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Lüttis Sommer ist vorbei - Wie es ist, einen Hahn zu schlachten

Kolumne: Stadt, Land, Flucht. Wer Tiere artgerecht halten will, der muss sich auch mit ihrer Schlachtung beschäftigen. Und wer Hähnchen an Maronen-Röhrling und Karotten aus Wald und Garten genießen will, sollte nicht verweichlicht sein

Autoreninfo

Marie Amrhein ist freie Journalistin und lebt mit Töchtern und Mann in der Lüneburger Heide.

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Wir trafen uns um acht in der Scheune. Ich hatte gerade die Kinder ins Bett gebracht, er hatte schon einmal angefangen: Vier Hähne lagen in dem schwarzen Plastikbottich. Alle tot. Betäubt mit einem Schlag auf den Kopf, dann enthauptet.

Mit meinen Händen, die eben noch den Säugling in den Schlaf gewiegt hatten, nahm ich eines der noch warmen Tiere zur Hand. Unroutiniert und ängstlich zupfte ich vorsichtig an einem Federchen. Die Haut lies die Daune nicht los, die Federkiele steckten viel zu fest. Erst das Eintunken des ganzen Tieres in das bereitstehende 60 Grad heiße Wasser löste das Gefieder. Und der Weißwein, den ich aus Ermangelung eines kühlen Bieres in großen Schlucken trank, löste meine Hemmungen.

Wir hätten diesen Samstagabend auch vor der Glotze verbringen und uns diese Arbeit sparen können. Im Supermarkt gibt es feinstes Biohühnchen zum guten Preis. Nun haben wir uns aber vor zwei Jahren für ein in vielen Teilen neues Leben entschieden. Wir wollten ein bisschen näher ans reale Dasein. Fühlen, was wirklich ist. Seitdem leben wir auf einem Bauernhof, haben einen großen Gemüsegarten, Schafe, Gänse, Katzen, Pferde und Hühner. Letztere laufen frei herum, legen viele Eier, von denen wir einige im Brutautomaten oder von den Hennen ausbrüten ließen. Nach einem Jahr wurden so aus neun Hennen und einem Hahn zehn Hähne und 16 Hennen. Zu viele Hähne für die Hühner, wenn Sie die Hühner fragen.

So kam es, dass ich an diesem Abend meinen ersten Hahn rupfte. Und dann ausnahm. (Verweichlichte Städterseelen können hier aussteigen.) Drei Mal trennte ich mit einem scharfen Messer zunächst die Füße vom Körper. Dann schnitt ich den Hals auf, zog an der glitschigen Luftröhre, säbelte mit einem scharfen Messer um die Kloake herum, entnahm Magen, Lunge, Leber und Galle und atmete den Geruch des sich entleerenden Hühnerdarms ein, der sich in meine Erinnerung einbrannte.

Lütti, der verhaltensauffällige Einzelhahn
 

Der Wein aus der Flasche, an der mittlerweile ein paar blutige Federn klebten, half dabei. Ziemlich schnell waren der Bauer und ich uns einig, dass Alkohol und Schlachten eine sinnvolle, wenn nicht gar notwenige Symbiose eingehen. Beim zweiten Hahn ging alles routinierter von der Hand. Es war der größte, der älteste. Ich erkannte eine schwarze Feder im weißen Gefieder. Und da kamen die Bilder aus dem Frühling.

Es war März, da piepste es zum ersten Mal im Brutautomat. Nach einem Tag schlüpfte Lütti, den wir zunächst Gaston tauften, nach seinem zu Lebzeiten sehr aggressiven Vater. Lütti aber war anders. Er war der einzige, der diese erste Brut überlebte. Und sein Leben lang – sechs Monate also – blieb er als Einzelhahn ein bisschen verhaltensauffällig. Nie nahm er auf der Stange neben den anderen Hühnern Platz, sondern saß immer auf der Pferdetränke in der Ecke. Die Natur erwachte, die Sonne schien wärmer, Lütti, norddeutsch gesprochen Lüddi, wurde größer. Einmal gesellte er sich zu mir auf die rote Decke mit den weißen Punkten, ließ sich streicheln und streckte irgendwann genüsslich die Beine von sich.

Damals passte er noch in zwei Hände. Aber er wuchs und aus der kleinen schwarzen Feder, die anfangs nur mühsam im hellen Flaum zu entdecken gewesen war, wurde eine lange gebogene Schwanzfeder. Lütti war nicht mehr lütt, er wurde zum großen stolzen Hahn, der wie all seine Kumpanen die Hennen, seine Schwestern, besprang. Dass dies aus verschiedenen Gründen nicht lange gut geht, ist altes Züchtergesetz.

Nun wird es kälter, der Sonnenschein bleibt aus, Lüttis Sommer ist vorbei. Und so liegt zum Herbstbeginn im Bottich zwischen vielen weißen Federn eine einzige lange schwarze.

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