Jahrmarkt der Identitäten / dpa

Neues Buch zur US-Debatte um Identitätspolitik - Der Kampf um jedes Wort

René Pfister skizziert in seinem neuen Buch „Ein falsches Wort“ das Ausmaß der Zerrissenheit der US-amerikanischen Gesellschaft und beleuchtet die ideengeschichtlichen Wurzeln der scheinbar unversöhnlichen Weltanschauungen. Längst haben diese Auseinandersetzungen auch Deutschland erreicht. Thomas Jäger hat das Werk gelesen.

Autoreninfo

Thomas Jäger ist Professor für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln. Er ist Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste.

So erreichen Sie Thomas Jäger:

In den USA hat der Kulturkrieg, der die Gesellschaft seit Jahrzehnten in zwei Lager polarisiert, seit einigen Jahren mit der Fokussierung auf neue linke identitätspolitische Weltanschauungen eine Schärfe erhalten, die dazu führt, dass „Ein falsches Wort“ genügt, um Lebenswege und Berufskarrieren umzustürzen. Einige dieser Fälle beschreibt René Pfister in seinem Buch. Aber auch kollektiv sind sie wirksam und so bestimmen diese identitätspolitischen Themen derzeit den politischen Wettbewerb. Zum Beispiel die Critical Race Theory, die einige dieser Ideologien zusammenfasst, ist in den USA nunmehr ein wichtiges Thema im Wahlkampf. Mal zum Vorteil der Republikaner, die heftig dagegen opponieren, mal zum Vorteil der Demokraten, die darin eine Heilung der amerikanischen Sünden erkennen. Sie polarisiert und mobilisiert, weil sie Menschen aus unterschiedlichen politischen Lagern in verschiedener Weise erzürnt. In Virginia reichte das Thema einem Kandidaten der Republikaner, um Gouverneur zu werden. 

Die „Mobmentalität im Netz“

Pfisters Bush geht weit über die Beschreibung der Folgen dieser in seinem Urteil quasi-religiösen Weltanschauungen in den USA hinaus. Er weist nicht nur auf die sozialen Folgen hin, wenn eine Gesellschaft ideologisch derart zerrissen wird, sondern legt auch die ideengeschichtlichen Wurzeln dieser Weltanschauungen frei. Der lange Schatten des französischen Soziologen Foucault legt sich über eine Betrachtung gesellschaftlicher Diskurse als Quelle von Macht und Ausdruck von beliebiger Festsetzung zugleich. Die „Mobmentalität im Netz“ und die Feigheit derer, die sich dem entgegenstellen müssten, es aber nicht tun, definieren die Maßstäbe des öffentlich Sagbaren neu. Und wer sich daran nicht hält, wird abgestraft.

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Tomas Poth | Do., 8. September 2022 - 12:13

Schlicht gefühlt läuft es auf einen Bürgerkrieg hinaus. Die USA gehen da in die Vorlage.
Erstaunlich nur das eine so minimale Minderheit solch eine maximale Wirkung in den Köpfen, zu mindestens in LinksGrünen Köpfen, entfalten kann. Aber das liegt vielleicht daran, daß man nur um die eigenen politischen Arbeitsplätze und Einkünfte kämpft.
Das Credo, dem Volk als ganzes dienen zu wollen, tritt in den Hintergrund.

Ernst-Günther Konrad | Do., 8. September 2022 - 13:49

Das ist für mich nichts neues. Viele schlechte Dinge sind aus den USA zu uns hinüber geschwappt und haben in unserer Gesellschaft nicht selten zu Streit und unnötigen Auseinandersetzungen geführt. Das neueste "Highlight" ist diese rassistische und zutiefst menschenfeindliche Identitätswahn. Ich bezweifele stark, dass viele Amerikaner von dem "Virus" befallen sind. Auch dort wird Menschen geben, die mit ihrem Arbeitsalltag, der Sicherung ihrer Existenz und der Teilhabe am Wohlstand genug zu tun haben. Dennoch wird uns allen verkauft als wäre es eine Mehrheit, die diesen Unsinn will und denkt. Vieles spielt sich dort wie hier in den sozialen Medien ab und wird dort auf eine Ebene gehoben, wo dieser Schwachsinn nicht hingehört. Natürlich machen sich auch extrem denkende politische Lager dieses Thema zu eigen und versuchen wie bei uns die GRÜNEN beim Thema Klima den Eindruck zu erzeugen, dass hätte wissenschaftlichen Hintergrund. In Wirklicht sind das alles fmp nur fehlgeleitete Menschen

Maria Arenz | Do., 8. September 2022 - 14:28

der "Penetranz des negativen Restes" spielt sicher eine erhebliche Rolle. Entscheidender für die Fahrt, die das Thema auch in Deutschland inzwischen aufgenommen hat, dürfte aber die Tatsache sein, daß die mit üppiger staatlicher Unterstützung wie Pilze (und zwar Stinkmorcheln !) aus dem Boden geschossenen NGO's samt der zugehörigen "Beauftragten" zu einem Geschäftsmodell geworden sind, das davon lebt, immer mehr Benachteiligte und immer subtilere und deshalb umso perfidere Benachteiligungsformen aufzuspüren. Am perfidesten ist der Rassimus bekanntlich dann, wenn man ihn ohne gut geschulte Fachleute garnicht mehr merkt. Zudem ist keiner von denen , die mit diesem Bissiness ihr Geld verdienen, in der Realwirtschaft brauchbar. Deshalb sind sie daruf angewiesen, daß das nie aufhört mit Rassimus, Sexismus, Anti-Ziganismus und dergleichen. Wenn so ein Quatsch einmal angefangen hat, kann man ihn deshalb - wie ein Stinkmorchel-Myzel- nur mit brutaler Gewalt ausrotten.

Gabriele Bondzio | Fr., 9. September 2022 - 08:15

Antwort auf von Maria Arenz

zu einem Geschäftsmodell geworden sind,.."

Da haben sie völlig recht, werte Frau Arenz. Die Stinkmorchel wird ja im Volksmund auch Teufelsei, bzw. Leichenfinger benannt, da sie oft aus Grabhügeln herauswuchs.
Und ihr stinken (wie ein totes Tier im Straßengraben) sich aus dem ausgewachsene Fruchtkörper entwicklt.

"Auch ein kußechter Lippenstift ist sinnlos,
wenn der Kuß nicht echt ist."
© Markus M. Ronner

Markus Michaelis | Do., 8. September 2022 - 15:00

Zum Einen fühle ich mich nicht wohl damit, wieviele meiner Mitbürger (aus der "Mitte") so, für mich, extremen moralischen Anschuldigungen folgen, wenn das nur breit genug vorgetragen wird. Zum Anderen sehe ich aber auch, dass die Gesellschaft so bunt (geworden) ist, dass hinter allen Anschuldigungen auch wirklich viele Menschen stehen, die bis ins Mark getroffen sind. Klarer macht es das aber nicht, weil es so viele verschiedene und widersprüchliche, auch unangemessene Anschuldigungen gibt. Die bessere Gesellschaft mag ich da noch nicht erkennen - auch wenn es immer viele gute Punkte gibt. Einen Teil nehme ich auch so wahr, dass sich die Fronten von der Sache lösen und sich die Feindschaften einfach aus dem Kreislauf der gegenseitigen Angriffe speist. Dagegen kann man dann kaum etwas sagen, weil die Angriffe real sind. Unsere Gesellschaft war einige Jahrzehnte eher friedlich - mir fehlt die Erfahrung, wie man aus diesem Modus wieder herauskommt.

Fritz Elvers | Do., 8. September 2022 - 23:34

warum Irrsinn "links" sein soll. Ist es vielleicht ein Trick, offenkundigen Blödsinn als links darzustellen, um "links" zu diskeditieren?

Kann ja schon sein, dass einige ursprünglich Linke in den Wahnsinn abgerutscht sind, aber es hat nichts mit der Klassenfrage zu tun.

In der jetzigen Krise sehen wir, wer sie zu bezahlen hat, der Billiglöhner soll frieren oder essen.

Sabine Lehmann | Sa., 10. September 2022 - 04:07

Heute ist der 11.September. Die USA, die westliche Welt sollte sich dringend daran erinnern was wichtig ist, überlebenswichtig, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Liest man solche Artikel könnte man meinen, echte Probleme und Gefahren seien ausgestorben. Vergessen ist eine der schlechtesten Voraussetzungen!