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(picture alliance) KD Wolff auf der internationalen Vietnamkonferenz in Berlin (1968)

KD Wolff - Klassische Kantinenkost

Seine Verlegerkarriere begann KD Wolff mit Gesinnungsbüchern für die 68er-Generation. Heute setzt er mit Editionen von Klassikern neue Maßstäbe. Zu Besuch in seiner Bibliothek.

Es fängt da an, wo die besten Geschichten immer anfangen, nämlich in der Küche. Die Küche heißt hier „Kantine“, sie ist der Bauch des Hauses und liegt gleich im Erdgeschoss. Auf einem Holztisch stapeln sich Zeitungen, Brötchentüten, Aufschnitt. Ein Hauch von Wohngemeinschaft liegt in der Luft. In der Kantine materialisieren sich Bestandteile der Utopien, die für KD Wolff und seinen Verlag Stroemfeld/Roter Stern prägend waren. „Wir haben hier fünf Kinder großgezogen“, erklärt der Gastgeber und stellt uns seinen Kompagnon und Wohngenossen Michel Leiner vor, der vom Film kommt und gelernter Schriftsetzer ist. „Dies ist übrigens auch die einzige Küche im ganzen Haus. Dadurch gewannen wir in den Wohnungen Platz.“ Der Name Roter Stern lässt die Herkunft aus der Studentenrevolte ahnen. Arbeiten und Leben, privat und öffentlich waren ein und dasselbe.

Den mehrstöckigen Gründerzeitbau in der Frankfurter Holzhausenstraße kaufte der Verleger schon Anfang der siebziger Jahre. Dass er von allen KD genannt wird, hängt vermutlich mit dem gewichtigen Klang von „Karl Dietrich“ zusammen. „Königsnamen“, meint er. „Karl hieß mein Onkel, der 1917 bei Verdun gefallen ist, das finde ich nicht so toll. Dietrich war der Name des Jugendfreunds meiner Mutter. Ich glaube nicht, dass mein Vater das wusste.“ Ein bisschen erinnert die Abkürzung auch an die KPD, was eine Zeit lang vielleicht im Trend lag.

Jetzt zeigt uns KD die Verlagsräume in der ersten Etage, wo Teile der Bibliothek stehen. „Hier habe ich deutschsprachige Schriftsteller, Russen, ein paar Sachbücher, Lexika und unsere gesamte Produktion.“ Die Regale sind prall gefüllt, ein alter Fernseher – es gibt nur diesen einen – drückt sich eher verschämt an die Wand, auf den Schreibtischen lagern weitere Bücher, Zeitschriften und Papiere. Der grüne Rücken von Annemarie Selinkos Historienschinken „Désirée“ sticht ins Auge. „Die FAZ druckte das in der Nachkriegszeit als Fortsetzungsroman. Unvorstellbar. Mein Vater, der Amtsrichter war, hat uns abends immer die neue Folge vorgelesen.“

Aufgewachsen ist KD, Jahrgang 1943, in Battenberg an der Eder. Seine Eltern stammten beide aus evangelischen Pfarrhäusern, Musik wurde sehr gepflegt, und in der Bibliothek fanden sich die Vertreter der inneren Emigration. „Ina Seidel, Karl Heinrich Waggerl, gräuliches Zeug. ‚Der Herr Kortüm‘ von Kurt Kluge, dem Vater von Alexander, war das Lieblingsbuch meines Vaters. Man hätte den Bücherschrank meiner Eltern in Kunstharz gießen und ins Museum stellen sollen. Ihr Bildungsbürgertum war in gewisser Weise typisch: nur Fassade, nichts Tieferes.“ KD blinzelt hinter seiner Brille, seine weißen Haare stehen ihm vorwitzig zu Berge, und man kann sich gut vorstellen, wie er als Vorsitzender des Sozialistischen Deutschen Studentenbunds 1967/68 Grundsatzreden hielt.

Sein erstes eigenes Buch hatte die Mutter für ihn gebastelt. „Es gab ja nichts so kurz nach dem Krieg. Sie hat die Motive aus Ansichtskarten ausgeschnitten. Ich habe dieses Buch in bester Erinnerung. Damit lernte ich lesen.“ Unter den fünf Kindern der Familie kümmerte sich die einzige Schwester besonders um KD und las dem Sechsjährigen Felix Dahns „Ein Kampf um Rom“ vor. Dass ihn die Schicksale der grausam sterbenden Könige verfolgten, fand er erst bei einer Psychoanalyse 40 Jahre später heraus, berichtet er verschmitzt.

Seine literarische Initiation begann mit einem Band von Kafka, den KD Wolff in einer Biedenkopfer Buchhandlung kaufte und seinem Bruder zu Weihnachten schenkte. „Ich fand den Titel so toll, ‚Die Verwandlung‘, hatte aber sonst keine Ahnung. Ich wusste nur, Kafka war berühmt. Und als ich unterm Weihnachtsbaum beobachtete, wie meiner Mutter die Gesichtszüge entglitten, wurde mir klar, dass ich etwas richtig gemacht hatte.“ Der Dreizehnjährige verschlang alles von Kafka, anschließend waren die Russen dran. Als er sich zum Geburtstag wieder einen Dostojewski-Band wünschte, fragte die Mutter: „Muss es denn immer so etwas Zersetzendes sein?“

Vielleicht waren es Restbestände des totalitären Denkens wie diese, die den Gymnasiasten so empfänglich für das Neue und Andere machten. Das drang in die hessische Provinz unter anderem in Form von Bücherbussen des Amerikahauses vor. Mit 17 ging KD als Austauschschüler in die USA und hielt auch später, sehr zum Ärger seiner Genossen, an seiner Sympathie für die Vereinigten Staaten fest. Anschließend schrieb er sich für Jura in Marburg ein und wechselte dann nach Freiburg. Bei einer Aktion des SDS gegen die Notstandsgesetze suchte er honorige Professoren auf, die sich zur Unterzeichnung einer Protestnote bereit erklärt hatten, sprach zuerst bei Martin Heidegger vor und dann bei Fritz Pringsheim, Experte für Römisches Recht und Thomas Manns Schwager. Bei beiden bekam er Erdbeerkuchen vorgesetzt. Aber als Heidegger bemerkte, dass der unbefangene Student nicht recht wusste, wen er vor sich hatte, wurde er schnell wieder hinauskomplimentiert. Das Ehepaar Pringsheim nahm sich Zeit und erklärte dem jungen Mann, wer sie waren und wie man sie in Deutschland behandelt hatte. Auf diese Widersprüche schien die Studentenbewegung eine Antwort zu sein. Sein politisches Engagement brachte ihm schließlich 38 Strafverfahren ein. Sein Staatsexamen ließ er sausen, als ihm klar wurde, dass er ohnehin niemals sein Referendariat hätte antreten können.

KD erzählt mit humorvoller Distanz von den politisch aufgeladenen Jahren. Seine Leidenschaft für Hölderlin, Kafka und Faulkner passte gar nicht in die Zeit, kam ihm aber bald zugute. Zusammen mit Victor-Klemperer-Herausgeber Jörg Schröder gründete er den März-Verlag. Nach Turbulenzen, bei denen Abhöranlagen und basisdemokratisches Chaos eine Rolle spielten, entschied er sich 1970, mit Michel Leiner den Verlag Roter Stern aufzuziehen. Hausdurchsuchungen gehörten zum Alltag, weshalb 1979 der Schweizer Ableger Stroemfeld gegründet wurde, inspiriert von der Hölderlin-Zeile „Tende Strömfeld Simonetta“. Die Rechte des gesamten Hauses lagen nun dort, was sich als kluger Schachzug erwies, als der Rote Stern 1993 pleiteging. In der Anfangsphase wurden die alten Freunde aus der Studentenbewegung verlegt, die oft über Wochen in der Holzhausenstraße kampierten. An den Wänden sind die frühen Pioniertaten aufgereiht: Klaus Theweleits „Männerphantasien“, Michael Rohrwassers „Saubere Mädels, starke Genossen“, eine Untersuchung der kommunistischen Eine-Mark-Romane der Weimarer Republik, die Studien des Religionswissenschaftlers Klaus Heinrich, Romane von Peter Kurzeck. Eine kleine Werkausgabe der Schriften von Kim Il Sung gehört zu den Sündenfällen. Zu den erfolgreichsten Verlagsprojekten zählte die Zeitschrift Erziehung und Klassenkampf mit über zehntausend Abonnenten, lauter Lehrer und Sozialarbeiter – bis sich die Verleger mit den Redakteuren zerstritten. Radikalisierungen setzten ein. „Viele unserer früheren Freunde wollten uns zu Flugzeugentführern machen, furchtbar“, erinnert sich KD. Die Rettung war Hölderlin. Durch einen Zettel am Schwarzen Brett in der Gesamthochschule Kassel stieß der Jungverleger auf den Werbegrafiker und Hölderlin-Exegeten D.E.Sattler, mit dem er schließlich eine historisch-kritische Ausgabe in 20 Bänden aus der Taufe hob. 1975 nahm das Projekt seinen Anfang, zog sich über 30 Jahre lang hin und setzte neue Maßstäbe für Editionen. Es folgten Ausgaben von Kleist, Gottfried Keller, Trakl und – noch in Arbeit – Kafka. Der linke Furor des Anfangs äußerte sich jetzt in verlegerischem Wagemut. Klassikerausgaben waren das neue Standbein.

Die großformatigen Bände nehmen ganze Regalbretter ein. Nach den Faksimiles der Hölderlin-Handschriften betrachten wir noch einmal die Wände. An der Stirnseite des Zimmers finden sich Mandelstam, Pasternak, Puschkin, Bruno Schulz und Paul Celan. Eine zerlesene Robert-Walser-Ausgabe steht daneben und die Bücher von Walter Kappacher. Ihn habe er erst kürzlich entdeckt, erklärt KD, der sich schlaflose Nachtstunden mit Lektüre vertreibt. Den gesamten Lobo Antunes habe er auch schon durch, überhaupt sei ihm die südeuropäische Welt nahe gerückt durch seine junge spanische Ehefrau. Bücher sind für KD bis heute Gebrauchs­gegenstände, die man benutzt wie andere Dinge auch. Als er in die Holzhausenstraße zog, warfen er und Michel Leiner ihre Bibliotheken zusammen – die Literatur gehörte dem Kollektiv. Und das ist auch heute noch so. Unser letzter Weg führt wieder zurück in die „Kantine“. Denn auf wundersame Weise scheint sie den Grundstock zu legen für all die Türme gelesener und gelebter Bücher weiter oben im Haus.

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