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NSA und Abhöraffäre - Holt die Transparenz vom Sockel

Kisslers Konter: Wer Transparenz fordert, erntet Beifall. Totale Transparenz aber kann es in freien Gesellschaften nicht geben. Freiheit wächst, wo das Private gesichert ist

Alexander Kissler

Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Das Zeitalter der Transparenz ist das Zeitalter der Ausspähung. Dieser Gleichklang ist kein Zufall. Das Eine ist ohne das Andere offenbar nicht zu haben. Darum wohnt der Aufregung über die von der amerikanischen NSA aufgezeichneten Telefondaten der deutschen Kanzlerin – bei aller berechtigten Empörung – ein gehöriges Maß an Selbstbetrug inne. Geheimdienste sind die Avantgarde einer Ideologie, der wir sonst gerne Kränze flechten. Nun zeigt sich: Die Transparenz ist ein schlimmer Geselle, ein zürnender Gott.

Der transparente Mensch ist der nackte Mensch

Transparenz erinnert an den märchenhaften Vielfraß, der unterschiedslos alles in sich hineinschaufelt, weil das Essen und Fressen sein Daseinszweck ist. Er kann nicht anders. Gerade so verhält es sich mit der Ideologie von der totalen Transparenz, der die Spätmodernen huldigen. Das Transparente ist das Durchscheinende, ist alles, was den Augen keinen Widerstand bietet, was schauen lässt bis auf den Grund, ein permanenter Blick- und Lauschangriff. Der transparente Mensch ist der nackte Mensch – im wörtlichen wie im übertragenen Sinne. Er ist all seiner Selbstzuschreibungen entkleidet, seiner Geheimnisse und Fantasien auch. Bloß steht er da und friert, restlos entziffert.

Der Mensch geht aber nicht gerne zwanghaft nackt umher; darin liegt ein zivilisatorischer Fortschritt. Er hat die freie Wahl, sich zu verhüllen oder zu Hause zu bleiben oder zu schweigen. Die Gleichheit der Menschen beruht auf dieser Freiheit zur Absage an die totale Öffentlichkeit. Im Zeitalter der Transparenz aber gilt das Nicht-Nackte, das Nicht-Preisgegebene als Anschlag auf die Gruppenmoral. Wer nichts zu verbergen habe, heißt es höhnisch, könne sich doch offenbaren. Nein. Wer etwas verbergen will, muss es verbergen dürfen – solange er nicht durch sein Verbergen die Freiheiten der anderen angreift. Zum Recht auf Öffentlichkeit gehört untrennbar das Recht auf Privatheit, das Recht, Informationen für sich und nur für sich zu behalten. Sonst wird Transparenz totalitär.

In einem soeben erschienenen Buch über den abgründigen „Transparenztraum“ und „Transparenzwahn“ schreibt Manfred Schneider: „Gegenwärtig treten unter der Transparenzforderung Machtverlangen, theoretische Gewalt, blinde Medienideologie und unmögliche Versprechen in die Arena.“ Wer Transparenz fordert, der sehne sich nach immer mehr Informationen – handele es sich nun um Informationen mittels Computer, Smartphone oder „Boundless Informant“, dem Werkzeug der NSA. Der Philosoph Byung-Chul Han geißelt ebenfalls  die „Transparenzgesellschaft“. Sie sei eine „Gesellschaft des Misstrauens und des Verdachts. (…) Die lautstarke Forderung nach Transparenz weist gerade darauf hin, dass das moralische Fundament der Gesellschaft brüchig geworden ist, dass moralische Werte wie Ehrlichkeit oder Aufrichtigkeit immer mehr an Bedeutung verlieren. An die Stelle der wegbrechenden moralischen Instanz tritt die Transparenz als neuer gesellschaftlicher Imperativ.“ Der Schriftsteller Benjamin Stein schreibt, „Transparenz und Totalitarismus“ seien „unmerklich verschwistert.“

Es gibt ein Recht auf Geheimnis

Gewiss, der Impuls war aufklärerisch im besten Sinne. Schluss sollte sein mit den Mauscheleien der Großkopfeten in Hinterzimmern, alle politischen Prozesse gehörten in die Öffentlichkeit. Jeder Bürger sollte jede Entscheidung, die ihn betrifft, nachvollziehen können. Das hehre Ziel wurde nicht erreicht. Es wird weiter gekungelt – unter dem Anschein von Transparenz. Das auf dem politischen Feld unbefriedigte Transparenzgebot wird im Privaten brachial exekutiert. Der gläserne Abgeordnete ist Utopie, der gläserne Bürger Realität. Manfred Schneider zufolge ist der Transparenztraum als „Wunsch nach trugloser, täuschungsfreier Kommunikation“ ein Ding der Unmöglichkeit, ein „Programm leerer Versprechen“. Selbst wenn alle Informationen über alles und jeden frei zugänglich wären, hätte man die Wahrheit nicht gewonnen.

Es gilt, Abschied zu nehmen von dieser gefährlichen Illusion. Wer totale Transparenz einfordert, ist entweder ein Dummkopf oder führt Trübes im Schilde. Die Freiheit sitzt heute am Gegenpol, beim Recht auf Geheimnis, beim Recht auf Privatheit, beim Recht auf Schweigen. Die Freiheit einer Gesellschaft sinkt nicht unbedingt, wenn eine Spitzenpolitikerin belauscht und so transparent gemacht wird. Sie sinkt aber immer, wenn das brutale Licht der Öffentlichkeit oder des Staates in jeden Winkel dringt, alles Private jedoch gerechtfertigt werden muss. Nur umgekehrt entsteht Freiheit.

 

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