Kurz und Bündig - Jeremy Rifkin: Der Europäische Traum. Die Vision einer leisen Supermacht

Dass die schärfste Kritik an den USA meist von Amerikanern selbst stammt, ist ein bekanntes Phänomen. Spätestens mit Jeremy Rifkins «Vision einer leisen Supermacht» wird man ergänzen können, dass der größte Europa-Enthusiasmus offenbar auch aus den USA kommt.

Dass die schärfste Kritik an den USA meist von Amerikanern selbst stammt, ist ein bekanntes Phänomen. Spätestens mit Jeremy Rifkins «Vision einer leisen Supermacht» wird man ergänzen können, dass der größte Europa-Enthusiasmus offenbar auch aus den USA kommt. Der Ökonom Rifkin, prominenter Kapitalismus-Kritiker aus Washington, zeich­net in seinem Buch die Gesellschaft des Alten Kontinents nicht nur als strahlendes Ge­gen­modell zu den Vereinigten Staaten, sondern proklamiert Europa auch als universelles Leitbild für das 21. Jahrhundert. Rifkin ist eine Art Berufs­visionär. Bekannt wurde er mit einer kühnen Prognose über «Das Ende der Arbeit» (1995), er schrieb über Gentechnik, Rinderwahnsinn und alternative Energien. Nun also «Der Europäische Traum». Worin der besteht, erklärt Rifkin in einer faktenreichen und lebendig geschriebenen Darstellung, die inhaltlich aber weniger originell ist, als der rhetorische Aufwand glauben machen will. Pro­­pa­giert wird eine globale Gesellschaft, in der neben den In­teressen des Individuums auch die der Gemeinschaft zum Zuge kommen, in der mehr Ko­operation als Konkurrenz herrscht, in der Lebensqualität Vorrang hat gegenüber Profit – ganz anders als der alte «Amerikanische Traum» mit seinem Selfmade-Ideal, aber als Alternative dazu nicht eben zum ersten Mal ausformuliert. Rifkin entdeckt die Elemente dieses Programms in den Werten «der Europäer» (die hier meist als undifferenziertes Kollektiv vorkommen) und im geistigen Gerüst der EU, der «ersten postmodernen Regierungsinstitution». Die Brüche zwischen europäischer und amerikanischer Mentalität belegt er mit Statistiken und Umfrage-Ergebnissen, und er begründet sie historisch – etwa mit der unterschiedlichen Rezeption der neuzeitlichen Eigentumstheorie. Dabei neigt Rifkin zu plakativen, ja platten Gegenüberstellungen, was in der These gipfelt, dass Amerika vom «Todestrieb», Europa dagegen vom «Lebenstrieb» be­herrscht sei. Befremden mag einen auch der etwas zwanghaf­te Optimismus, mit dem Rifkin den Siegeszug des Europä­ertums in der globalisierten Welt prophezeit. Es ehrt den Autor, dass er hin und wieder selbst Fakten nennt, die der Verwirklichung seiner Vision entgegenstehen könnten: etwa die kaum zu überwinden­de militärische Dominanz der USA oder die Reformen in der europäischen Sozialpoli­tik, die sich am ur-amerikanischen Prinzip der Eigenverantwortung orientieren. Soll man deshalb mit Zynismus auf Rifkins Utopie reagieren? Nein, aber vielleicht doch mit Skepsis. Ganz europäisch eben.

 

Jeremy Rifkin
Der Europäische Traum. Die Vision einer leisen Supermacht
Aus dem Amerikanischen von Hartmut Schickert.
Campus, Frankfurt a. M. 2004. 463 S., 24,90 €

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