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Helden im Sport - „Lance Armstrong ist ein klassischer Fall”

Im Gespräch mit Cicero Online erklärt der Sportsoziologe Moritz Böttcher, warum Lance Armstrongs Karriere trotz Dopingverurteilung eine typische Heldengeschichte ist, was überhaupt ein „Held” ist und warum wir Menschen wie Armstrong brauchen

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Julian Graeber hat Sportwissenschaft und Italienisch in Berlin und Perugia studiert.

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Herr Böttcher, Lance Armstrong soll in einem Interview, das am Donnerstag im amerikanischen Fernsehen ausgestrahlt wird, systematisches Doping gestanden haben. Damit ist die Karriere, die lange wie ein Märchen verlief, nun an ihrem Tiefpunkt angelangt. Inwieweit ist der Fall Armstrong eine klassische Heldengeschichte?
Lance Armstrong ist ein typischer Fall und fast eine klassische Hollywoodstory. Der krebskranke Athlet, der dem Tod haarscharf entgeht und sich dann an die Spitze seiner Disziplin hocharbeitet. Er wird zum Dominator und holt sieben Tour de France-Titel in Folge. Das ist einzigartig in diesem Sport gewesen.

Moritz Böttcher (Goethe-Universität Frankfurt am Main)Ist auch der tiefe Fall von Armstrong typisch dafür, wie in unserer Gesellschaft Menschen heroisiert und später fallen gelassen werden?
Ob wir in der deutschen Gesellschaft Menschen vergleichsweise schnell heroisieren und wieder fallen lassen, prüfe ich in meiner Dissertation. Der Fall des Helden ist auf jeden Fall eine klassische Station der Heldenreise. Nach der Initiation, bei der sich der Sportler den Status des Helden durch eine besondere Leistung verdient, kommt früher oder später der Bruch in der Karriere. Im Falle eines Sportlers durch ausbleibenden Erfolg oder einen Normverstoß. Bei Lance Armstrong sind wir gerade an dem Punkt angelangt, an dem er als Dopingsünder ganz unten angekommen ist. Das heißt aber nicht, dass dies das Ende des Liedes ist.

Der Sportsoziologe Prof. Dr. Karl-Heinrich Bette von der TU Darmstadt spricht in diesem Zusammenhang von „Läuterung und Wiederauferstehung vormaliger Sporthelden“. Steht Armstrong gerade an der Schwelle zu diesem Stadium der Heldenvita?
Es hat den Anschein. Er scheint nun an dem Punkt zu sein, wo er sein Vergehen zugibt und sich entschuldigt. Das ist die Grundvoraussetzung dafür, dass er überhaupt eine zweite Chance erhält. Das kann, muss aber nicht der Startschuss für seine Wiederauferstehung als Held sein.

Welche Eigenschaften muss einHeldim Sport mitbringen?
Es gibt hier keine allgemeingültige Definition. Wie Bette schon sagt, kommt es sehr auf die Rezeption durch das Publikum an. Mit anderen Worten: Wen das Publikum für einen Helden hält, der ist ein Held. Prinzipiell geht es um außeralltägliche Leistungen, die stattfinden müssen. Es reicht nicht, einfach nur gut in seiner Sportart zu sein, man muss besonders gut sein. Ferner gibt es natürlich Eigenschaften, die über diese Leistungsstärke hinausgehen. Beim Helden im Allgemeinen ist dies zum Beispiel die Bereitschaft, anderen Menschen unter Einsatz des eigenen Lebens zu helfen.

Warum bietet der Sport so ein gutes Umfeld für die Heldenkonstruktion?
Bette begründet das systemtheoretisch und erklärt, warum der Sport bestimmte Kriterien erfüllt, die für die Heldwerdung grundsätzlich notwendig sind. Die Beobachtbarkeit des Geschehens ist hier ganz wichtig. Im Sport findet ein Großteil der Leistung im öffentlichen Raum statt, wo Medien und Zuschauer vorhanden sind. Außerdem ist der serielle Charakter von Sportereignissen ein entscheidender Faktor. Es sind also immer wieder sportliche Wettkämpfe angesetzt, die einen Sieger und einen Verlierer produzieren müssen. Auch dieser leicht verständliche Sieg-Niederlage-Code ist letztlich konstitutiv für die Heldenfähigkeit des Sportsystems.

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Welche Rolle spielen die Medien dabei?
Die Medien sind diejenigen, die das geschehen beobachten, deuten und diese Deutung einer breiten Öffentlichkeit präsentieren. Wenn die Medien den Heldenbegriff explizit verwenden – und das tun sie ständig – ist es klar, dass diese Realitätsdeutung vom einen oder anderen Rezipienten übernommen wird.

Warum sucht die Öffentlichkeit trotz zahlreicher Skandale überhaupt noch Helden?
Helden emotionalisieren. Sie sind Vorbilder und leisten das, was man selber vielleicht gerne leisten würde, aber nicht kann. Es sind diese Geschichten, die seit Jahrtausenden einen ähnlichen Verlauf nehmen und unsere Wahrnehmung prägen. Das sind Geschichten, die positive wie negative Emotionen auslösen und uns faszinieren. Deshalb suchen wir uns immer wieder neue Helden.

Ist eine solche Art der Heldwerdung nur im Sport möglich oder gibt es auch andere Bereiche der Gesellschaft, wo es ähnliche Heldengeschichten gibt?
Es gibt grundsätzlich jede Menge gesellschaftliche Teilsysteme, die heldenfähig sind. Bette beschreibt das Sportsystem als das geeignetste, ich sehe das etwas anders. Wenn man an das politische System denkt, fallen Persönlichkeiten wie Nelson Mandela, Gandhi oder Martin Luther King auf, die sich an die Spitze bestimmter Freiheitsbewegungen gesetzt haben. Sie haben ihre körperliche Unversehrtheit für Ideale wie Freiheit und Gleichberechtigung aufs Spiel gesetzt und teilweise mit dem Leben bezahlt. Neben solchen Persönlichkeiten verblasst das Heldenpotenzial von Sportlern. Eigens durchgeführte Erhebungen weisen darauf hin, dass Personen aus dem politischen System noch weit vor Sportlern und vor allem nachhaltig als Helden angesehen werden.

Herr Böttcher, vielen Dank für das Gespräch.

Moritz Böttcher ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachbereich Sozialwissenschaften des Sports an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main und promoviert zum ThemaMediale Heldenkonstruktion und -dekonstruktion im Sport.

Das Interview führte Julian Graeber.

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