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Pierre Cardin / dpa

Nachruf von Harald Glööckler auf Pierre Cardin - Leute machen Kleider

Wahre Mode beginnt dort, wo Frauen Kurven haben und aussehen wie Coca-Cola-Flaschen. Für den Modeschöpfer Harald Glööckler beherrschte Pierre Cardin eine Schneiderkunst für Persönlichkeiten aus dem echten Leben. Eine Verneigung vor dem am 29. Dezember verstorbenen großen Kollegen.

Harald Glööckler

Autoreninfo

Harald Glööckler  ist ein deutscher Modedesigner und Unternehmer

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Pierre Cardin begleitet mich schon ein Leben lang. Mit sechs Jahren habe ich angefangen, mich mit Mode auseinanderzusetzen, da war Cardin schon allgegenwärtig. Die futurische Mode, die er gemeinsam mit André Courrèges  und Paco Rabanne zwei Jahre vor meiner Geburt schuf, hat mich sofort in ihren Bann gezogen mit diesen puristisch abstrakten Linien. 

So wie Cardin habe auch ich mit der Haute Couture begonnen und das Schneiderhandwerk von der Pike auf gelernt. Doch die Haute Couture umgibt eine große Überheblichkeit. Denn sie wird nur für einen ganz elitären Kreis von etwa zweihundert Kundinnen weltweit gemacht, was gemeinhin zum Maß aller Dinge hochstilisiert wird. Das ist lächerlich.

Haute Couture bewahrt Traditionen

Die Haute Couture hat ihre  Berechtigung, und es ist auch schön, Traditionen zu bewahren, doch mit den Lebenswirklichkeiten junger Menschen hat das nichts zu tun. Für sie existiert die Haute Couture nicht mehr. Sie interessieren sich allenfalls dafür, was ein Influencer oder ein Hollywoodstar trägt. Eine Marke muss cool und kultig sein, sie kann sogar trashig sein, sie kann alles sein, solange sie den Nerv der Menschen trifft. Und am Ende des Tages machen die großen Modehäuser der Haute Couture ihr Geld auch nicht mit der Haute Couture, sondern mit Produkten wie der Kosmetik und Parfümerie, die sie den Menschen verkaufen, für die sie eigentlich keine Mode machen wollen – eine perverse Vorstellung. Das ist eine Dekadenz, die gerade unter der Lupe von Corona nicht mehr tragbar ist. 

Pierre Cardin war immer anders. Er war der Erste, der sich von der Haute Couture abgewandt und die Prêt-à-porter mit wirklich bezahlbarer Mode zu einer Marke manifestiert hat. Was für eine glorreiche Pariser Palastrevolution! Böse Zungen versuchten sofort, seiner Marke einen Schiffbruch herbeizureden, doch das Gegenteil traf ein. Cardin war nicht nur ein großartiger Modeschöpfer, sondern auch ein kluger Unternehmer, der neben dem Immobiliengeschäft und Restaurants vor allem das Lizenzgeschäft mit seiner Marke Cardin zu Weltruhm führte. Ich bewundere ihn dafür sehr. Was für ein Vorbild, was für ein Motivator.  

Schneiderkunst beginnt bei den Kurven

Auch ich habe in den Anfängen schnell realisiert, dass es keine große Kunst ist, einen Schnitt für eine Kleidergröße 34 oder 36 zu entwerfen. Einer dünnen Frau kann man einen Lappen umhängen, und sie sieht toll darin aus. Wirkliche Schneiderkunst ist erst dann gefragt, wenn eine Frau Kurven hat. Für mich sieht der Körper einer Frau wie eine Colaflasche aus und nicht wie eine Bambusstange. Ich denke, viele Designer machen deshalb keine Mode für Kleidergrößen, die der Wirklichkeit einer Frau entsprechen, weil sie es schlichtweg nicht können. 

Diese Mode kann man nur kreieren, wenn man die Menschen auch tatsächlich liebt und ihnen nahe ist. Man muss wissen, was die Wünsche einer Frau sind, die Kinder groß zieht und nebenher noch arbeiten muss, weil sonst das Geld nicht reicht. Diese Frauen möchten aber auch schick aussehen. Diese ​Bedürfnisse und Begehrlichkeiten zu erspüren und gleichzeitig eine Mode anzubieten, die pflegeleicht und unkompliziert ist, ist der heilige Gral eines erfolgreichen Modehauses. Pierre Cardin besaß diese Fähigkeiten wie kaum ein anderer, denn er hat nie die Basis aus den Augen verloren.

Die Persönlichkeit formt die Mode

Das Sprichwort nach Gottfried Kellers gleichnamiger Novelle „Kleider machen Leute“ trifft deshalb auch nur bedingt zu. Es stimmt schon, dass dieselbe Person in verschiedenen Outfits abgewiesen oder eingeladen wird an einer Tür. Doch die Kleider alleine machen es nicht. Denn die Kleidung muss ausgefüllt werden mit Persönlichkeit. Erst wenn Haltung und Grandezza auf die richtige Kleidung treffen, passiert der Zauber, den Mode auslösen kann. 

Der Zauber der Marke Cardin hat sich in den Köpfen der Menschen so sehr eingebrannt und hat auf so vielen unterschiedlichen Ebenen alles überstrahlt, dass selbst ich nie daran gedacht habe, Pierre Cardin könnte irgendwann einmal sterben. Er war nie so laut wie andere Designer und trotzdem immer präsent – so wie Gott, den sieht man auch nicht immer, und er ist trotzdem da. Zurecht kann man bei Pierre Cardin von einem Modegott sprechen. Bis zuletzt hat Cardin an Kollektionen gearbeitet. Das Geheimnis seines hohen Alters mag daran liegen, dass ihn stets diese Faszination für die Erschaffung neuer Mode umgab. 

Eine Verneigung

Modeschöpfer sind meist große Romantiker, die die Welt immer schöner sehen, als sie eigentlich ist. Das ist auch bei mir so und meine Rettung in diesem Leben. Pierre Cardin wurde 98 Jahre alt. Ich bin 55 Jahre alt und habe noch 43 Jahre Zeit, dem Beispiel Cardins zu folgen. Möge das Beste noch vor mir liegen. Ich verneige mich vor Pierre Cardin.​

Protokolliert von Björn Eenboom

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Juliana Keppelen | Do., 31. Dezember 2020 - 13:46

Kleider machen Leute das stimmt da gibts nichts zu rütteln das wusste damals auch der Baulöwe Schneider. Nadelstreifen und dickese Auto und die Kredite flossen. Und noch viel früher hat Aschenputtel auch die die Erfahrung gemacht.

Bernd Muhlack | Do., 31. Dezember 2020 - 15:49

"Einer dünnen Frau kann man einen Lappen umhängen, und sie sieht toll darin aus."

Werter Herr Glööckler, das ist insofern zutreffend, als diese Frau bereits an sich gut aus sieht.
Eine unserer Kolleginnen ist ein "Spreissel" wie man hier in der Gegend sagt. Ja, sie würde auch mit einem "Lappen" oder in einem Büßerleibchen hervorragend aussehen!

Zu Cardin kann ich nicht viel sagen, ich fand jedoch Lagerfeld toll, der Schnell- und Vielsprecher.

Kleider machen Leute - stimmt.

Meine Mutter ist Schneidermeisterin. Sie hatte zusammen mit Tochtern deren Abi-Kleid entworfen und fabriziert.
Diese Schnittmuster sind mir suspekt, das sieht wie eine Karte eines U-Bahn-System einer Megacity aus!
Natürlich Tausende Änderungen: eher "so" oder doch besser "so"?
Die finale Realisierung erfolgte am Tag der Abi-Feier!
Ein echter "Hingucker!"

Zu Pierre Cardin fehlen Muttern noch schlappe 12 J.

Sie kritisiert übrigens sämtliche Jankerln der Kanzlerin: zu eng, zu kurz. Das müsse viel legerer sein!