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Landleben - Zwischen Dorfspieß und Moderne

Kolumne: Stadt, Land, Flucht. Zerrissen zwischen Individualisierungsdrang und einem urzeitlichen Wunsch nach Zugehörigkeit, fristet unsere Kolumnistin ihr schizophrenes Dasein auf dem Lande. Und geht dann doch für die anderen Eltern aufräumen

Autoreninfo

Marie Amrhein ist freie Journalistin und lebt mit Töchtern und Mann in der Lüneburger Heide.

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Schon wieder ein Umzug, ein sozialer sozusagen. Nach der tatsächlichen Auswanderung aus Berlin ins ländliche Niedersachsen vor zwei Jahren, habe ich nun lediglich das Dorf gewechselt. Fast aber fühlt es sich so an, als stünde mein Leben schon wieder auf Null. Mit der neuen Kita für die Kleinen und dem Schulbeginn der Großen fegt ein Schwarm neuer sozialer Kontakte über mich hinweg. Noch einmal das gegenseitige Mustern und erstes Abschätzen auf Elternabenden und an Bushaltestellen, all die Worte, die auf Goldwaagen liegen, dort erste Eindrücke schaffen, die Identitäten zementieren, Schubladen auf und zu schmeißen. Wieder die Frage, wer ich bin und wo ich stehe hier im Dorf? Und langsam beginne ich zu akzeptieren, dass ich dieses Spiel mitspiele, mitspielen muss.

Die Küchen hier sind aufgeräumt, Böden und Fenster sauber, viele Kinder essen zu Hause Mittag, Mama kocht und ist Brötchenschmiermama oder Vorlesemama in der Schule. Papas arbeiten. Den ganzen Tag. Das ist nicht überall so, natürlich. Aber bei den meisten. Und das ist ganz anders als in meinem alten Stadtleben der verwurschtelten Altbauküchen, wo Kinder Vollzeit betreut wurden und Zwistigkeiten um die Arbeitsteilung in fortschrittlichen Partnerschaften vorherrschten.

Bei mir entwickelt sich manchmal so ein Gegenangriffsgefühl. Mit Trotz präsentiere ich meine zum Bersten gefüllten Ikeataschen, aus denen frisch gewaschene Kleidung hervorquillt und darauf wartet, sortiert zu werden. Ich mache meine Not zur Tugend und stehe mit geradem Rücken neben den Schlammresten im Flur, die ich seit Tagen nicht fortgewischt habe. Aber dann überkommt mich auch mal der Moment, in dem ich fieberhaft versuche, Ordnung in einen Raum zu bringen, wenn neue Menschen in mein Haus kommen.

Vom Instinkt der Anpassung
 

Morgen zum Beispiel ist Kindergeburtstag. Neue Kinder bedeuten neue Eltern. Alle in meinem Haus. Wenn ich um mich schaue, dann liegen da Duplosteine, gebrauchte Windeln, Haferflocken. Und mir wird ganz heiß.

Ich habe eine weitere Bekanntschaft gemacht. Eine beeindruckende Frau, die ich an einem Sonntagmittag in der Badewanne vorfinde, während ihre Kinder zwischen schmutzigen Socken, Puzzleteilen und klebrigen Apfelschorleflecken spielen. Die gelassen an ihrem Weißwein nippt, wenn der Jüngste Schokolade mit den Fingern isst, die eben noch eine Nacktschnecke zermatscht haben.

Nach jedem Besuch habe ich vor, ein bisschen von ihrer Gelassenheit mit nach Hause zu nehmen. Und an Rolf Zuckowsky zu glauben, der mir in den 80er Jahren eingebläut hat, dass es voll okay ist, anders zu sein. Aber warum nur fällt es mir mit Mitte 30 noch immer schwer, das zu akzeptieren? Warum zerreißt den Menschen der Drang nach Einzigartigkeit, während er in Literatur-Bestsellerlisten, Twittertrends und Spotify-Rankings danach sucht, was gerade alle suchen?

Es ist doch so: Wer in Urzeiten nicht mit seinen Höhlenmitbewohnern kooperierte, der verlor. Wer sich nicht anpasst – der stirbt. Das sitzt so tief, dass jeder postmoderne Individualisierungsdrang dagegen abstinkt. Ich gehe jetzt aufräumen.

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