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David von Becker

Otto Piene Retrospektive - Der Himmel als Friedensprojekt

Wie seine Kunst gefällt, wird Otto Piene nicht mehr erfahren. Der Lichtkünstler starb kurz nach der Eröffnung seiner Berliner Ausstellung. Piene schaute schon zu Lebzeiten gern in den Himmel: Für den Avantgardisten war dieser das größte Friedensprojekt aller Zeiten. Angesichts von Drohnen- und Bombenangriffen im Nahen und Mittleren Osten ist diese Ausstellung erstaunlich aktuell

Autoreninfo

Laetitia Grevers hat Geschichte in London studiert. Ihre Texte sind unter anderem im Magazin der Süddeutschen Zeitung und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienen.

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Um kurz vor 22 Uhr wirken die Räume der Neuen Nationalgalerie unheimlich. Projektionsflächen und schwarze Kissen füllen den Raum. Doch als die zahlreichen nächtlichen Besucher ins Museum drängen, um Otto Pienes Projektion zu sehen, erstrahlt Licht an den Wänden.

Junge Zuschauer lassen sich mitreißen. Um alles zu sehen, liegen sie auf ihren Kissen, einige sogar auf dem Boden. Für eine halbe Stunde bleibt die Zeit stehen und sie verlieren sich in den spektralfarbenen Sonnenbildern. 1000 Dias, die Piene in den sechziger Jahren mit Hand bemalte. Im Vorfeld hat Piene die Dias immer wieder kritisch neu geordnet, die Projektionsflächen an verschiedenen Stellen auf- und abgebaut. Leider zum letzten Mal. Einen Tag nach der Eröffnung starb Otto Piene im Alter von 86 Jahren an einem Herzinfarkt.

Im Hintergrund ertönt eine Stimme. „The sun, the sun, the sun“. Auch ein anderes eindringliches Geräusch hört der Besucher: das Klicken beim Wechsel der Dias. Durch die penetranten Hintergrundgeräusche bleiben die Besucher wach und nehmen die nächtliche Dia-Projektion intensiv wahr. Das gemeinsame Erlebnis erinnert an einen psychedelischen Formentrip.

Eine Diashow gegen Atomwaffen


Vor einem halben Jahrhundert hatte das Werk auch einen politischen Zweck. Die Diashow war ein Aufruf zum Frieden. Das Kunstwerk heißt „Proliferation of the Sun“ und spielt damit auf die Nichtverbreitungsverträge zur Kernwaffenbegrenzung aus der Atomwaffenzeit von 1967 an. Mit seinen Bildern setzte Piene dem Nuklearzeitalter ein betont friedliches Weltenbild entgegen. Klare Bilder des Himmels und der Sonne, in allen Farben des Regenbogens. Seine Friedensbotschaft bleibt subtil. Piene vermittelt keine dogmatische politische Botschaft.

Der Himmel bestimmt Otto Pienes Werk; wenn er ihn nicht gerade durch eine Diashow ins Museum holt, nutzt er ihn als Projektionsfläche. Otto Piene erklärte, der Himmel habe für ihn eine besondere Bedeutung, weil er nach dem Krieg zum ersten Mal wirklich frei war. 1928 in Bad Laasphe in Nordhrein-Westphalen geboren und später in Lübbecke lebend, prägten ihn die Kriegserfahrungen in seiner Jugend. Während des Krieges war Piene Flakhelfer bei der Wehrmacht. Er hat alles, was vom Himmel kommt und in den Himmel geht – Bomben, Granaten, Flugzeuge – als äußerste Bedrohung empfunden.

Den endlich freien Raum wollte er anschließend für Kunst nutzen. Mit Heinz Mack gründete er 1958 die Gruppe ZERO, die Stunde Null. In dem Manifest der Gruppe schreibt Piene: „Am Himmel sind so ungeheure Möglichkeiten und wir spazieren die Reihen im Museum entlang.“ Die Künstler griffen zu neuen Materialien. Licht. Feuer. Rauch. Industrielle Werkstoffe. Damit experimentierten sie unter freiem Himmel. Sie brachen mit der Vergangenheit.  Psychologisch aufgeladene, düstere Malerei der Nachkriegszeit ließen sie hinter sich. Die alternative Kunstszene in Deutschland war geboren.

Otto Piene sah den Himmel als größtes Friedensprojekt aller Zeiten. Er nutzte den Raum für Friedenssymbole wie zum Beispiel seine Polyethylen-Regenbogenfigur, die 1972 zur Abschlussfeier der Olympischen Spiele unter dem Münchner Himmel aufgeblasen wurde. Damals unterrichtete er bereits Umweltkunst am Massachusetts Institute of Technology in Boston. Nach den Spielen sein Kunstwerk aufzubauen, muss für Otto Piene und sein Team sehr verunsichernd gewesen sein. Das Attentat palästinensischer Terroristen auf israelische Sportler lag nur ein paar Tage zurück. Die Organisatoren wollten den Regenbogen zunächst nicht mehr aufziehen. Nach diesen furchtbaren Ereignissen den Regenbogen als Symbol der Versöhnung am Münchner Himmel zu zeigen, empfanden einige als unangebracht.

Daraufhin sagte Piene: „Unter den Hunderten, ja Tausenden von Regenbogen, die ich in meinem Leben gesehen habe, war der prächtigste der in dem Moment, als meine Mutter starb.“ Damit überzeugte er die Veranstalter ein friedliches versöhnendes Zeichen zu setzen. Der Regenbogen wurde aufgezogen. Die Menschen reagierten begeistert. Pienes „Sky Art“ erweckte in ihnen einen Funken Hoffnung.

Piene zündete Leinwände an, um Kunst zu schaffen
 

Das Video über die spektakuläre Aufbauaktion von 1972 wird im Rahmen der Doppelausstellung mit der Neuen Nationalgalerie in den Räumen der Deutschen Bank gezeigt. Die Retrospektive ist ein bedeutender Bestandteil für die Neubewertung von Otto Pienes Kunst. Noch nie sind seine Arbeiten so umfassend und klar gezeigt worden.

In der Deutschen Bank Kunsthalle hängen auch Licht- und Feuerbilder – die Piene zum Teil mit der Technik des „Bilderkochens“ kreierte, die er mit Yves Klein teilte. Bei dieser Technik wird ein Teil der Leinwand angezündet und die Brandspuren werden in das Bild integriert. In einem anderen Raum bilden die Lichtreflexe einer Diskokugel und anderer quadratischer Formen ein Lichterballet an dunklen Wänden. Seine Kunst bleibt bis heute richtungsweisend. Künstler wie Tomàs Saraceno und Olafur Eliafsson schaffen Lichträume in Museen und nutzen den Himmel als Bühne, um ihre Kunst zu zeigen.

Im Oktober wird Piene im Guggenheim Museum in New York ausgestellt. Pienes Forderung, den Himmel mit Kunst zu monopolisieren und für Friedenssymbole zu nutzen, wird seinen Tod lange überdauern. Diese Botschaft ist in ihrem idealistischen Kern so zeitlos wie John Lennons Worte in Imagine: „Imagine there's no heaven, it's easy if you try. No hell below us, above us only sky.“

Die Ausstellung Otto Piene. More Sky“ ist tagsüber in der Deutsche Bank Kunsthalle zu sehen (Unter den Linden 13, täglich von 10 bis 20 Uhr, Eintritt 4 Euro), nachts von 22 bis 3 Uhr in der Neuen Nationalgalerie, Potsdamer Str. 50 (täglich außer montags). Weitere Infos unter www.ottopieneberlin.de 

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