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Hans-Jürgen Syberberg - Filmer, Blogger und ein streitbarer Geist

Der Filmregisseur Hans-Jürgen Syberberg wurde zum Diaristen und erfindet sich täglich neu im Internet

Autoreninfo

Ingo Langner ist Filmemacher, Autor und Publizist

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Als der Zug auf dem schäbigen Demminer Bahnhof hält, kommt Hans-Jürgen Syberberg mir einige Schritte entgegen. Wie bei jedem meiner sommerlichen Besuche zuvor grüßt er knapp, lächelt kaum merklich und chauffiert mich ins vorpommersche Nossendorf, seinen Geburtsort.

Nach 20 Autominuten sind wir auf dem väterlichen Gutshof angekommen. 2003 ist der Filmregisseur hierher aus München zurückgekehrt. Gemeinsam bewundern wir die Rosenstöcke, verwöhnen die Nachbarspferde mit Zucker und bestaunen den von Syberberg gegen den Widerstand altkommunistischer Seilschaften wiederaufgebauten Kirchturm. So entsteht, beim Gang übers Land, bei Kaffee und Aperitif, abends bei Spargel und Wein und schließlich beim nächtlichen Mondschein, in der für Syberberg typischen glasklaren, manchmal kryptischen Diktion, ein Bild von dem, was man, James Joyce zitierend, „A Portrait of the Artist as an Old Man“ nennen könnte.

Hans-Jürgen Syberberg ist Solitär


Wie Joyces Hauptfigur Stephen Dedalus ist Hans-Jürgen Syberberg ein Solitär. Als Schöpfer bild- wie sprachmächtiger Film- und Theaterereignisse steht er seit einem halben Jahrhundert quer zu jeglichem Mainstream. Wer einen solchen Platz einnimmt, ist einsam und angefochten. Einsam, weil er in keine Kulturbetriebsschublade passt. Angefochten, weil seine Neigung, eine hinter Masken verborgene Wahrheit auszuleuchten, Widerspruch anzieht. Vor allem natürlich für seine Tetralogie „Hitler, ein Film aus Deutschland“ (1977), die mit einer Gesamtlänge von 405 Minuten das Opus magnum ist.

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Dieses Werk inspirierte die amerikanische Publizistin Susan Sontag zu einem begeisterten Essay. „Über Syberbergs historischem Epos waltet als Muse das Kino selbst“, heißt es dort. Der Film sei „wohl das ehrgeizigste symbolische Kunstwerk unseres Jahrhunderts“. André Heller nannte ihn „einen der originellsten und radikalsten Nomaden in jener kalten Wüste, als die man das deutsche Klima bezeichnen könnte“. Für Hellmuth Karasek hingegen war Syberberg „bestenfalls ein ewiger Hitler-Junge“. Sogar die Frankfurter Allgemeine verkündete 1990: „Wo über Kultur gesprochen wird, hat Syberberg nichts mehr zu suchen.“ Tempi passati.

Längst ist Hans-Jürgen Syberberg keine persona non grata mehr. Lettre international interviewt ihn, das Goethe-Institut organisierte eine Retrospektive in Breslau, einschließlich der mit Richard Wagner verbundenen Filme „Ludwig – Requiem für einen jungfräulichen König“ (1972), „Winifred Wagner und die Geschichte des Hauses Wahnfried“ (1975), „Hitler, ein Film aus Deutschland“ (1977), „Parsifal“ (1982) und „Die Nacht“ (1984/85).

Ist der inzwischen 77-Jährige im Massengeschmack gelandet? Keineswegs. Unter www.syberberg.de arbeitet der Ungebeugte weiter am rebellischen Gesamtkunstwerk. Im „Nossendorf-Diary“ kommentiert er täglich, schon im zehnten Jahr, was in Dorf- und Weltkreis geschieht. 6000 bis 10.000 Besucher klicken sich jeden Tag ein. Sogar in China wollen die Menschen wissen, was Syberberg in seinen virtuosen Collagen aus Bild, Text und manchmal Ton für mitteilenswert hält.

So gut wie immer ist vom wachgeküssten Gutshaus die Rede. Es war dem Vater 1945 von der Roten Armee enteignet worden. Deshalb bekommt es Syberberg 1990 nicht restituiert, sondern muss das fast vollständig ruinierte Anwesen zurückerwerben. Er will aus dem Wiedergewonnenen ein belebtes Kunstgehäuse machen, das als Alterswerk ein Schlussstein in seinem eigenwilligen Kosmos sein soll. Das winzige Nossendorf avanciert dank des Internets zum virtuellen Weltspiegel.

„Dort das Haus, dort der Turm und dort der Park und die Koppeln. Diese Koordinaten waren wichtig im filmischen Dunkel der ‚Nacht‘ und der ‚Marquise‘“, sagt Syberberg und fährt beim Schein einer Petroleumlampe fort: „Hier in Nossendorf gilt es zu wissen: Wo ist der Ort des Vaters? Wo ist das Land der Flucht? Und wo werden sie sich wiederfinden in der Kirche? Ohne diese Koordinaten geht es nicht. Sonst verrinnen die Stunden im Nichts und sind dann nicht zu spielen und nicht zu verstehen. In den genannten Koordinaten geht alles auf, und wir folgen ihnen.“

Castorfs Ring findet keine Gnade


Was das meint, konnte man im „Diary“ am 16.  Juni 2013 lesen: „Schwer ist es, die Erinnerungen, die teuren, zu bewahren vor dem Realen befremdender Erneuerungen. Und es beugt sich nicht das Neue ins Bewahrte, wenn’s nicht neues Leben hat durch Kunst. Die aber kann nur über die Grenzen gehen; und braucht Einsamkeiten, die der Welt abhandenkamen.“

 

 

Unter solchen Prämissen findet Frank Castorfs Versuch, aus Wagners „Ring des Nibelungen“ in Bayreuth einen mythenentkleideten „Öl-Ring“ zu schmieden, keine Gnade: „Hier wird RW nicht aus genial unkenntlichem Gebrauch proletarisch neu geboren. Wer den mythischen Ansatz Wagners selbst nicht als Angebot annimmt, geht schon falsche Wege. Und Bayreuth geht als zentrale Werkstatt des Meisters verloren“, kommentiert er. „Es gilt, Richard Wagner nicht zu bedienen oder zu bekämpfen, sondern mit anderen Mitteln fortzusetzen. Es gilt, das nie Gesehene hörbar zu machen, wie das nie Gehörte sichtbar.“

Syberberg findet nach seinem langen Weg von Nossendorf in die Welt und zurück also noch genügend Reibungsflächen, um seinen Kunstwitz zu entzünden. Täglich. Ein streitbarer Geisteskopf wird er wohl zeit seines Lebens bleiben.

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