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Karfreitag - Das Kreuz mit dem Kreuz

Kolumne: Grauzone. Am Karfreitag gedenken Christen der Hinrichtung Jesu Christi. Passt der Opfertod aber überhaupt noch in die heutige Zeit? Wie kann er sonst interpretiert werden? Die Kirche ringt um Modernität

Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Es ist das Symbol des Christentums: das Kreuz. Auf Kirchturmspitzen und Friedhöfen, an Altären und Zimmerwänden, als Kettenanhänger oder Tattoo –  wahrscheinlich ist kein Symbol der Menschheit verbreiteter.

Doch das Kreuz ist mehr als die Brand Mark des Christentums. Es ist auch eine theologische Botschaft. Und die ist es äußerst sperrig. Einerseits kündet das Kreuz von Erlösung und Versöhnung. Doch andererseits ist und bleibt es ein Folter- und Hinrichtungsinstrument. Dass im Christentum beide Aspekte – qualvolle Hinrichtung und Erlösung –  zusammengedacht werden, macht für den modernen Menschen den eigentlichen Skandal der Kreuzesbotschaft aus.

Dementsprechend schwer tun sich moderne Theologen und Pfarrer mit einer zeitgemäßen Deutung des Karfreitags und des Kreuztodes. Denn irgendwie widerspricht hier alles dem modernen Menschenbild, moderner Moral und moderner Religionsauffassung: Dieses blutige Spektakel soll der liebe Gott gewollt haben? Als Bedingung, um uns Menschen mit Ihm zu versöhnen? Ein Opfertod als Vorleistung für Gnade und Erlösung?

Kein Wunder also, dass viele moderne Geistliche dazu neigen, der Passion eine tiefere theologische Bedeutung abzusprechen. Für ziemliche Aufregung sorgte etwa vor neun Jahren der Hamburger Probst Horst Gorski. Der hatte in seiner Karfreitagspredigt festgestellt: „Der Tod Jesu war nicht notwendig, damit Gott sich mit uns versöhnt und uns vergibt.“

Das gab natürlich Gegenwind. Wird hier nicht, fragten sich konservative Protestanten, der Kern des Christentums in Frage gestellt? Geben nicht Kreuz, Passion und Karfreitagsgeschehen die theologische Grundmelodie des Christentums vor? Darf man den Kreuztod Jesu aus Gründen des Geschmacks des Zeitgeistes einfach wegreden?

Hier sind naturgemäß die Theologen gefragt. Doch auf die beachtlichen wissenschaftlichen Ressourcen, über die man verfügt, greift die EKD nur selten zurück – setzt man dort thematisch doch lieber auf politische Fragen und nicht auf religiöse.

EKD versucht sich an Antworten


Doch manchmal geschehen sie eben doch: die Zeichen und Wunder. Und so geschah es, dass Ende letzter Woche der Rat der EKD einen „Grundlagentext“ vorlegte: „Für uns gestorben. Die Bedeutung von Leiden und Sterben Jesu Christi“, als Download im Internet oder seit Donnerstag im Buchhandel.

Zunächst: Dieser Text präsentiert keine dogmatische Lehre, im Gegenteil. Er ist das Zeugnis einer im allerbesten Sinne liberalen Theologie, die zunächst einmal das historische Wissen vermittelt, um dann mögliche Deutungen vorzuschlagen. Denn Glaube ist letztlich eine persönliche Sache.

Aus diesem Grund steht der Text der EKD-Kammer den zwei möglichen Extrempositionen distanziert gegenüber. Weder sei der Kreuztod Jesu ausschließlich als Sühneopfer für die Schuld der Menschen zu verstehen. Dies sei lediglich „einer von mehreren Deutungsversuchen des Todes Jesu“. Noch sei das Karfreitaggeschehen theologisch bedeutungslos. Eine solch geglättete Lesart übersehe den eigentlichen Punkt, das Nachdenken über menschliche Fehlerhaftigkeit, die Reflexion menschlicher Schuld: „Die Sensibilität für die Überwindung der Schuld wird durch das Kreuz überhaupt erst geweckt.“

Vor allem hält der Grundlagentext sowohl den konservativen als auch den progressiven Vertretern entgegen, den Tod Jesu als Aspekt alttestamentlicher Opferpraxis misszuverstehen. Vielmehr stelle der Kreuztod eine Absage und Überwindung antiker Opferkulte dar. Gott fordere nicht das Blut anderer, sondern opfere sich selbst – ein religionshistorischer Paradigmenwechsel.

Allmacht und Ohnmacht


Tatsächlich markiert das Karfreitagsgeschehen eine Umwertung aller bis dahin gültigen religiösen Vorstellungen. Gottes Souveränität zeigt sich nicht in seiner Allmacht, sondern in seiner Ohmacht. Und: Der Mensch kann nichts zu seiner Erlösung beitragen, weder durch Opfer noch durch gute Taten – und durch Märtyrertum schon mal gar nicht. Der Mensch, das ist die harte Botschaft des Karfreitags, der Mensch kann sich nicht selbst erlösen.

Das ist in Zeiten der zur Massenkultur gewordenen Selbsterlösung natürlich eine eher unpopuläre Botschaft. Denn es gehört zu den Zwangsvorstellungen der Moderne, der Mensch könne sich selbst das Heil bringen – sei es durch die Gesellschaft oder durch individuelle Emanzipation.

Doch die Versuche des Menschen, sich mittels gesellschaftlicher Ordnungen zu erlösen, führten direkt in den Gulag und nach Auschwitz. Und die individuelle Selbsterlösung in den alltäglichen Irrsinn der Selbstoptimierung mittels Personal Trainer, Coach und Psychotherapeut.

Ja, der Karfreitag ist radikal unzeitgemäß – und deshalb der wichtigste aller christlichen Feiertage. Er erinnert uns daran, dass wir immer schuldig werden und diese Schuld aus eigenem Tun nicht mehr loswerden. Und er macht uns mittels eines drastischen Bildes klar, dass unser Seelenheil, prosaischer gesprochen: unser Glück, nicht von uns abhängt, unseren Lebens- und Karriereplanungen.

So gesehen wohnt dem Kreuz die allerwichtigste Botschaft inne: zur Freiheit befreit zu sein.

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