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Der Filmemacher Vinterberg verzichtet in seinen Werken auf Moralapostelei / Carsten Snejbjerg

Regisseur Vinterberg - Auf den Kontrollverlust!

Sein grandioses Familienmassaker „Das Fest“ machte den dänischen Regisseur Thomas Vinterberg zum Star. Nun kommt der oscarprämierte „Rausch“ in die deutschen Kinos.

Autoreninfo

Dieter Oßwald studierte Empirische Kulturwissenschaft und schreibt als freier Journalist über Filme, Stars und Festivals. Seit einem Vierteljahrhundert besucht er Berlinale, Cannes und Co. Die lustigsten Interviews führte er mit Loriot, Wim Wenders und der Witwe von Stanley Kubrick.

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Es war der bewegendste Moment der diesjährigen Oscars. Thomas Vinterberg bedankt sich für die Auszeichnung „Bester Internationaler Film“ für „Der Rausch“ – und gedenkt seiner Tochter Ida, die im Mai 2019 wenige Tage vor dem Drehstart bei einem Verkehrsunfall ums Leben kam. „Der Film handelt davon, die Kontrolle über das Leben zu verlieren, so wie ich die Kontrolle über mein eigenes Leben verloren habe“, berichtet der 51-jährige Vater mit Tränen in den Augen. „Wir wollten einen Film machen, der dem Leben huldigt.“ Diese Huldigung widmet der Regisseur nun seiner Tochter. „Für Ida“ heißt es im Vorspann. Dem 19-jährigen Teenager gefällt das Drehbuch des Papas zuvor so gut, dass sie eine Rolle als Schülerin übernehmen will.

Erzählt wird in der Dramödie von einer Handvoll frustrierter Lehrer, die ihre Midlife-Crisis mit Alkohol ertränken wollen. Standesgemäß wird der Suff auf eine intellektuelle Basis gehievt: Die Pädagogen berufen sich auf den norwegischen Psychiater Finn Skårderud, der meinte, dauerhafter Alkoholgenuss steigere verlässlich des Menschen Leistungen. Martin (Mads Mikkelsen) überredet seine Kollegen, sich täglich die Kante zu geben, zunächst streng kontrolliert. Die Erfolge sind enorm: Im Job und in der Beziehung läuft es plötzlich bestens, die Sinnkrise scheint wie weggeblasen. „Wir trinken nur während der Arbeit!“, beschließt man gemeinsam. Mit Hemingway und Churchill sind schnell berühmte Vorbilder gefunden, die mit Sekt statt Selters zu Hochform aufliefen. 

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Klaus Funke | Mi., 21. Juli 2021 - 16:32

Das hätte mein Großvater gesagt, wenn er das Porträt dieses Genies gesehen hätte. Ich frage mich: Warum müssen diese Künstler ihre persönlichen Defizite an ihren Mitmenschen und Zusehern auslassen. Was haben wir ihnen getan, dass sie uns ihre ganz private Sicht auf die Dinge aufzwingen. Was, wenn Vinterberg in Wahrheit behandlungsbedürftig ist? Es ist wie mit Regietheater auf unseren Bühnen. Nachdem diese Kunstform so sehr zugenommen hat, gehe ich nicht mehr ins Theater. Ich muss Mozarts Zauberflöte nicht im Gewand des 21. Jahrhunderts sehen, wo die Schauspieler/Sänger sich auf der Bühne in Wasser und künstlichem Kot wälzen, wo der Heldentenor eine Maschinenpistole trägt und irgendeiner sich immer entblößt. Genau das ist auch das Prinzip der Filmerei dieses Herrn Vinterberg. Bedauerlich sein Schicksal und Leid, aber wir müssen auch mit dem unsrigen Kram fertig werden und können kein öffentliches Drama draus machen. Lass uns zufrieden mit Deiner Kunst, du dänischer Hamlet-Verschnitt!

Insofern hat auch neues, modernes Theater die gleiche Existenzberechtigung wie die alte Heimatklamotte oder die Anleihe bei irgendwelchen Klassikern, oder sonstige alte Hüte.

Wie und ob solches Theater beim Volke ankommt, darüber entscheiden letztlich schnöde Besucherzahlen.

Kein Theater kann es sich leisten, permanent vor leeren Rängen aufzuführen.

Der Herr Schriftsteller sollte eigentlich wissen, dass jeder Künstler immer auch subjektive Perspektive in seine Werke einfliessen lässt. Das wird bei seinen eigenen "Produkten" nicht anders sein.

Und es gibt die Freiheit der Kunstaneignung. Ich habe meine ganz persönliche Meinung geäußert. Und ich weiß, dass ich mit vielen übereinstimme, wenn ich das Regietheater und das Autorenkino ablehne. Jedem ist es indes überlassen, nach seiner Fasson selig zu werden. Da lässt sich nichts verordnen oder festlegen, auch nicht empfehlen. Und ein Autor muss damit leben, ob seine Bücher gelesen werden oder nicht. Ich betreibe daher keine Publikumsbeschimpfung. Das hat auch nichts mit Moral zu tun. Entweder man mag es oder man mag es nicht. Und mit Heimatklamotte hat klassisches Theater nichts zu tun. Ich meine nur, es gleicht einer Verhöhnung des Dichters, wenn moderne Regisseure zu wissen meinen, wie man heute Schiller, Goethe oder Kleist auf die Bühne bringen sollte! Diese Autoren bedürfen keiner Modernisierung, sie haben Ewigkeitswert wie Sophokles oder Aischylos. Dasselbe gilt in der Musik. Man stelle sich vor, Bachs Passionen mit E-Gitarren und Schlagzeug. Igitt. Das meinte ich!!

Der Vergleich zwischen Regietheater und diesen Film? Nach allem, was ich über den "Rausch" bisher gelesen habe – gesehen habe ich den Film noch nicht –, muss das ein witziger, hintersinniger, gut gespielter, unterhaltsamer, moderner Film sein.