Jan Gerbers „Das Verschwinden des Holocaust“ - Warum die Erinnerung an den Holocaust verblasst

Jan Gerber zeigt in „Das Verschwinden des Holocaust“, wie brüchig und widersprüchlich die Erinnerung an die Schoa gewachsen ist – und warum ihre heutige Banalisierung weniger mit Gedenken zu tun hat als mit dem Verlust historischer Urteilskraft.

Kopie einer blau-grau gestreiften Jacke eines KZ-Häftlings in der KZ-Gedenktstätte Leonberg / picture alliance / imageBROKER | Olaf Krüger; bek

Autoreninfo

Nico Hoppe arbeitet als freier Autor in Leipzig und schrieb bisher u.a. für die FAZ, die NZZ und die Jungle World. Auf Twitter ist er unter @nihops zu finden.

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Nicht immer war die sogenannte Erinnerungskultur so selbstverständlich, wie sie heute erscheint. In seinem neuen Buch „Das Verschwinden des Holocaust. Zum Wandel der Erinnerung“ zeichnet der Historiker Jan Gerber die überraschend diskontinuierliche Auseinandersetzung mit dem Holocaust nach, der erst in den 1970er-Jahren in seiner Singularität und Tragweite nicht nur für die Geschichte des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs, sondern auch für die Zivilisationsgeschichte insgesamt wirklich begriffen wurde.

Gerber konstatiert nicht nur, dass das Wissen um den Holocaust ab den ersten Berichten über Vernichtungslager im Sommer 1942 bis in die unmittelbaren Nachkriegsjahre nur selten in ein Begreifen seiner neuartigen, präzedenzlosen Dimensionen überging, sondern versucht zu verstehen, wie Erkenntnis über den Holocaust historisch bedingt wurde. Er behandelt dabei sowohl die frühen, von Fassungslosigkeit und Erschrecken beeinflussten Versuche der Kritischen Theorie Adornos und Horkheimers, den Holocaust abseits althergebrachter Begriffskategorien zu verstehen, als auch die Tendenzen, ihn als Chiffre in eine allzu schematische Moderne- und Kapitalismuskritik einzuordnen, die Auschwitz und die Atombombe im gleichen Satz abhandelt.