knigge-coronakrise-neue-hoeflichkeit
Andere Regeln, gleiche Höflichkeit / dpa

Knigge in der Coronakrise - Die neue Höflichkeit

Die Corona-Krise hat auch etwas Gutes: Plötzlich gelten wieder grundsätzliche Höflichkeitsformen, die in Vergessenheit geraten schienen. Kommt und bleibt jetzt die Corona-Etikette?

Autoreninfo

Rixa Rieß hat Germanistik und VWL an der Universität Mannheim studiert und hospitiert derzeit in der Redaktion von CICERO.

 

So erreichen Sie Rixa Rieß:

Wer diese Tage im öffentlichen Raum unterwegs ist, merkt: Das Miteinander hat sich gewandelt, aus Angst vor dem Virus. Es gibt weniger Gedränge, vielleicht auch weniger Ungeduld. Man weicht sich auf den Gehsteigen aus und wartet geduldig, bis andere durch die Tür und an einem vorbeigegangen sind.

Zur Begrüßung entfällt das Händeschütteln, die Umarmung, das Küsschen rechts und links. Was bleibt ist ein betretenes Handheben, der Ruf aus der Ferne oder – wie oft gesehen – der Ellenbogen-Gruß.

Der Knigge der Krise

Was hätte der Stilpapst Freiherr Knigge wohl dazu gesagt? Der Schriftsteller aus dem 18. Jahrhundert schrieb den „Knigge“ zwar nicht, legte aber mit seinem Buch „Im Umgang mit den Menschen“ den Grundstein für das Regelwerk des Benehmens.

Die stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Knigge Gesellschaft, Linda Kaiser, sieht mit Freuden, dass sich die Deutschen in diesen Zeiten höflicher als sonst verhalten: „Die ganze Corona-Verhaltensweise führt uns auf die Höflichkeitsformen zurück, die grundsätzlich gelten sollten: Nämlich, dass wir einander Raum gewähren, dass wir dem anderen Platz zur Entfaltung, zum Leben, zum Agieren geben. Abstandhalten und Distanzzonen einzuhalten, ist gesellschaftlich immer gewünscht, wird aber oft ignoriert.“ Die Etikette, die nicht jeder als selbstverständlich empfindet, bekommt in der Not einen neuen Stellenwert. Vorsicht ist die neue Umsicht.

Gesundheit vor Höflichkeit

Die Höflichkeit ordnet sich selbstverständlich der Gesundheit unter. Wer in Corona-Zeiten die „ausgestreckte Hand zum Gruß“ ausschlägt, so Kaiser, und freundlich auf den Gesundheitsaspekt hinweise, macht sich laut der Höflichkeitsverordnung nicht strafbar. Trotzdem muss man sich an die neuen Regeln gewöhnen. In den vergangenen Wochen mussten sich die Menschen neue Verhaltensmuster antrainieren.

Dazu zählt auch die Abschiedsfloskel „Bleiben Sie gesund“, eine paradoxe Situation für die Höflichkeit. Denn laut dem Knigge ist es eigentlich unangebracht, als Antwort auf ein Niesen „Gesundheit“ zu wünschen. In normalen, pandemiefreien Zeiten leuchtet das ein. Denn die Floskel gehe auf die Zeiten der Pest zurück, erläutert Linda Kaiser im Gespräch. Das Niesen, was man als Zeichen für die Erkrankung wertete, wurde mit einem „Stoßgebet der Gesundheit“ – wohl mehr für sich selbst als den Gegenüber – erwidert.

Der Körper und die Etikette

„Grundsätzlich thematisiert man alles Körperliche nicht“, erklärt die Knigge-Expertin. So ist es auch im Small Talk über das Coronavirus: die unangenehmen Themen, wie Beobachtungen von der Intensivstation, sollte man besser ausklammern. Aber Höflichkeit ist und bleibt situationsbezogen. „Es geht um ein Gesundheitsthema, das ist allen mehr als präsent, und deswegen ist es mehr als in Ordnung „Bleiben Sie gesund“ und Wohlergehen zu wünschen“, erklärt Kaiser.

Die Pandemie drängt sich in den Alltag und seine Gespräche. Die Höflichkeitsgebote passen sich an die Zeit an. Schleichend und von ganz allein ersetzt der Gesundheitswunsch jetzt also den Abschiedsgruß – ein Zeichen für das zwischenmenschliche Selbstverständnis in der unbekannten Situation?

Die Maske als kommunikative Herausforderung

Als wäre das nicht alles schon genug, erschwert die Maskenpflicht seit dieser Woche die Situation weiter. Die Maske vor Nase und Mund stellt den Menschen vor eine kommunikative Herausforderung. Die Mimik fällt weitestgehend weg und auch wenn die „Augen der Spiegel zur Seele sind“: das Lächeln unter dem Mundschutz sieht man nicht.

Prof. Dr. Eva Bänninger-Huber war viele Jahre Professorin für klinische Psychologie an der Universität Innsbruck und hat die menschliche Mimik erforscht. Sie sieht in der Maske eine Hürde für die Zwischenmenschlichkeit: „Positiven Signale, die Sympathie und Höflichkeit ausdrücken, entfallen. Das ist natürlich eine Einschränkung. Gerade wenn die Situation – wie jetzt – etwas angespannt ist; da kann ein freundliches Lächeln viel nutzen und eine positive zwischenmenschliche Atmosphäre bewirken.“

Soziale Kontrolle oder Höflichkeit?

Das die zwischenmenschliche Atmosphäre leidet, kann jeder zu spüren, der sich nicht an die Abstandsregelungen hält oder in der Kasse im Supermarkt vorbeidrängelt. Die Maske schützt nicht vor verständnislosem Kopfschütteln, einem empörten Raunen oder eisigen Blicken. Die Krise hat neue Regeln, die laut der Deutschen Knigge Gesellschaft die Grundsätze der Höflichkeit wiederbeleben; Verstöße gegen sie ahndet das soziale Umfeld härter – von einem Bußgeld mal ganz abgesehen.

Langfristig könnten die offiziellen und inoffiziellen Verhaltensauflagen positive Auswirkungen haben. Linda Kaiser hofft, dass die kleinen Dinge des höflichen Umgangs erhalten bleiben. Sei es nun das Abstandhalten oder der wertschätzende und respektvolle Umgang miteinander. In diesen Zeiten könne man sich bewusst machen, „was man mit Aufmerksamkeit gegenüber dem anderen alles bewirken kann“. Was uns in der Krise vielleicht als Umstellung oder übertriebene Vorsicht erscheint, könnte auf lange Sicht demnach den menschlichen Umgang verbessern. Vorausgesetzt, man rufe sich die Umgangsformen auch nach der Krise ins Gedächtnis, denn, so stellt Kaiser fest, solche Dinge sind oftmals schnell vergessen.

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.

Dorothee Sehrt-Irrek | Sa., 2. Mai 2020 - 15:25

aber ich bin gerne höflich und aufrichtig und lese deshalb gerne den Cicero.
Sie passen wunderbar zum Cicero, Frau Rieß, weil sie den Dingen ihr "an sich" lassen.
Ich sage gerne "leben und leben lassen" dazu.
Freundlichst

Romuald Veselic | Sa., 2. Mai 2020 - 15:35

Ist's noch menschlich?
Z >Sie (ProfDr Eva B-H)sieht in der Maske eine Hürde für die Zwischenmenschlichkeit: "Positiven Signale, die Sympathie und Höflichkeit ausdrücken, entfallen. Das ist natürlich eine Einschränkung". Diesmal ist die "Einschränkung", nur ein anderes Wort für Sch...

Was mir als zivilisatorischer Aspekt in der humanen Geschichte auffiel, dass keiner der großen Künstler (Maler/Bildhauer) Frauen in Tschador/Burka/Hijab/Mundschutzmaske je abgebildet hatte.
Was würde Francisco Goyas Maja dazu sagen?