweise an die Literatur des 19. Jahrhunderts erinnern. Der große Unterschied liegt in erster Linie auf Drehbuchebene und an dem Mut, sich und dem Zuschauer komplexe Strukturen zuzutrauen.

Der deutsche Zuschauer mag es also gerne seicht?

Das will ich so nicht sagen. Aber wie vorhin schon erwähnt, liegt es im deutschen Wesen begründet, dass wir es am Schluss gerne ordentlich haben. Außerdem fehlt im deutschen Fernsehen dieses serielle Moment, der große Bogen über mehrere Folgen. Ich würde das wahnsinnig gerne ausprobieren.

Als Kommissar Schumann sind Sie eher der undramatische Typ, karg und minimalistisch in der Spielweise. Sie haben gesagt, wer wissen möchte, wie Sie sind, der muss sich Ihre Filme ansehen. Entspricht das also auch privat Ihrem Habitus?

Ich denke ja. Ich bin kein Hobby-Typ, kein Mensch, der einen Beruf ausübt, um irgendwie zu leben und dann bei Feierabend zu seinem eigentlichen Dasein übergeht. Ich bin was ich tue.

Moment, Sie haben keine Hobbys?

Den Begriff Hobby finde ich schon allein deshalb furchtbar, weil da die Ebene von zwei verschiedenen Lebensentwürfen drin ist.

Aber es entspricht ja durchaus der Realität, dass manche Menschen tagsüber einer Arbeit des reinen Gelderwerbs wegen nachgehen müssen, ganz ohne Muße, sondern aus reinem Pragmatismus, während sie in ihrer Freizeit für ihr Leben gern puzzeln, töpfern oder von mir aus Salsa tanzen.

In aller Vorsicht bezweifle ich, dass sie da was wesentlich Intensiveres erleben, als in der Arbeit. Ich glaube einfach, dass man sich nicht in Zwei spalten kann. Zumindest halte ich es für schwierig.

Für Sie gibt es also auch keinen Unterschied zwischen Berufs- und Privatleben?

Nein. Ich begegne hier und dort vielleicht unterschiedlichen Menschen. Aber ich könnte nie sagen, so, hier ist jetzt Schluss. Wenn ich mit meiner Familie zusammensitze, liegt das natürlich im Zentrum meiner Aufmerksamkeit, aber ich bin trotzdem ständig am Beobachten und Speichern. Der einzige Moment, in dem ich wirklich nach innen lebe, ist beim Lesen. Das brauche ich, um mich wieder mit irgendwas anzufüllen. Sonst habe ich bald nichts mehr zu erzählen.

Aber da gibt es jetzt einen Widerspruch: Sie sagen einerseits, was Sie spielen sei sehr nah an Ihnen selbst. Auf der anderen Seite betonen Sie in Interviews immer wieder, dass Sie die Schauspielerei gewählt haben, um ein anderer zu sein.

Ja, das klingt zunächst widersprüchlich. Aber das bin ich wahrscheinlich auch.

Ein Widerspruch?

Ja. Insofern ist das sehr nah an mir selbst. Der Reiz, in andere Leben einzutauchen, ist jedenfalls ein großer Teil meiner Persönlichkeit.

Was hat Ihnen denn an Ihrer eigenen Person gefehlt, dass Sie immer nach einer anderen greifen wollten?

Das kann ich nicht konkret beantworten. Rückblickend würde ich sagen, dass ich ein starkes Bedürfnis nach Unabhängigkeit hatte. Ich habe mich sehr früh in Erwachsenenwelten hineingedacht. Ich wollte niemandem Rechenschaft ablegen müssen, wollte mir nicht sagen lassen, was ich zu tun oder zu lassen habe – und musste es doch. Wenn ich nicht Schauspieler geworden wäre und diese Phantasien entwickelt hätte, wäre ich vermutlich von Zuhause ausgerissen. Dann hätte ich dieses Hineinrennen in andere Welten ganz konkret gelebt. David Lynch hat diesen Reiz nach dem Abgründigen so beschrieben, dass er gerne bis zu einem bestimmten Punkt in den Tunnel geht, aber eben nicht bis zum Ende.

Damit man nicht gänzlich verschwindet?

Wahrscheinlich.

In der neuen Kriminalist-Folge „Der Puppenspieler“ nähern Sie sich einem brandaktuellen Thema an. Es geht den virtuellen Raum, die Parallelwelt Internet und in welcher Diskrepanz sie zu unserer Wirklichkeit steht. Es wird das Gefangensein des Individuums in seiner eigenen Identität beschrieben und der Ausbruch daraus, den das Netz ermöglicht. Wie kritisch sehen Sie selbst diese schöne neue Welt?

Facebook ist sicher der größte Generationenkonflikt unserer Geschichte. Und meine Generation, die der digitalen Analphabeten, muss aufpassen, dass wir nicht verlernen, mit unseren Kindern zu sprechen. Auch deshalb habe ich vor ein paar Jahren einen Computer gekauft. Seit Kurzem habe ich auch ein Facebook-Profil. Anfangs habe ich mich damit überhaupt nicht wohl gefühlt. Der Sogcharakter dieser Zeitvernichtungsmaschine ist enorm – und besorgniserregend. Es bringt aber nichts, ein allgemeines Urteil über Gut oder Böse zu fällen. Die Frage ist, wie man damit umgeht. Und das erfordert Disziplin, wie in anderen Lebensbereichen auch.

In puncto Disziplin haben Sie einmal gesagt: „Menschen, die diszipliniert sind, tragen immer etwas in sich, das diszipliniert werden muss.“ Sie meinten, das würden Sie von sich selbst kennen. Wofür brauchen Sie denn besonders viel Disziplin?

Alles muss diszipliniert werden. Von meinen Bedürfnissen und Gefühlen her könnte ich in allen Bereichen meines Lebens über die Stränge schlagen. Ich weiß allerdings auch, dass wenn ich ausschließlich diesem Lustprinzip fröne, ich nirgendwo hinkomme. Man muss sich also immer wieder fragen, was man eigentlich will.

Gelingt Ihnen das?

Manchmal besser, manchmal schlechter.

Brauchen wir in einer Zeit, in der niemand mehr seine Nachbarn kennt oder kennen will, nicht mehr wirkliche Welt?

Unbedingt. Das hat aber auch damit zu tun – und da spielt das Netz eine große Rolle –, dass wir Negation nur noch sehr schwer aushalten. Alles soll immer nach vorne gehen, positiv sein. Dabei ist die Negation, also der Gegenentwurf einer Sache, wesentlich für jede Entwicklung. „Negativ“ ist moralisch besetzt und bedeutet: schlecht. Und wir wollen nicht schlecht sein. Am Beispiel der Fotografie sehen wir, dass es quasi keine Negative mehr gibt, sondern nur noch digitalisierte Positive. Das hat unser ganzes Denken und Fühlen verändert. Und das macht mich stutzig, denn was hinter so einer Welt lauert, ist die gähnende Langeweile.

Sie fordern also mehr Mut zur Negation?

Ich glaube zumindest, dass dieser ständige Optimierungsbedarf auf die Dauer nicht haltbar ist. Thema Burnout: Was heißt das denn? Jemand hat die Kerze an beiden Enden angezündet. Jemand hat also viel geleistet und ist ausgebrannt. Das ist doch erst einmal nichts Schlechtes, sondern das Ende einer positiven Idee. Solche Diagnosen sagen uns, dass das Leben nicht mehr weh tun soll. Aber das tut es eben manchmal. Leben strengt an. Die Gefahr, die nun vom Netz ausgeht, ist ein vorgegaukeltes Multitasking. Multitasking ist Quatsch. Ich glaube, dass sich der Mensch tatsächlich nur auf eine Sache konzentrieren kann. Und wenn wir das Multitasking zum Ideal erheben – 20 Freunde gleichzeitig zu bedienen oder an 20 Orten gleichzeitig zu sein – dann sind wir irgendwann ganz einfach nirgendwo.

Herr Berkel, vielen Dank für das Gespräch!

Die neuen Folgen von „Der Kriminalist“ laufen ab dem 8. November im ZDF.

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