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() Bücherverbrennung 1933 in Berlin
Museum des Vergessens

Ein neues Museum in Solingen dokumentiert sinnlich und anrührend ein Stück kultureller Zeitgeschichte, die nur zu oft verdrängt und vergessen wird

Habent sua fata libelli – Bücher haben Schicksale. Der berühmte Satz, der genauso gut auf Bilder passt, ist das heimliche Motto eines einzigartigen Museums, das am 30.März in Solingen eröffnet wird. Da sage einer, aufregende Kulturereignisse fänden nur in den Metropolen statt! Das deutsche Leitmotiv des Antizentralismus, die Chance, dass überall, wo originelle Denker am Werk sind, kulturelle Leuchttürme erbaut werden können, haben die Solinger klug genutzt. Ihr vorher durchaus regional orientiertes Kunstmuseum, in das sich Auswärtige kaum verirrten, haben sie verwandelt in ein Institut, für das es keine europäische Parallele gibt. Das „Museum der verfolgten Künste“ nimmt sich eines Themas an, das in den stilgeschichtlich dominierten Literatur- und Kunstgeschichten sonst nur in den biografischen Fußnoten vorkommt. Inspirator des Solinger Hauses und Dramaturg der Ausstellung ist der frühere Stern- und Welt-Autor Jürgen Serke. Er war vor drei Jahrzehnten auf einen blinden Fleck im deutschen Kulturgedächtnis gestoßen. Dass die mitteleuropäische Literatur- und Kunstgeschichte des 20.Jahrhunderts kein ästhetischer Spaziergang gewesen ist, sondern ein Drama, zu dem die politischen Gewitter nicht nur die Begleitmusik machten, sondern Dichter und Künstler aus ihrer Bahn warfen und oft genug um Glück und Leben brachten, das war die Erkenntnis, die Serke, Jahrgang 1938, in den siebziger Jahren bei Recherchen über die von den Nationalsozialisten verfolgten Dichter fand. Das neue Museum zeigt in einer suggestiven Inszenierung Literatur und Kunst als Spiegel eines Jahrhundertverhängnisses. Wie war die politische Rolle der Dichter von 1918 bis 1933? Wessen Bücher waren im Mai 1933 auf dem Berliner Opernplatz verbrannt worden? Und wie ging es weiter mit den Biografien der von der deutschen Barbarei Ausgestoßenen? Wie haben sie aus dem Exil heraus gegen die Nazis gekämpft, welches Echo hatten sie daheim und draußen? Wer kam nach 1945 nach Deutschland zurück, wer war für immer enttäuscht? Serke hat mit der Leidenschaft des geborenen Reporters und Spurensuchers den Schicksalen der Autoren nachgespürt. Die Liebe zu seinen Heldinnen und Helden machte ihn zum Sammler: Erstausgaben und Briefe, Fotografien und anrührende Dokumente hat er zusammengetragen. Ende der siebziger Jahre hatte Serke seinen Bestseller „Die verbrannten Dichter“ veröffentlicht, 1982 dann die „Böhmischen Dörfer“, wo er das deutsche Panorama zur mitteleuropäischen Kulturlandschaft erweiterte. Denn nicht nur der seinem Pass nach „tschechoslowakische“ Weltstar Franz Kafka hatte die deutsche Literatur bereichert, sondern eine Vielzahl von vergessenen, im Mahlstrom der europäischen Katastrophe 1933 bis 1945 verschwundenen Dichter aus den böhmischen Ländern, viele davon jüdischer Herkunft. Die düstere Geschichte des Verhältnisses von Macht und Literatur endete nicht im Jahr 1945. Einmal in die fatale Geschichte des Verhältnisses von Diktatur und Macht eingetaucht, forschte Serke auch der ambivalenten Literaturgeschichte der DDR nach: Verfolgte wurden zu Komplizen der zweiten deutschen Diktatur. Aber Literaten leisteten auch Widerstand, und der Pazifist Wolfgang Borchert wurde posthum zum Gedankengeber der DDR-Bürgerrechtler. Was Serke treibt, ist ein umfassendes Gerechtigkeitsgefühl. Das gab es auch bei den anderen Museumsgründern: Solinger Bürger sammelten eine Million, um die Kunstsammlung „Verfemte Kunst“ des Sammlers Gerhard Schneider anzukaufen, der Serkes Prinzip auf die Maler angewendet hatte. Literatur, Bildende Kunst und politische Geschichte, erzählt von dem Moment an, an dem alles begann, nicht 1933 also, sondern 1918, sind in Serkes Museum eindringlich zu einem zeithistorischen Teppich verwebt. Den roten Faden bildet die Biografie des jüdischen Dichters Ernst Toller, der 1918/19 die Münchner Revolution antrieb, bis 1933 zum Starautor aufstieg und sich im New Yorker Exil aus Gram über die verlorene Heimat das Leben nahm. Am Eingang des Museums hängt Felix Nussbaums Gemälde „Die trostlose Straße“. Darunter hat Serke die Namen der vertriebenen Dichter versammelt. Was immer den freundlichen jungen Maler aus Osnabrück 1928 dazu trieb, solch düstere Zukunftsvisionen auf die Leinwand zu bringen, seine Prophetie erriet, was kommen sollte: Nussbaum wurde 1944 in Auschwitz ermordet. Die Sammlung Serke ist als Dauerleihgabe der Else-Lasker-Schüler-Stiftung ab 30. März im Kunstmuseum Solingen zu sehen. Christoph Stölzl ist Historiker und Geschäftsführer der Ernst Freiberger-Stiftung. Der ehemalige Berliner Kultursenator lehrt Kulturmanagement an der Freien Universität Berlin (Foto: Picture Alliance)

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