Fashion Show
Fashion-Show in Paris / picture alliance/dpa/MAXPPP | Sylvie Lefort Photography

Individualismus oder Gleichmacherei - Lob der Ungleichheit

Als Lebens- und Gesellschaftsideal führt die Idee der Gleichheit zu absurden Schlussfolgerungen und Verhältnissen. In Wahrheit sind die Menschen genetisch, sozial und lebensgeschichtlich zutiefst unterschiedlich – und sie wollen es auch sein.

Autoreninfo

Dr. phil. Dominik Pietzcker studierte Philosophie, Geschichte und Germanistik. Von 1996 bis 2011 in leitender Funktion in der Kommunikationsbranche tätig, u.a. für die Europäische Kommission, diverse Bundesministerien und das Bundespräsidialamt. Seit 2012 Professur für Kommunikation an der Macromedia University of Applied Sciences, Hamburg. Er ist Visiting Scholar der Fudan University, Shanghai. Zahlreiche Veröffentlichungen, zuletzt „Was ist Schönheit? Eine kurze Geschichte der Ästhetik“ (Herder Verlag).

So erreichen Sie Dominik Pietzcker:

In einem genetischen, sozialen und lebensgeschichtlichen Sinne sind wir alle zutiefst ungleich. Nur die wenigsten finden es skandalös oder änderungsbedürftig, mit einer spezifischen Geschlechtszugehörigkeit auf die Welt gekommen zu sein. Genetische Determinismen lassen sich nur bedingt außer Kraft setzen. Dazu gehören neben dem Geschlecht die körperliche Konstitution, Krankheitsdispositionen, Sexualtrieb, Haarfarbe oder Körperbehaarung. Die kosmetische und die pharmazeutische Industrie können etliches bewirken, aber keine Wunder vollbringen. Jeder Einzelne muss nach ein paar Jahrzehnten damit klarkommen, was aus ihm oder ihr geworden ist.

Auch macht es einen enormen Unterschied, ob wir religiös erzogen wurden oder nicht. Dass Muslime und Christen in unterschiedlichen, nicht unbedingt miteinander harmonierenden Wertesystemen leben, ist mittlerweile ein Allgemeinplatz. Doch nicht alle übrigen Menschen fühlen sich deswegen vom Buddhismus angezogen. Viele würden ohnehin bestreiten, dass religiös motivierte Jenseitsvorstellungen – ewige Seligkeit oder Verdammnis – ihren Lebensalltag prägten. Dennoch ist es eine gute Idee, religiöse und weltanschauliche Differenzen friedlich bestehen zu lassen.

Cicero Plus

Ohne Abo Lesen

Mit tiun erhalten Sie uneingeschränkten Zugriff auf alle Cicero Plus Inhalte. Dabei zahlen Sie nur so lange Sie lesen – ganz ohne Abo.

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.

Rainer Mrochen | Mo., 6. Oktober 2025 - 09:00

Ich bin mal so frei: Selbstverständlich sind menschengeschaffene Systeme völlig anders zu bewerten als es uns die belebte Natur, schon in ihrer äusseren Gestalt und Organisation, zum Ausdruck bringt. Wäre die Entwicklung des Lebens auf diesem Planeten ein lineares System hätte es gar keine Entwicklung im Sinne von Evolution gegeben. Ein ewiges Wiederholen des ewig Gleichen führt dann zwangsläufig zum immer Gleichen. Im Darwinschen Sinne kann fortschreitende Entwicklung nur aus dem Unterschied, auch und gerade selektiv, geschehen und bestehen. Im übrigen ist die Menschwerdung ja geradezu das Ergebnis unterschiedlicher Ansätze. Soweit der postulierte, "menschliche Naturzustand", ohne die Existenz von Ungleichheit überhaupt noch gedacht werden kann, dann ohne unterschiedliche, genetische Ausprägung. Hochintelligenz und Idiotie bestehen halt nebeneinander. Ich jedenfalls würde nie ein X-Beliebiger, gleichgeschalteter Europäer, denn Weltbürger sein, resp. sein wollen. Ich bin ich.

Theodor Lanck | Mo., 6. Oktober 2025 - 09:12

Das ist mir zu einfach. Ja, die Menschen sind untereinander ungleich, da vielfältig gestaltet und ausgestattet. Aber das Ideal der Gleichheit ist, richtig verstanden, gleichzeitig grundlegender und auf abstrakterer Ebene. ALS MENSCHEN,

ALS BÜRGER und innerhalb einer Gruppe als Gruppenangehörige sind wir einander gleich, trotz der verschiedenartigen Ausprägungen.

Daraus folgt, dass abstrakte Regeln und Standards für alle Betroffenen gleich anzuwenden sind, und dass der Einzelne zur Zugehörigkeit befähigt werden muss, ob in der Bildung, auf dem Markt oder im politischen Forum. Das passiert nicht automatisch.

Ernst-Günther Konrad | Mo., 6. Oktober 2025 - 09:56

Eigentlich eine Binsenwahrheit. Eigentlich. Und wo auf der einen Seite uns allen die sog. Diversität staatlich verordnet werden soll, soll es diese aber nicht beim Denken geben. Soll es diese Diversität nicht beim politischen Beurteilen geben. Da soll es nur die eine Meinung geben. Und zwar die der Regierung. Aber jedes System, das versucht hat uns alle gleich zu machen und gleich schalten ist bislang gescheitert. Und das Problem ist, dass es immer wieder Menschen gibt, die aus den Fehlern unserer Altvorderen nicht lernen (wollen) und sie werden deshalb auch wieder scheitern. Freiheit, Gerechtigkeit, Gleichheit muss immer wieder neu gedacht und untereinander friedlich ausgehandelt werden. Da reichen oft Respekt und Anerkennung des anderen, aufmerksames zuhören und beobachten, hinterfragen und diskutieren aus, um den Weg des friedvollen Miteinanders zu finden.

Maria Arenz | Mo., 6. Oktober 2025 - 10:24

Das Bestreben, Bildungsgleichheit herzustellen, grassiert doch bereits seit den 70er Jahren und bestimmte all die Reformen und Konzepte, mit denen unsere Kinder seither "gefördert" werden: bis der Arzt kommt- zwecks Diagnose irgendwelcher gerade "in" seiender Störungen., die Startvorteile bei Leistungsmessungen rechtfertigen. Oder der Anwalt, weil das gute Kind doch nur eine "3" bekommen hat. Die Menschen sind nun einmal auch äußerst unterschiedlich in der Befähigung, Bildungschancen wahrzunehmen. Je nach genetischer Ausstattung, Lebensumständen der Mutter schon während der Schwangerschaft und Lebensverhältnissen während der frühen Kindheit. Was in den ersten 3 Jahren versäumt oder versemmelt wird, kann kein noch so großartiges Schulsystem mehr ganz ausgleichen. Die Bemühungen um Herstellung von Chancengleichheit haben denn auch folgerichtig zu einer weitgehenden Nivellierung nach unten geführt und nicht zur erhofften Hebung des Niveaus " benachteiligter" Kinder.

Markus Michaelis | Mo., 6. Oktober 2025 - 14:51

Unsere Gesellschaften haben das Ausbalancieren verlernt - bzw. besser formuliert haben sie verlernt überhaupt zu sehen, dass es etwas auszubalancieren gibt. Man reiht immer mehr Begriffe aneinander wie Gerechtigkeit, Demokratie, Solidarität, Menschenrechte, Rechtsstaat, Verfassung. Menschenwürde usw usf und tut so als sei das alles dasselbe und sich ergänzend. All diese Ideen stehen je nach Fragestellung aber auch im Gegensatz zueinander und dann muss man die Dinge ausbalancieren und jeder Mensch und jede Gesellschaft trifft da andere Entscheidungen. Ja, Freiheit und Gleichheit kollidieren, Rechtsstaat und Demokratie auch, Menschenwürde und Menschenrechte kollidieren, Demokratie und Menschenrechte auch. Usw. Aber darüber, wie wir das abwägen wollen, scheint es keinen Redebedarf zu geben !?

Mal abgesehen davon, dass niemand das Hirn hat, das alles parallel im Kopf abzuwägen und man deshalb historisch gewachsene Zugehörigkeiten und Denkmuster hat.