
- Aufruf zur Entpörung
Bei Berichten über Klima-Aktivisten zeigt sich: Wenn Journalisten heute für etwas brennen, dann dafür, ihren Lesern ihre eigene Weltanschauung zu vermitteln. Über die Haltung wird dann oft die kritische Distanz vergessen. Immerhin hat einer gerade vorbildhaft gezeigt, wie sich beides vereinbaren lässt
Die Schwedin Greta Thunberg ist das internationale Gesicht der Bewegung „FridaysForFuture“, für die Schüler immer freitags die Schule schwänzen, um auf den Klimawandel aufmerksam zu machen. Das deutsche Gesicht ist die Studentin Luisa Neubauer. Sie war zuletzt sehr präsent in den Medien – genauso wie die Schülerstreiks.
Selbstverständlich ist es da, dass größere Medien anfangen zu fragen, wer die junge Frau ist. Zeit Online schickte eine junge Hospitantin zu Luisa Neubauer, um mal was über sie zu schreiben. Keine große Sache, könnte man nun meinen. Interessant wird es aber, wenn man sich das Profil der jungen Hospitantin, Leonie Sontheimer, ansieht.
Umweltaktivistin schreibt über Umweltaktivistin
Sontheimer engagiere sich unter anderem bei Greenpeace für den Umweltschutz, steht da. Und da darf man zu dem Schluss kommen, dass hier eine Umweltaktivistin über eine Umweltaktivistin schreibt. Da kommt dann – nicht verwunderlich – ein völlig distanzloses, Verliebtheit atmendes Stück selbstreferenzieller Vergewisserung heraus. Es suggeriert, dass das, was die Luisa Neubauer tut, ja quasi im Namen von uns allen sei und ohnehin längst an der Zeit. Eine Kostprobe aus diesem Stück „Die Strategin“ mag dies andeuten: „Ihr Blick ist fest, sie hebt die Augenbrauen, zwischendrin lächelt sie einnehmend. Wenn sie über die Klimakrise spricht, ist sie überzeugend, denn sie ist selbst überzeugt. Und sie hat viel Erfahrung.“
Schon erstaunlich, wie viel Erfahrung eine 22-jährige Studentin heute haben kann. Und wer braucht schon Argumente, wenn er einfach nur überzeugt ist, von dem was er tut. Aber diese Argumente-Losigkeit scheint Frau Sontheimer und Frau Neubauer zu einen. In einem von „change.org“ geposteten Video bei Twitter sagte Neubauer zur Frage des Kohle-Ausstiegsdatums: „2038 ist als End-Ausstiegsdatum keine Option und das wissen wir alle. Es ist unverantwortlich, davon auszugehen, dass wir nach 2030 noch Kohle in Deutschland verfeuern können, weil das verfeuert auch unsere Zukunft.“ Selten hat man so viele Behauptungen und Suggestionen ohne Argumente in einem Statement lesen dürfen.
Journalisten müssen kritisch sein
Nun darf man sagen: Bei Aktivisten muss man nicht unbedingt erwarten, dass sie wie ein Professor agieren. Leidenschaft und Glaube sind schließlich das, wovon Aktivisten zehren – sie nehmen so auch nicht alles extrem genau. Demonstrationen leben von Emotionen. Das ist gut so. Mitgebrachte Plakate sind Verkürzungen. Ohne Parolen sind Demos nicht denkbar. Demos „demonstrieren“ etwas. Sie machen bewusst und aufmerksam. Demokratien brauchen sie, und es ist nur zu begrüßen, dass Menschen sich versammeln und für etwas streiten. Auch und gerade beim Thema Klimawandel. Politischer Aktivismus gehört zu einer funktionierenden Demokratie. Insofern darf man einem Aktivisten zugestehen, dass die Emotionalität ihn dominiert. Aber reicht das aus?
Von einer Journalistin hätte man hier eine kritische Einordnung erwarten dürfen. So einen Satz wie Sontheimer hätte eine kritische Journalistin nicht geschrieben. Überzeugend kann man nämlich nur dann sein, wenn man auch Argumente hat. Nur Leidenschaft zu haben, das lässt einem ein kritischer Journalist nicht durchgehen – die Redaktion der Zeit aber offenbar doch. Allein mit Leidenschaft bewirkt man aber heute nur wenig. Das mussten ja auch die Grünen in ihrer langjährigen Parteigeschichte lernen. Kritische Einordnung hätte also Not getan – gerade deshalb, um zu klären, wie die Bewegung am Ende wirklich etwas bewirken kann.
Leonie Sontheimer ließ die Redaktion aber die reine Emotionalität und die Argumente-Losigkeit wohl gerne durchgehen. Denn die Journalistin Leonie Sontheimer hat auch auf Twitter für alle sichtbar vermerkt, dass sie eigentlich privat oder halb-öffentlich eben auch eine Umweltaktivistin sei. Ansonsten gefällt der Journalistin auf Twitter das, wofür man bei der Süddeutschen Zeitung und der Zeit mittlerweile vielfach brennt – nämlich das eigene (eigentlich sehr spezifische) Bild vom Linksliberalismus umfassend in die Köpfe ihrer Leser zu tragen.
„Sagen, was ist“ bleibt die Kerntugend
Die Frage, ob dieser Aktivismus nun gut oder schlecht ist, das steht auf einem anderen Blatt. Spätestens nach dem Fantasie-Journalismus des Ex-Spiegel-Journalisten Claas Relotius sollte aber den Aktivisten unter den Journalisten klar geworden sein, dass das „Sagen, was ist“ (Rudolf Augstein) immer noch die Kerntugend, Kernaufgabe und Kernorientierung jedes Journalisten zu sein hat – selbst wenn das bedeutet, dass es unschön, ja hässlich und dreckig werden kann. Kritik war noch nie etwas für Schönheitsköniginnen. Früher wussten das eigentlich alle Journalisten.
„Sagen, was ist“, das war auch ein Versprechen, und man hat es sehr ernst genommen. Man muss dafür nur mal darüber sinnieren, was die „alte Garde“ der Nachkriegsjournalisten zum Stück von Sontheimer gesagt hätte. Wenn die „Gräfin“, Marion Dönhoff, die im Text von Sontheimer zu sehende Vermischung von Journalismus und Aktivismus gelesen hätte, sie hätte die Journalistin wohl erst mal in ihr Büro zitiert und ihr eine Stunde lang einen Vortrag über Liberalität und kritischen Journalismus gehalten. Und dann mit aller Deutlichkeit klar gemacht, dass wenn sie sowas nochmal lesen muss, es mit der Karriere beim Flaggschiff des deutschen Journalismus nichts werde.
Heute hat Sontheimer wahrscheinlich von vielen Journalistenkollegen viel Lob für ihre „tolle, schöne Geschichte“ bekommen – um den Hinweis ergänzt, dass sie Kritik am Text auf Twitter nicht ernst nehmen sollte, weil das ja in der Regel sowieso „Hater“ seien. So ändern sich Zeiten. Aber hier definitiv nicht zum Besseren. Jeder junge Journalist und Praktikant, der ohne Einweisung eines älteren Kollegen ins Geschäft kommt, kapiert nicht, was seine Aufgabe ist: Realitätssinn zu beweisen und auch in der Normativität selbstkritisch zu bleiben.
Empörung als Arbeitsgrundlage
Doch heute beherrschen zwar viele junge das Handwerk des Journalisten, aber Kritik, Distanz und Selbstprüfung haben sie sich offensichtlich erfolgreich ausgetrieben – und man lässt sie so gewähren. Die Henri-Nannen-Schule, Kaderschmiede des linksliberalen Journalismus, ließ sogar gerade in einer neuen Kampagne folgendes verlauten: „Wer heute in den Journalismus will, muss Rückgrat haben.“ Sekundiert wurde das mit dem Spruch: „Handwerk und Haltung“. Da ist sie wieder, die „Haltung“ – ein beliebtes Wort dieser Tage in Politik und Journalismus. Bei dem Begriff ist mittlerweile jeder nahezu eingeladen, in ihn hineinzuinterpretieren, was er möge.
Natürlich gab es immer schon – besonders dann nach 1968 – nicht nur Realisten in den deutschen Medienhäusern. Natürlich gab es auch Ideologie. Aber selbst die Texte der starken Meinungsführer durften nicht ständig voll von Allsätzen, Behauptungen, Unterstellungen und Suggestionen sein. Der Aktivismus war den politischen Aktivisten überlassen. Es schwant einem so zum Beispiel Gruseliges, wenn bald Nachwuchs-Journalisten von Ze.tt (dem Jugendportal von Zeit Online) in die Erwachsenen-Abteilung bei Zeit-Online einrücken sollten. Schließlich haben sie bei Ze.tt jahrelang damit verbracht, die immer gleichen Themen möglichst bunt und click-bait-konform zu bespielen. Empörung ist dort ihre Arbeitsgrundlage. Echauffieren ihr Tagesgeschäft. Ze.tt ist ja nichts anderes als die Möglichkeit für ein eigentlich sehr überschaubares postmaterialistisches, grün-aktivistischstes Großstadtmilieu, eine Plattform zu haben, um seine eigene sehr enge Weltsicht als meinungsbildendes Kulturgut zu verkaufen. „Die Jugend“ repräsentiert so eine Plattform jedenfalls nicht. Das sollte man sich auch bei Ze.tt nicht einbilden.
In den Medienhäusern herrscht Panik
Aber das Mutterschiff, Die Zeit, ist leider auch längst von seiner Rolle als meinungsbildendes Kulturgut überzeugt, welches den Zusatz „gut“ nicht lediglich zum Qualitätsmerkmal, sondern zur Mission erklärte. Was „gut“ ist, wird eher in einem engen Rahmen formuliert. So macht man sicher „Marken“. Ohne Wiedererkennungswert kein erfolgreiches Product-Placement. Nur hat sich Die Zeit da mittlerweile so sehr in der Ebenen-Vermischung zwischen Aktivismus und Journalismus verfangen, dass man zuweilen den Eindruck bekommt, die Zeit sei auf dem Weg, zur Parteizeitung der Grünen zu werden.
Man darf volles Verständnis dafür haben, dass in deutschen Medienhäusern Angst, wenn nicht Panik umgeht. Die Panik, dass es sie in zehn Jahren nicht mehr oder nur noch in kleiner Mannschaft geben wird, bringt einen dazu, zuerst auf die Stabilisierung der eigenen Verkäufe zu achten. Das zwingt mehr und mehr Medien zu einer starken Identitätsbildung – glauben viele Medienhäuser und Journalisten zumindest.
Gewiss, Zeitungen müssen sich auf dem Markt behaupten. Tendenzen will man ihnen zulassen. Sie brauchen ein Profil. Die Welt hat ebenso wie Die Zeit ihr Profil. Wenn das aber dazu führt, dass über eine Sympathie für bestimmte Personen und Meinungen die eigene kritische Distanz vergessen wird , dann verkaufen Journalisten den Journalismus und werden zu PR-Schreiberlingen für eine Haltung. Das ist in linksliberalen wie in den rechtsliberalen Blättern so.
Die meisten Journalisten stammen aus der Elite
Bei gesundem Menschenverstand kann man all diese Entwicklungen nachvollziehen. Der Elitenforscher Michael Hartmann mutmaßte zuletzt sogar in seinem Buch „Die Abgehobenen“, ob es einen „Oberschichten-Journalismus“ gebe. Darin berichtet er auch über eine Studie an den drei großen Journalistenschulen in Hamburg, Köln und München. Demnach stammten laut dieser Studie und dem Erhebungszeitraum 68 Prozent der Journalistenschüler aus der höchsten von vier Herkunftsgruppen und kein einziger aus der niedrigsten. Klassisch mit Karl Marx gesprochen, bestimmt dann das „Sein“ das „Bewusstsein“. Die Herkunft verengt, so kann eine Schlussfolgerung lauten, das Themenspektrum und die eigene Art und Weise, über Themen zu sprechen – aus Habitusgründen, aber auch aus Marketinggründen. Eine Entwicklung, die so jemand wie die Gräfin Dönhoff hart verurteilt hätte.
Umso mehr wirkt nun jemand wie der Zeit-Journalist Jochen Bittner dann als Gralshüter des „Sagen-was-ist“-Journalismus und ragt aus der Masse heraus. Er traut sich unbequem zu sein. Und das auch noch bei dieser Zeit – die zurzeit so aktivistisch daherkommt. Der Titel seines neuen Buches macht es deutlich: „Zur Sache, Deutschland.“ Mit nichts könnte er mehr Recht haben. Sein Buch zeigt, fast losgelöst vom Inhalt, was und vor allem wie Journalisten arbeiten sollten. Eben an der Sache orientiert. Sein Buch ist eine Anleitung für das, was der Journalismus wieder lernen muss: Dass Handwerk nicht alles ist, dass in der Tat „Haltung“ gebraucht wird, aber eben eine „Sagen-was-ist-Haltung“, eine „Sachorientierung“.
Aufruf zur „Entpörung“
Vielleicht ist Bittner einfach ein kühler Hanseat. Manchmal ist es ja auch einfach der Charakter. Aber Bittner bekommt in seinem Buch etwas hin, was den Inhalt fast bedeutungslos erscheinen lässt. Bittner hat nicht nur ein Buch über Deutschland geschrieben. Er hat vielmehr ein Lehrbuch für Journalisten geschrieben.
Sicher ist sein Aufruf im Buch zur „Entpörung“ selbst ein Programm. Seine eigene Nüchternheit scheint Bittner bisweilen einfach als nachahmungswert zu empfehlen. Bittner meint es hier aber ernst. Er lässt nämlich schon länger durchscheinen, dass er mit der neuen Mode des Haltungsjournalismus nicht viel anfangen kann. Wer ihm auf Twitter folgt, konnte schon länger bemerken, wie ihn die Blüten des Haltungsjournalismus ganz offensichtlich stören. Sein Buch bestätigt dies nun nur nochmal. Hier widmet er dem „Journalismus“ sogar ein eigenes Kapitel. Das wurde aber auch Zeit. Denn der Journalismus scheint gerade nach sich selbst zu suchen.