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Medien - Wie die glückliche Hure erfunden wurde

Wenn in den Medien irgendwo eine Prostituierte auftaucht, ist sie selbstbestimmt, glücklich und natürlich freiwillig tätig. Die unkritische Berichterstattung trägt dazu bei, das Rotlichtmilieu zu entkrampfen. Ein Wertewandel, der auch das Handeln beeinflussen könnte

Autoreninfo

Petra Sorge ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2016 war sie Redakteurin bei Cicero. Sie studierte Politikwissenschaft und Journalistik in Leipzig und Toulouse.

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Medien prägen und verändern Moral. Davon sind Experten überzeugt. Die medial verschärfte Unsicherheit darüber, was richtig und falsch ist, führt dazu, dass „sich der Zusammenhang von Werten und Handeln entkrampft, unverbindlicher wird“, schrieb etwa der Berliner Publizistiker Gernot Wersig, der als Begründer der deutschen Informationswissenschaften gilt. Medien pusten, wo immer dicke Staubschichten über manchen Gewissheiten liegen.

Wenn man diesen Entkrampfungsprozess irgendwo beobachten wollte, dann dort, wo das Tabu regiert: bei der Prostitution.

Wer in jüngster Zeit Berichte zu diesem Thema verfolgt hat, dürfte jedenfalls nicht schlecht gestaunt haben. Zum Beispiel über Isabelle, die in der Sat.1-Talksendung „Eins gegen Eins“ im vergangenen Mai behauptete: „Die meisten Prostituierten machen den Job freiwillig.“ Oder über Marleen, die der taz beichtete, dass sie schon ganz früh „so ein starkes Bauchgefühl“ hatte. Eine Lust auf diesen Job. Die ihren ersten Kunden „total süß“ fand und in der Regel „wertschätzend und respektvoll“ behandelt wird. Oder über Kyra, Gymnastiklehrerin mit Abitur, die sich „den Spaß an der Tätigkeit“ auch mal mit einem Nein zu einem Gast aufrechterhält – vor einem Jahr bei Maischbergers zu sehen.

Vielleicht liest er aber auch von Vanessa Eden, Buchautorin und selbstbewusste Edelprostituierte, die es als „Privileg von uns Frauen“ empfindet, „dass wir überhaupt für Sex Geld verlangen können“.

Die jüngste politische Talksendung, die das Thema auf die Agenda setzte, war die Runde von Günter Jauch. „Tatort Rotlichtmilieu – wie brutal ist das Geschäft mit dem Sex?“ fragte er. Als Branchenvertreterin lud er nicht etwa, wie es der Titel suggerieren müsste, ein Gewaltopfer ein, sondern die Ex-Prostituierte Felicitas Schirow, die 1999 gegen die Schließung ihres Berliner Bordells klagte und somit die Grundlage für das rot-grüne Prostitutionsgesetz legte.

Es ist schon richtig: Oft wird diesen Frauen ein Gegner der Prostitution – wie etwa Alice Schwarzer – gegenübergestellt. Aber eben selten ein Gewaltopfer. Das Argument, dass es schwierig sei, an diese heranzukommen, dürfte bei geschätzt 60.000 Prostituierten in Deutschland nicht gelten. Und sei es doch schwierig, so wäre es dennoch eine Aufgabe der Medien, entsprechende Verzerrungen darzustellen.

Stattdessen finden negative Seiten von Prostitution und Menschenhandel fast nur noch in Filmen statt. Im Drama, im Krimi – zurzeit etwa in vielen Tatort-Folgen. Dagegen zeichnen die non-fiktionalen (Nachrichten-)Medien das Bild offenbar glücklicher, selbstbestimmter Dienstleisterinnen. Sie kämpfen wie die 37°-Protagonistin Bianca – nach eigenen Worten „Hure mit Leib und Seele“ – für ihre Rechte und um Anerkennung. Und sie nutzen das Fernsehen, um die Familie und die Öffentlichkeit von ihrer Tätigkeit zu überzeugen. Beim Zuschauer bleibt nach dem Medienkonsum nur eines hängen: Wenn die Sexarbeiterinnen es selbst gut finden, wird die Prostitution schon nicht so schlimm sein. Zwangsprostitution dagegen scheint nur ein Randphänomen zu sein, schlimmstenfalls: ein Märchen.

Wersig hätte dann Recht gehabt. Die Medien führen so zu einer Entkrampfung der Werte (und des Handelns, möchte man fragen?).

Nur: Sind diese willkürlich gewonnenen Aussagen und Darstellungen überhaupt repräsentativ?

Seite 2: Zwangsprostitution im Krimi, glücklicher Kaufsex in der Talkshow

Die Unsicherheit fängt schon im Kleinen an. Da zählt der Hamburger Senat 29 registrierte Prostituierte – die Polizei aber mindestens 2500.

Bei Maischberger durfte eine Prostitutions-Kritikerin immerhin sagen: „Wenn man Kyra jetzt nimmt, dann ist sie ungefähr so typisch wie ein Unterwasserschweißer für die Metallindustrie.“ Die typische Prostituierte – die man freilich in kaum einer Talkshow sieht – sei Osteuropäerin, 25 Jahre alt und habe drei Kinder.

Die mangelnde Datenbasis führt dazu, dass Befürworter und Gegner der Prostitution sich mit teils hanebüchenen Behauptungen gegenüberstehen. Volker Beck, einer der grünen Mitinitiatoren des Prostitutionsgesetzes, kann bei Cicero Online die Aussage, Deutschland sei das Bordell Europas, mit der Behauptung wegwischen, die Empirie gebe das einfach nicht her. Den Beweis für seine Annahme – die konkrete Zahl – bleibt er im ganzen Interview schuldig.

Ähnlich dünn sieht es bei der Medienforschung aus. „Unzureichend“, befand Tina Knaut, die für ihre Diplomarbeit zur Berichterstattung über Sexualität 87 wissenschaftliche Werke zwischen 1985 und 2010 durchforstete. Ihre Ergebnisse legen den Schluss nahe, dass die Verharmlosung der Prostitution schon in den 90er Jahren einsetzte.

Im Untersuchungszeitraum berichtete die Bunte kein einziges Mal über Prostitution – und ließ damit den Auftrag des kritischen Journalismus für ein ganzes Frauenpublikum links liegen. Der Medienwissenschaftler Ernst Zielinski beschrieb Sexualität im Fernsehen „als gewöhnliche, längst in den Alltag eingeschriebene Zurschaustellung von – in der Regel weiblichen – Körpern“. Prostitution finde „vor allem in Fiktionen und Dokumenten“ statt.

Bezeichnend ist ein „RTL aktuell“-Beitrag über die Eröffnung eines Bordells im sächsischen Zwickau im Jahr 1994. Die Forscher bezeichneten den Bericht als „vollkommen unkritisch“. Prostitution sei „als Lösung finanzieller Probleme dargestellt und somit entschieden verharmlost“ worden. Ähnlich einseitig sei ein RTL-Beitrag über die Eröffnung eines Erotik-Museums in Hamburg gewesen.

Knaut kommt am Ende ihrer Arbeit zu der ernüchternden Erkenntnis: „Es überwiegt eine patriarchale Sichtweise, die Sex lediglich als risikofreien Spaß versteht. Eine ernsthafte Berichterstattung mit einer politischen Komponente findet kaum statt.“

In dieses Bild passt, Frauen zu präsentieren, die den hedonistischen Spaß-Gedanken auch bei der Prostitution nicht verderben. Und übrigens wirklich nur Frauen: Homo-, Bisexuelle oder Transgender kommen fast nicht vor. Weder bei RTL aktuell noch bei der Tagesschau habe es im vergangenen Halbjahr auch nur einen Beitrag dazu gegeben, sagt Tina Kühne, die die Sendungen für ihre Masterarbeit an der Universität Leipzig schaute.

In Leipzig gab es 2010 erstmals ein Seminar über Journalismus, Sexualität und Prostitution. „Weg von der Schlüsselloch-Perspektive und von Berührungsängsten“, wollte der Organisator Marcel Machill – und schickte seine Studenten ins Bordell, zur Aids-Beratung und zu Verbänden.
Damit tragen auch die Hochschulen dazu bei, das Thema zu entkrampfen. Man könnte auch sagen: den Wertewandel voranzutreiben.

Prostitution ist aus Mediensicht schon so salonfähig geworden, dass es ein Investigativmagazin wie ARD Panorama brauchte, um am positiven Grundkonsens zu rütteln.

Deutschland sei zum Land der Billighuren geworden, hieß es darin. Das Prostitutionsgesetz habe sein Ziel verfehlt: Den Prostituierten gehe es heute schlechter.

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