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(picture alliance) Selbst die Liedermacher fragen sich: Was passiert beim Musikhören im Gehirn?

Neurowissenschaften - Musische Rätsel unter der Schädeldecke

Unser Kolumnist Daniel Hope sieht, wie Sting zum Komponieren in eine Röhre gesteckt wird, und begegnet Vivaldi in einem Parkhaus.

Schlaflos auf dem Flug von San Francisco nach Frankfurt, machte mir auch noch ein Ohrwurm zu schaffen: eine geniale Melodie von Bach, die ich im Konzert am Vorabend gespielt hatte und die mich jetzt terrorisierte. Um mich abzulenken, klickte ich durch die Filmauswahl an Bord. Dort stieß ich auf einen Dokumentarfilm mit dem Titel „The Musical Brain“ (Das musikalische Gehirn), der mich neugierig machte. Denn behandelt wird die spannende Frage, wie Musik in unserem Kopf entsteht. Es wird erzählt, dass das Gehirn unbewusst eine regelrechte Liebesbeziehung zur Musik entwickelt. Und dass bis jetzt kaum jemand wirklich gründlich untersucht hat, warum Musik eine so starke Wirkung auf uns hat.

Neben Wyclef Jean und Michael Bublé ist Sting einer der Hauptakteure; er stattet während einer Konzerttournee dem Forscher Daniel Levitin von der McGill University in Montreal einen Besuch ab. Levitin war Profimusiker und Produzent, bis er auf Neurowissenschaften umsattelte. Sting, der einen pinken Patientenanzug trägt, wird in eine Röhre geschoben, um den Einfluss von Musik auf seine Hirnströme zu untersuchen. Ihm werden verschiedene Musikgenres vorgespielt, einmal muss er in der Röhre sogar in Gedanken komponieren und zu einem Stück von Miles Davis improvisieren. Sein Gehirn reagiert in gleichem Maße aktiv – ob bei Jazz, Rock oder Klassik. Bei „Muzak“ oder „Fahrstuhlmusik“ hingegen konnte kaum eine kreative Aktivität registriert werden. Darüber hatte ich früher schon öfter mit Sting gesprochen, der mir einmal sagte, Musik müsse immer bewusst gewählt sein – wenn nicht, könne sie sogar Schaden anrichten.

Noch interessanter wird der Film, als gezeigt wird, wie Alzheimer-Patienten Lieder aus ihrer Kindheit vorgespielt bekommen und sie jeden Ton sowie den Text exakt wiedergeben können. Wenn Levitin ihnen absichtlich einen falschen Ton vorspielt, erkennt der Patient die Veränderung sofort, obwohl er sich an kaum etwas anderes aus seinem Umfeld erinnern kann.

Lesen Sie auch, wie Musik angeblich Kriminelle bekehrt.

Die Musik als Heilmittel ist ein viel untersuchtes und ebenfalls spannendes Phänomen. Musiktherapeuten haben bereits beachtliche Erfolge in der Behandlung von Krankheiten wie chronischen Schmerzen, Tumoren oder bei der Pflege von schwer- und mehrfachbehinderten Menschen erzielt. Etwas skeptischer bin ich allerdings, wenn ich im Internet über Aktionen wie „Violins vs. Violence“ (Geigen gegen Gewalt) lese. Dabei geht es um den Einsatz klassischer Musik in öffentlichen Räumen wie an Bahnhöfen und in Einkaufszentren. Lässt man sanfte Klangwolken von Mozart und Beethoven über der Bevölkerung schweben, werden angeblich Kriminelle und Jugendgangs vertrieben oder gar von ihren bösen Plänen so abgelenkt, dass sie vermutlich anfangen, Blockflötenunterricht zu nehmen.

Es ist vielleicht nicht ganz überraschend zu erfahren, dass die Idee sich zuerst in den Vereinigten Staaten verbreitete, inzwischen aber in vielen europäischen Ländern umgesetzt wird – manche sprechen von Erfolg. Kurios war es allerdings schon, als ich neulich in einem Amsterdamer Parkhaus meine Vivaldi-Aufnahme über Lautsprecher zu hören bekam. Und als ich vor kurzem am Hamburger Hauptbahnhof ausstieg, wude ich mit „An der schönen blauen Donau“ beschallt. Ein Clochard war anscheinend so sehr davon angetan, dass er mich beim Vorbeigehen aufforderte, mit ihm Walzer zu tanzen.

Die neueste Erfindung, die Musik und Forschung kombiniert, heißt www.uPlaya.com, ein Internetwebservice der Popsongs darauf hin untersucht, ob sie Hitpotenzial haben. Die Software nennt sich „Hit Song Science“ und basiert auf einer Datenbasis von Millionen erfolgreicher Popsongs der vergangenen 60 Jahre. Sie analysiert bei einem Lied eine Vielzahl von Faktoren, darunter Harmonie, Texte, Stimmung, Sprache oder Beat. Die Idee dahinter ist, dass Künstler und Plattenfirmen mit diesem Programm unveröffentlichte Lieder testen können. Im Erfolgsfall erhält uPlaya die Hälfte der Rechte an dem Song. Ob das funktioniert? Vielleicht schon, allerdings frage ich mich, warum ganz ohne dieses Programm so viele geniale Pophits entstehen konnten? Hierzu zitiere ich gern Bob Dylan: „Ein Mensch ist erfolgreich, wenn er zwischen Aufstehen und Schlafengehen das tut, was ihm gefällt. Ich glaube, dass es Instinkt ist, was das Genie genial macht.“ Rock on, Bob!

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